Mein „Tunix-Tango“

Der Münchner Neo-DJ und Blogger Jochen Lüders veröffentlicht gelegentlich Artikel, in denen er mit meinen Ansichten zum Tango hart ins Gericht geht. Gerne werden mir dabei Positionen unterstellt, welche ins Extreme übersteigert sind und dann natürlich guten Stoff für wütende Gegenreden hergeben:

http://www.jochenlueders.de/?p=14165

https://jochenlueders.de/?p=15695

Grundsätzlich fühle ich mich geschmeichelt, wenn jemand, der durchaus etwas vom Tango versteht, meine Texte offenbar akribisch verfolgt und sich viel Mühe mit Sachargumenten gibt. Dass dabei eine heftige Abneigung gegen meine Person mitschwingt, kann ich verschmerzen.

Nun hat der Kollege seine Gedanken zum Führen und Folgen vorgestellt, wobei er es sich nicht nehmen ließ, mir auch dabei einen mitzugeben:

„Folgenarme Führungslosigkeit – Über Führen und Folgen im Tango“

Wenn Lüders in der folgenden Rolle tanze, könne er es nicht leiden, wenn sein Partner plötzlich stehenbleibe und nichts mehr mache – eventuell mit dem Kommentar: „Jetzt bist du dran“. Da stelle er sich bockig und mache ebenfalls nichts.

Ich habe den Zauber einer solchen Situation auf dem Parkett zwar noch nicht persönlich erlebt, leide aber dennoch bei einer solchen Vorstellung mit: Zwei Menschen, die sich zu anregender Musik umarmen und dennoch trotzig nichts unternehmen. Das ist nicht schön.

Überraschenderweise werde ich anschließend zum „bekanntesten Vertreter der Tunix-Fraktion ernannt. Klar, welches Mitglied der Münchner Tangoszene hat mich noch nie auf dem Parkett tatenlos herumstehend erlebt?  

Das Ganze verwundert mich schon ein wenig, da ich mit einem gewissen Cassiel heftige Kämpfe um den von ihm abgelehnten „bewegungsfokussierten Tango“ geführt habe. Und wer wollte einem Experten wie dem langjährigen Tangolehrer Klaus Wendel widersprechen, der mich immer wieder verdächtigt, zu Piazzolla-Klängen ganze Rondas zu schreddern:

„Es geht nicht darum, ob Piazzolla ‚tanzbar‘ ist, (jede Musik ist irgendwie tanzbar), sondern darum, ob er auf normalen Tanzpiste mengentauglich ist, wenn man nicht wie ein Irrwisch auf der Tanzfläche kreuz und quer tanzen möchte oder auch nur ein einigermaßen intaktes, sensibles Gefühl für musikalische Interpretation besitzt.

Noch ein Satz zu Ihrem Kreuz-und-quer-tanzen, das ja nach Ihrer Meinung auch rücksichtsvoll möglich sein soll: Wenn man in Gegenrichtung in eine Einbahnstraße gefahren ist und frohlockt, dass nichts passiert ist, dann wohl deshalb, weil man nicht bemerkt hat, dass alle anderen ausgewichen sind.“

https://milongafuehrer.blogspot.com/2021/05/wir-da-oben-ihr-da-unten.html (Kommentar vom 8.5.21)

Da fragt man sich schon: „Wer bin ich und wie viele?“

Besonders angetan hat Lüders ein Artikel von mir: „Warum ich wenig führe“.

https://milongafuehrer.blogspot.com/2015/08/warum-ich-wenig-fuhre.html

Dabei geht er mit den Zitaten schon ein wenig kreativ um und missdeutet sie nach Kräften. Klar, ich „führe so wenig wie möglich“ – was ja nicht „wenig“ heißen muss. Und meine umschriebene Behauptung, wer für die ‚Mär‘ vom Führen & Folgen sei, schmiere gerührten Quark zusammen, bezog sich auf einen Journalisten, der in einem Artikel zum Thema nur platte Klischees bot. Man kann das per obigen Link nachlesen.

Nicht viel besser ist Lüders‘ Behauptung, ich bliebe „lieber einfach stehen“ und lasse mich vom „Feuerwerk“ einer Frau „bezaubern“. Mich würde interessieren, wo ich das in dieser Weise einmal formuliert hätte.

Das Fazit des Autors:

„Tja, wenn der Mann keine Ahnung habe, was er denn eigentlich tanzen möchte, ist es vielleicht wirklich besser, einfach stehen zu bleiben und die Frau machen zu lassen. Der eine macht (fast) nichts und der/die andere macht irgendwas, und das soll dann Gemeinsamkeit, Harmonie und Verbindung im Paar schaffen? Wem es Spaß macht, so ‚unverbunden‘ miteinander zu tanzen, soll das gerne machen, nur sollte man nicht erwarten, dass man mit dieser Einstellung auf allgemeine Begeisterung trifft.“

Nein, wahrlich: Das würde auch mich nicht begeistern!

Im Weiteren konzediert Lüders einer Dame dann doch, „all die schönen Verzierungen, die sie auf dem letzten Adorno-Workshop gelernt hat, anzuwenden“. Vor allem, wenn man sich nicht kenne respektive der Führungsimpuls fehle, arte das jedoch oft zu einem „Gehampel“ aus, an dem die Frau doch keinen Gefallen finden könne.

Zur Illustration verlinkt der Autor dieses Video:

https://www.youtube.com/watch?v=yEqstbmgTe0

Nein, lieber Jochen, es gibt auch Frauen, die sich allein sehr elegant bewegen können. Ich wünsche dir, dass du mal auf eine solche triffst:

https://www.youtube.com/watch?v=p2nut8Jo2Sw

Zur korrekten tänzerischen Interpretation hat Lüders ziemlich komplizierte Vorstellungen. Beim Tango „Llorar por una mujer“ klingt das so:

„So kann sie grundsätzlich nach einer Barrida gerne mein Bein wieder zurückschieben, aber wenn ich die Barrida auf die vierte Phrase tanzen und die nächste markante 1 der neuen (32-er) Phrase treffen möchte, passt ihr Zurückschieben einfach nicht und (zer)stört unsere Harmonie und Verbindung.“

Wahrscheinlich gibt es zur Behebung solcher Schwierigkeiten eine Differentialgleichung. Ich weiß nur nicht, welche... 

Anschließend kommt der Autor auf den Punkt: Der modernen, „feministischen“ Partnerin wolle man doch nichts vorschreiben, sie sei schließlich „autonom“ und habe keine Lust, „ein passives, nicht-denkendes Objekt werden, das der Führende herumschiebt“. Woher er dieses Zitat hat, weiß ich nicht – woher es rührt, schon: Lüders bekennt, dass er als Führender „Eigeninitiative“ der Frau „nur in homöopatischer Dosierung“ vertrage. Dann dürfe sie schon mal ihre „schicke Hacke-Spitze Kombi zelebrieren“ – er warte auch geduldig ab, bis sie damit fertig sei, mit ihrem Bein in der Luft rumzurühren.

Natürlich nur, wenn es zur Musik passe und er grade nichts anderes vorhabe. Merke: Die Oberaufsicht übers Tanzen obliegt dem Männe!

Gar nicht gehe es, wenn die „emanzipierte“ Frau überhaupt nicht auf die Führung achte und „ganz kreativ“ ihr „eigenes Ding“ mache. So eine Tänzerin fordere er nie mehr auf.

Sicherlich gibt es auch unpassende weibliche Einfälle – ebenso wie uninspiriertes Geschleiche der männlichen Fraktion. In dem Zusammenhang möchte ich dem Kollegen zwei Fremdwörter ans Herz legen: Respekt und Toleranz. Wer nicht bereit ist, abweichende Auffassungen des Partners zu akzeptieren, sollte das Parkett nicht betreten – von weitergehenden Beziehungen ganz zu schweigen.

Ich glaube, insgesamt stehen sich hier zwei Tangokonzepte gegenüber: Tanzen per Kopf oder Intuition. Wenn mich eine Tanguera zwei Sekunden nach einer Sequenz fragt „Wolltest du das so oder hätte ich etwas anderes tanzen sollen?“, lautet meine ehrliche Antwort stets: „Keine Ahnung, habe ich schon wieder vergessen.“  Tango findet für mich immer nur genau im Moment statt.

Ich gestehe gern ein, dass mein Konzept des „Führens“ nicht einfach zu kapieren ist – für Jochen Lüders in besonderem Maße. Ich vergleiche es immer mit einem Gespräch:

Grundlage wäre schon mal, dass jeder was sagen darf, ohne den anderen um Erlaubnis bitten zu müssen. Weiterhin, dass man einander zuhört und möglichst nicht ins Wort fällt. Wie viel jeder redet, hängt von zahlreichen Faktoren ab: dem eigenen Temperament, den Sachkenntnissen und auch der Freude am Formulieren. Mich würde aber ein Gespräch nerven, in dem einer (beim Tango fast immer der Mann) nur Monologe hält – und die Partnerin höchstens mal „ja“, „aha“ oder „wirklich?“ einwirft.

Ich erinnere mich an eine Anfängerin, die mir während des Tanzens einmal zuflüsterte: „Du darfst mir ruhig sagen, was ich besser machen könnte.“ Meine Antwort war: „Aber ich rede doch die ganze Zeit mit dir!“

Wahrscheinlich hätte ich ihr besser mitgeteilt: „Nein, ich bin doch der bekannteste Vertreter des Tunix-Tango!“

P.S. Hier der Originaltext zum Nachlesen:

https://jochenlueders.de/?p=15907

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