„Tangohnsinn“

Neulich beim Geburtstagskaffee kamen wir zufällig auf ein weit zurückliegendes Thema: Unser einstiger „Tango an der Ilm“ feierte am 26.4.2008 sein einjähriges Jubiläum. Da man in der Provinz seinen Gästen etwas bieten musste, damit sie nicht in die nächste Großstadt abwanderten, hatten wir uns nach langen Überlegungen nicht für Kleiderverkauf oder argentinische Gastlehrer, sondern ein Tangokabarett entschieden:

Unter dem Titel „Tangohnsinn“ (so Karins Idee bei einer Einkaufstour) wollten wir unseren Gästen die „Erste Pfaffenhofener Tangomesse“ vorstellen. Karin und zwei Freundinnen sollten mir als einheitlich schick gekleidete „Hostessen“ bei der Vorführung diversen Tangobedarfs behilflich sein – und das mit vollem Körpereinsatz! Selber stellte ich – angetan mit meiner geschmacklosesten Krawatte – einen öligen Messeverkaufs-Schwengel dar, welcher die Produkte, angereichert mit diversen Zaubereffekten, an Mann und Frau brachte.

Die Hostessen

Bei langen Spaziergängen ließen wir unsere Gehirne stürmen, eine Menge Ideen entstanden und wurden teilweise wieder verworfen. Schließlich stand ein ungefähres Programm, zwei Alu-Messetische wurden gekauft, die Suche nach den Requisiten hob an. Manches an Material hatten wir zu Hause, der Rest musste mühsam besorgt respektive zusammengebettelt werden.

Ich kann mich an den Abend noch gut erinnern: Tagsüber durfte ich in einem Nachbarort ein fünfstündiges Zauberseminar geben, abends fuhren wir dann mit unserem Show-Equipment in zwei vollgepackten Autos nach Pfaffenhofen. Ach ja: Aufgelegt habe ich an diesem Abend, wie üblich, auch noch! (Und nebenbei" war ich damals noch berufstätig!)

Den Ablauf unseres 45 Minuten-Auftritts habe ich gestern rekonstruiert: Nach längerem Suchen fanden wir Fotos, eine Beschreibung in Karins stets sorgfältig geführten „Milonga-Tagebuch“ sowie eine (leider nicht sehr gute) Tonaufnahme.

Einleitend stellte ich fest, Männer stünden im Tango als gefährdete Spezies auf der Roten Liste: „Die Herren müssen ja die Musik hören, die Dame führen, den Raum auf der Tanzfläche beachten und auch noch hinreißend gut aussehen.“

Daher bot ich eine Reihe von Artikeln zur Unterstützung der Tänzer an, beispielsweise „absolut rhythmussichere Tangomusik“ (eine leere CD-Hülle). Weiterhin hatten wir uns eine echte Funkfernsteuerung ausgeliehen, welche einem Tänzer auf den Rücken geschnallt wurde und angeblich per Sender Stromimpulse zur rhythmischen Synchronisierung auf die Wirbelsäule („Achse des Bösen“) abgab, während unsere Heilpraktikerin die entsprechenden Befunde beim Herrn abspulte.

„Junge Tänzer bringen bekanntlich eine ETA (Edeltanguera) mit – also eine junge, schlanke Dame mit bauchfreiem Hohlkreuz, ältere Herren ihre Heilpraktikerin.“

Das Ganze wurde zum Jubel des zirka 60-köpfigen Publikums natürlich sofort auf der Tanzfläche erprobt!

Weiterhin gab es für die geplagten Tangueros noch einen Taschen-Ventilator: „Für Tänzer, die auch nach der Milonga noch Wind machen wollen“ – sowie für die im Tango häufigen Angehörigen des Öffentlichen Dienstes einen „Gürtel mit Hosenträgern“.

Zum adäquaten Aufrüschen der Damen produzierte ich magisch einen puffroten 20er Jahre-Federschmuck, auf dass die Männer mit „Boah, ej“ reagieren konnten. Weiterhin priesen wir Spaghettiträger an (eine Packung Nudeln mit montiertem Tragegriff).

Spaghettiträger

Zur Unterscheidung des „richtigen“ vom „falschen“ Fuß boten wir rote (links = Backbord) und grüne (rechts = Steuerbord) Herrensocken an, welche Karin in einem Kaufhaus aufgetrieben hatte. Dazu gab es rote und grüne Knicklichter zur Befestigung an den Schuhbändeln.

Schön war auch ein Navigationsgerät zur Orientierung auf der Piste: „Biegen Sie nach der zweiten Sacada links ab“.

Tango muss ja vor allem sicher sein: Einen männlichen Gast statteten wir mit Fahrradhelm, Warnweste, Schutzbrille und Schienbein-Protektoren aus („zum Schutz vor weiblicher Beinarbeit“). Weiterhin gab es einen Mundschutz „gegen die Ansteckung mit dem Tango-Virus“ (2008 ein geradezu seherischer Gag). Besonders stolz waren wir auf einen „Tango-Rückspiegel“: Karin hatte das Gerät auf einen Draht-Kleiderbügel in die Schulternaht eines alten Sakkos gebastelt. Nun konnte die Basse auch mit einem Rückwärtsschritt beginnen!

So ausgestattet musste der arme Kerl dann auch noch tanzen!

Magie war im Spiel, als ich eine Dame von den „Fesseln der Führung“ befreite.

Mit einer Fülle von Gags veralberten wir die sich damals abzeichnende Ideologie zum „korrekten Auffordern“: So gab es dazu unter anderem eine Mirada-Stirnlampe, einen Faschings-Neckrüssel sowie einen Laser-Pointer. Schwierig gestaltete sich eine Idee, mit der wir in der Pubertät gerne Mädchen ärgerten: Damals gab es noch Trinkhalme mit einer Papierhülle. Öffnete man die auf einer Seite und blies ins Röhrchen, flog die Papiermanschette meterweit bis zum anzusprechenden Mädel (die Älteren werden sich erinnern). Unsere Nachfragen in diversen Geschäften und Lokalen blieben zunächst ergebnislos: Diese Teile gebe es schon lange nicht mehr. Schließlich entdeckten wir sie an der Bar eines Jugendzentrums, wo wir einmal pro Woche Tango übten. Hurra!

Mirada-Stirnlampe

Viel Freude verbreitete auch ein Wäschesprüher, den wir mit Herzchen und der Aufschrift „Sabor del Tango“ versahen: Der, so unsere Ankündigung, enthalte ein Tangoparfüm, welches Frauen willenlos mache. Zum Test besprühten wir damit einen veritablen argentinischen Tangolehrer, was ich so kommentierte: „Wir benötigen nun einen Kandidaten, der ohne dieses Parfüm bei Frauen keine Chance hätte.“ Eine unserer Hostessen musste dann mit der Testperson tanzen und dabei schmachtend dem Duft erliegen. Das machte viel Freude…

Ferner durfte die damals schwer angesagte „Tango-Verlosung“ nicht fehlen. Ich garnierte diese mit einer Anspielung darauf, dass die „Tango-Größen“ sich nicht in Pfaffenhofen blicken ließen (nachdem wir ihnen jahrelang Geld auf ihre Events getragen hatten): „Natürlich haben wir schon die Sehnsucht, dass eines Tages die Tür aufgeht und ein Münchner Tango-VIP bei uns erscheint. Stellen wir uns also vor, ein berühmter, IAG (in Argentinien gewesener) Tangolehrer nähme an unserer Verlosung teil.“ Dann müsse der natürlich den Hauptpreis erhalten.

Zunächst wurde der zweite Preis gezogen: ein Tangokurs in der Tanzschule „Zwing & Fang“ (eigentlich: „Swing & Fun"). Dann der dritte Preis: drei solche Tangokurse… Für einen Magier war es natürlich ein leichtes, dass nun der „Tangopromi“ das Los für den ersten Preis zog: „20 Gratiseintritte zu unserer Milonga“.

Für den unvergesslichen Höhepunkt sorgte meine Frau Karin. Eigentlich hatten wir statt unseres Tangokabaretts einen Tanzauftritt der von uns sehr bewunderten Tangolehrerin Sonja Armisén aus München geplant. Diese fand unser einjähriges Jubiläum zwar „süß“, war aber trotz eines ordentlichen Gagen-Angebots nicht zu einem Auftritt in Pfaffenhofen zu bewegen. Daher besannen wir uns auf das Motto eines meiner ehemaligen Schulleiter: „Alles aus eigener Kraft“ (oder hatten wir das Zitat doch von Mao?).

Deshalb, so meine Anmoderation, hätten wir uns auf Talentsuche begeben und präsentierten nun den Tangofusions-Newcomer Nirakfrisch gefangen in der Münchner Muffat-Halle“.

Tango-Breakdancer

Für diesen Showtanz hatte sich Karin mit Basecap, Sonnenbrille, Hemd, Cargo-Jeans und Sneakers als „Tango-Breakdancer“ kostümiert. Es tut mir heute noch leid, dass wir ihre großartige Show zum Titel „Mí Confesión“ von „Gotan Project“ nicht auf Video festhielten. Gegen Ende griff sie sich noch eine Tanzpartnerin, bis sie entkräftet auf dem Parkett zusammensank – und die Tanguera mit ihr.


https://www.youtube.com/watch?v=GljrmEoe2yY

Tatsächlich hatten viele Zuseher Karin („Nirak“) in dieser Aufmachung nicht erkannt – als sie dann Basecap und Sonnenbrille abnahm, kannte der Jubel keine Grenzen!

Karin alias "Nirak"

Zum Abschluss erinnerte ich an die berühmte Tanzszene im Film „Tango Lesson“, bei der Sally Potter mit ihren drei Partnern einen Bewegungsrausch zu Piazzollas „Libertango“ vollführt. Mein Kommentar: „Ein Tango mit drei Männern und einer Frau – das gibt es nur im Film.“ Wir hielten es dann umgekehrt und tanzten zu viert – drei Frauen und ein Mann – in ständig wechselnden Kombinationen und Rollen zu dieser Musik. Schließlich forderten wir Gäste auf und tanzten mit ihnen bis zum Schluss.

Das "Messe-Team"

Als ich gestern die Tonaufzeichnung des Auftritts anhörte, war ich sehr erstaunt über die Heiterkeitsausbrüche, den Applaus des Publikums bei den doch oft recht fiesen Anspielungen, von denen ich einige in meinem späteren Tangobuch verwendete. Wäre eine solche Show heute noch ein Erfolg? Ich fürchte: nein. Viele wüssten jetzt gar nicht mehr, was an unserer Show witzig war. Tango ist zu einer ernsten Sache geworden, über die man nicht herumblödeln sollte. Und gar eine dreiviertelstündige Tanzunterbrechung? Ginge gar nicht!

Die damalige Offenheit, die kreative, vorurteilslose Stimmung in der einstigen, kleinen Szene ist Geschichte.

Wenn ich heute aber von selbsternannten „Tangoprofis“ lese, vor allem ihnen sei der kometenhafte Aufstieg des Tango hierzulande zu verdanken, kann ich nur feststellen: Das ist eine dreiste Lüge. Die Mehrzahl dieser Herrschaften erlebte ich damals nur regungslos hinter der Kasse oder dem DJ-Pult sitzend.

Wir haben damals für die 30 Termine des „Tango an der Ilm“ tausende unbezahlte Arbeitsstunden geleistet – und so hielten es viele andere, die sich ihre jahrelangen Mühen für unseren Tanz nicht entlohnen ließen.

Nachdem ich vor einigen Tagen das stolze Alter von 72 erreicht habe, darf ich als „Tango-Opa“ mal ein wenig wehmütig von der „guten alten Zeit“ schwärmen.

Und Nostalgie gehört ja untrennbar zum Tango…

Kommentare

Hinweis zum Kommentieren:

Bitte geben Sie im Kommentar Ihren vollen (und wahren) Namen an und beziehen Sie sich ausschließlich auf den Inhalt des jeweiligen Artikels. Unterlassen Sie herabsetzende persönliche Angriffe, gegen wen auch immer. Beiträge, welche diesen Vorgaben nicht entsprechen, werden – ohne Löschungsvermerk – nicht hochgeladen.
Sie können mir Ihre Anmerkungen gerne auch per Mail schicken: mamuta-kg(at)web.de – ich stelle sie dann für Sie ein.