Bin ich ein Frauenversteher?

Mein jüngster Artikel über eine seltsame „Gigolo-Milonga“ stieß bei einem meiner Leser auf heftiges Missfallen. Dabei unterließ er es – typisch für solche Kommentare – auf mein Thema insgesamt einzugehen: Beispielsweise, warum man sich in der Ankündigung der Veranstaltung über den geplanten Hergang ausschwieg und keinerlei inhaltlichen Angaben zur gebotenen Musik machte, oder wie man generell auf Tangoveranstaltungen mit Frauen umgeht.

Stein des Anstoßes waren lediglich diese Zeilen:

Es spricht ja nichts dagegen, wenn alleinstehende Frauen sich einen bezahlten Begleiter für eine Festivität buchen. Sie können dies so diskret handhaben, wie es ihnen passend erscheint. Vor den Augen aller offenbar auf einen Eintänzer angewiesen zu sein, hielte ich als Dame für unterirdisch. Der bekäme von mir einen Korb mit dem Kommentar: ‚Danke, so nötig habe ich es noch nicht!‘“

https://milongafuehrer.blogspot.com/2022/12/die-nacht-der-gigolos.html

Seine anfängliche Kritik lautete:

Wenn dieser Text von einer Frau käme, wäre er satirisch und angemessen, aber so ... beleidigend gegenüber allen Frauen, die lieber einen Service in Anspruch nehmen und ggf. genießen, ohne dabei alle möglichen Belästigungen zu erleiden.“

Des Weiteren griff er dann – Facebook-typisch – noch zu der Vokabel „Blödsinn“.

In meiner Antwort schrieb ich:

„Ich wüsste nicht, inwiefern ich in meinem Beitrag Frauen beleidigt hätte. Von mir aus dürfen die alle Tanzangebote annehmen – ganz wie sie wollen. Ich würde mich allerdings als Dame nicht wohlfühlen, wenn der Eindruck entstünde, ich sei auf bezahlte Tanzangebote angewiesen.“

Dies konnte meinen Leser jedoch nicht zufriedenstellen:

„Das ist der Punkt - SIE stellen sich vor eine Dame (resp. Frau) zu sein - und glauben dann auch noch, dass das dann authentisch ist. Ha ha ha. Ich kann mir auch vorstellen ein Seestern zu sein - hat aber dann in der Realität nichts mit den Gefühlen eines echten Seesterns zu tun. Also ist jede Bemerkung über mein Befinden als Seestern völlig irrelevant für die Realität. Genauso Ihre Vorstellung, eine Frau zu sein - ist besonders irrelevant, da Sie besonders viele sogenannten männliche Verhaltensmuster darbieten. Also sollten Sie den Standpunkt der Frau aus IHRER VORSTELLUNG wirklich nicht in die Realität überführen.“

Nun gut, der Vorzug eines Seesterns wäre schon mal, dass sich bei ihm die Klappe am Boden befindet…

Im weiteren Verlauf lernte ich dann noch, dass es nicht darauf ankommen, was ich schriebe, sondern, was ich damit suggeriere. Das Ganze gipfelte in dem Satz:

„… mir ging es vor allem darum, dass ich es unangemessen finde, dass Herr Riedl den Frauenstandpunkt vertritt. Das sollte dann doch eine Frau sein.“

Quelle: https://www.facebook.com/groups/1820221924868470 (Post vom 13.12.22)

Ich glaube, im Kern dreht es sich um diese Fragen:

Darf ich als Mann eine weibliche Sichtweise vertreten? Und wenn ja: Ist es mir erlaubt, öffentlich zu äußern, was ich als Frau täte? Oder bevormunde ich damit das andere Geschlecht?

Sucht man im Internet nach diesen Themen, findet man nicht eben viel. Scheinbar sind solche Tendenzen eher nicht mehrheitsfähig. Dennoch wurde beispielsweise zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Bewegung der Suffragetten („suffrage“: Wahlrecht) auch von Männern unterstützt, welche jedoch als verweichlicht und „effeminiert“ verschrien waren.

https://de.wikipedia.org/wiki/Suffragetten

Und speziell maskuline Autoren beklagen gerne, dass „der neue Mann“ ein „Leben auf der Streckbank“ führe:

„Der Mann von heute soll dagegen ein Schweizer Taschenmesser sein: Je nach Umstand und Situation mal Nähnadel, mal Nagelschere, Feile oder Pinzette – und dann doch wieder Messer, Schraubenzieher oder gar Säge. Immer schön flexibel!“

https://www.zeit.de/zeit-magazin/leben/2016-09/emanzipation-mann-frau-feminismus-der-neue-mann

Bezeichnend ist, dass der Begriff „Frauenversteher“ allgemein eher abwertend benützt wird:

Aber war der sanfte Milchbubie, den es bis heute gibt, auch erfolgreicher bei den Frauen?

Die Wahrheit: Für die Mädels gibt es nichts Langweiligeres als einen klassischer Frauenversteher, der immer verständnisvoll ist und Rücksicht nimmt, der sich bedingungslos anpasst wie ein Fähnchen im Wind und zu allem Ja und Amen sagt. ‚Was für ein Weichei!‘, wird sie denken, wenn sie so jemanden kennenlernt. Bestenfalls wird so ein Mann ihr guter Kumpel und landet in der berühmten Friendzone.“

https://www.wie-flirte-ich.com/flirttipps/was-ist-ein-frauenversteher-maennertyp

Auch in – sagen wir mal – demokratisch suboptimalen Staaten wie China verfallen solche Männer staatlichen Regulationen:

„Die Nationale Radio- und Fernsehbehörde Chinas (NRTA) hat die TV-Zensur verschärft: Künftig sollen nach dem Willen der Regierenden nur noch Männer mit eindeutig maskuliner Ausstrahlung im Fernsehen zu sehen sein. Die Sender müssten laut einer neuen Anordnung ‚verweichlichten Männern und anderer abnormer Ästhetik entschlossen ein Ende bereiten‘. In dem Text wurde das Schimpfwort ‚Niang Pao‘ verwendet, das wörtlich ‚Mädchenpistolen‘ bedeutet und mit dem deutschen Wort Weichei übersetzt werden kann.“

https://www.queer.de/detail.php?article_id=39889

Immerhin fand ich eine tröstliche wissenschaftliche Untersuchung :

„Die Rutgers University im US-Bundesstaat New Jersey hat die Daten von Paaren ausgewertet, die im Durchschnitt schon 39 Jahre miteinander verheiratet waren. Das Ergebnis der Studie: Glück in der Ehe hängt in viel stärkerem Maß von der Zufriedenheit der Frau ab als von der des Mannes. Ist die Frau unglücklich, sind beide unglücklich. Ist der Mann unglücklich, belastet das die Frau rein statistisch weniger stark.

Die Wissenschaft untermauert also den Spruch ‚Happy wife, happy life‘. Die Forscherin Deborah Carr hat dazu auch eine Erklärung: ‚Ich denke, es liegt daran, dass eine mit der Ehe zufriedene Frau dazu tendiert, viel mehr für ihren Mann zu tun, was sich positiv auf sein Leben auswirkt.‘ Da Männer sich insgesamt weniger mitteilten, übertrage sich ihre Unzufriedenheit weniger auf die Frau als im umgekehrten Fall.“

https://www.geliebtes-leben.de/wordpress/frauenversteher/

Haben wir doch schon immer gewusst: Hauptsache, die Frau ist glücklich!

Wenn ich dazu auch mal was sagen darf:

Ich kann mir überhaupt keine erfolgreiche Partnerschaft vorstellen, bei der man nicht versucht, sich in den anderen hineinzuversetzen – ob es sich dabei um Beziehungspartner, Tanzpartner oder Geschäftspartner handelt. Und dann wird man dem anderen auch gelegentlich sagen, was man an seiner Stelle täte oder ließe. Natürlich nicht in Form von Übergriffigkeit oder „Mansplaining“, sondern schlicht als Information, welche der Partner (oder die Partnerin) nach Belieben verwenden kann – aber nicht muss.

Was den Tango betrifft: Wenn ich mit einer Frau tanze, die ich überhaupt nicht kenne (war erst gestern Abend wieder der Fall), ist es mir doch total wumpe, ob sie eine „Figur richtig tanzt“. Was ich aber sofort zu ergründen versuche: Wie fühlt sie sich, was kann ich dafür tun, dass sie sich locker und entspannt bewegt? Andernfalls endet das Ganze oft in einem totalen Krampf – und sie wird in Zukunft wenig begeistert sein, wenn ich sie auffordere.

Als ich gestern mit einer Tangofreundin über das Thema sprach, meinte sie: „Ich höre von Männern gelegentlich den Satz: ‚Versteh einer die Frauen‘. Ich antworte meist: ‚Versuch’s doch erstmal mit einer!“

Tatsächlich gibt es doch ganz verschiedene Menschen – das ist gut so und sollte nicht automatisch mit dem Geschlecht verknüpft werden. Daher hätte ich beim Tango einen Vorschlag:

Seien wir doch in unserem Tanz in Zukunft sehr sparsam mit den Geschlechtsbezeichnungen! Viel zu viel wird beim Tango darauf reduziert – nicht nur bei der unbewiesenen Behauptung: „Der Mann führt“. In Wahrheit tanzen stets ganz unterschiedliche Menschen miteinander. Leider ist die Geschichte des Tango mit diesen unsäglichen Geschlechter-Stereotypen behaftet. Das ist peinlich genug – wir sollten davon abkommen.

Meine Freundin fragte dann noch: „Bist du denn selber ein Frauenversteher?“ – und lieferte mir damit den Titel des Artikels. Bin ich einer? Ach, ich versuche halt generell, die Beweggründe von Menschen zu erkunden. Mag sein, dass ich dies bei Frauen oft spannender finde als bei Männern.

Schon der geniale Loriot hat uns aber die Erkenntnis beschert: Passen Männer und Frauen zusammen? Nein!

Sehr schön kommt das in einem meiner Lieblingswitze zum Ausdruck:

Einem Mann begegnet im Traum eine Fee, welche das übliche Angebot mitbringt: Er habe einen Wunsch frei. Nach einigem Überlegen meint der: „Könntest du nicht für eine Brücke über den Atlantik sorgen? Dann würde ich mit dem Auto nach Amerika fahren!“ Darauf die Fee: „Hast du dir schon mal den Aufwand überlegt? An die 7000 Kilometer – und dazu alle hundert Meter ein Pfeiler… sorry, such dir was anderes aus!“

Darauf der Mann: „Na gut, was ich mir schon das ganze Leben lang wünsche: Ich würde so gerne die Frauen verstehen!“ Die Antwort der Fee: „Um nochmal auf die Brücke zurückzukommen: zweispurig oder vierspurig?“

Foto: www.tangofish.de

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