Einfach näher am Kunden
Mein letzter Artikel hat mir eine heftige Konfrontation mit einem Tangoaktiven eingebracht, dessen Sympathie ich mir schon in früheren Zeiten verscherzt habe. In einer ganzen Serie von Kommentaren verteidigte der Kollege die Idee vom perfekten Tanzen auf fast gar keinem Raum.
Wer unsere Debatte nachlesen möchte.
https://milongafuehrer.blogspot.com/2025/03/mit-der-brezel-durchs-gewuhl.html
Aktuell kritisierte er ein Tanzvideo von mir mit den Worten:
„Es ist zudem mutig, mit so einem Video an die Öffentlichkeit zu gehen – das muss man dir lassen. Aber vielleicht solltest du deine Kritik an anderen, die versuchen, sich in engen Räumen tänzerisch weiterzuentwickeln, ein wenig zurückfahren. Denn wenn ich mir die Qualität des Gezeigten anschaue, dann wird’s mit dem ‚anspruchsvollen Tanzen auf engem Raum‘ in deinem Fall tatsächlich schwierig.“
Das Einzige, was ihm an dem Video tatsächlich gefalle, sei die Musik von Biagi.
Ich antwortete:
„Lieber Christian,
es beeindruckt mich stets besonders, wenn Tänze von mir von Kollegen kritisiert
werden, die selber keinerlei Tanzvideos von sich veröffentlichen. Ich nehme an,
das hat seine Gründe. In deinem Fall vermute ich, du wolltest nicht eitel
erscheinen.“
Da war ich leider auf dem falschen Dampfer. Per Kommentar machte mich der Angesprochene auf eine Produktion aufmerksam, die ich bislang übersehen hatte, und auf der er tatsächlich mal kurz tanzt:
https:// youtu.be/XtBGIiJt_dY?si=TAovYVza8DQDx9eX
Produziert wurde das Ganze wohl von einer Firma, die mit seinem Arbeitgeber gute Kontakte pflegt. Im Begleittext lesen wir:
„Hauptberuflich ist Christian Beyreuther im Marketing des Landmaschinenherstellers HORSCH tätig. HORSCH gehört zu den entergon-Kunden der ersten Stunde: 10 Jahre Kundenbeziehung! Und diese Kundenbeziehung ist mehr denn je geprägt von Vertrauen, Engagement und Leidenschaft! Und so kommt es, dass wir Christian auch bei seiner privaten Leidenschaft des Tango-Tanzens begleiten durften. Denn Christian ist nicht nur ein europaweit gern gesehener Tango DJ, sondern organisiert in seiner Freizeit auch Tango-Wochenenden, bei denen Tango-Freunde in außergewöhnlichem Ambiente ihrer Leidenschaft nachgehen können.“
Titel: „Mit Christian beim Tango tanzen“
Bereits der anfängliche Auftritt des Kollegen beschleunigt meine Atmung deutlich: Die Türen eines edlen Gemäuers öffnen sich, und heraus tritt der Star vons Ganze. Wow! Einen solchen Opener kenne ich bisher nur von Präsident Putin!
Schöne Frauen sitzen abholbereit, gut angezogene Paare schweben übers Parkett, auf dem seltsamerweise ziemlich viel Platz ist, moderne Musik wurde den Bewegungen unterlegt. Der DJ trägt eine hier nicht ganz passende Schiebermütze. In der Küche werden frische Blättlein zerhäckselt und auf Lachs- und Kaviarhäppchen gestreut. An einer Tür lesen wir „Rokokosaal“. Nackte Rücken erfahren männliche Betastung. Man tanzt, als ob wenig Platz wäre.
Wieder öffnet sich eine Salon-Tür, und der Hauptdarsteller schreitet wohlgemut zu einer wartenden Schönen auf dem Parkett – ganz ohne Cabeceo findet man einander (ist ja auch sonst keiner da). Wange an Wange zelebriert man nun auf leerem Parkett andächtige Schritte zu artfremder Musik. Leider dauert der Tanz nur 30 Sekunden – aber lang genug, um uns vor Bewunderung schmelzen zu lassen. Und bei den Zuschauerinnen den Wunsch zu wecken, einmal die hier gezeigt Traumfrau zu sein.
An der gut gefüllten Bar ein Werbetext des Getränkelieferanten: „Die Welt gehört dem, der sie genießt“. Tja, wem denn sonst?
In der Abblende dann der Wahlspruch der Firma: „Einfach näher am Kunden“. Das gilt sicherlich auch für den Tango.
Edle Gemäuer, Häppchen, Schampus, schick gewandete Kundschaft, alles vom Feinsten… So wird heute der ehemalige Tanz der armen Leute verkauft! Authentisch? Früher hätten ihn eher die ausländischen Migranten getanzt, welche höchstens zum Mindestlohn fürs feine Pack arbeiten mussten. Aber dafür wäre auf dem Parkett der Punk ganz anders abgegangen…
Nein: Man tanzt heute nicht den Tango, wie er einmal war. Gott bewahre! Schon gar nicht der Menschentyp früherer Zeiten. Stattdessen richtet sich die Tango-Werbung auf gut situierte Boomer, welchen man vormacht, der Tango sei schon immer der Tanz der feinen Gesellschaft gewesen, ein elitäres Hobby der Besserverdienenden. Genau bei denen setzt das Marketing an, um ihnen genug Kohle aus dem Kreuz zu leiern. Großen Wert aufs Tanzen legen die Gäste schon altersbedingt eh nicht – wieso dann viel Platz anbieten, den man gewinnbringender füllen kann?
Und um abschließend die Frage zu beantworten: Wieso glauben die Kunden diesen Käse? Ganz einfach. Weil sie es wollen!
Hm...ein kleiner Rant zum sozialen Kontext des Tangos, plus ein paar Bosheiten ad hominem. Wie genau hat das jetzt was mit dem Thema "Platzbudget auf der Piste" zu tun?
AntwortenLöschenDas wird nicht verraten. Aber vielleicht kann die KI weiterhelfen?
LöschenNa schön, wenn Du es erwähnst - ich hatte tatsächlich überlegt, Dir vorzuschlagen, für Boshaftigkeiten zukünftig ChatGPT zu verwenden. Mein kleiner Test (siehe "Automatisatire") deutet darauf hin, daß sie es jetzt schon besser und unterhaltsamer kann.
LöschenNa, das ist doch schön! Dann weiterhin viel Erfolg. Auf weitere werbeträchtige Kommentierungen von mir solltest du dich aber nicht verlassen.
LöschenAch ja und übrigens: Zufällig kenne ich das Encuentro, von dem das Video stammt. Bißchen schlampige Arbeit, Gerhard. Der Herr mit der Schiebermütze ist nicht der DJ, sondern der Hausfotograf. Sieht man auch auf dem Bildschirm. Das visuelle Signal für "DJ" ist das Mischpult, auch im Video kurz zu sehen, die DJane trägt sowas wie ein kleines Schwarzes.
AntwortenLöschenBesten Dank! Diese Korrekturen geben meinem Artikel einen ganz neuen Sinngehalt.
LöschenLieber Gerhard,
AntwortenLöschendu bist wirklich ein Phänomen. Statt dich mit echten Argumenten auseinanderzusetzen, machst du das, was du am besten kannst: Dich an einer Kleinigkeit hochziehen, aus einem simplen Video eine verschwörungstheoretische Kapitalismus-Parabel basteln und am Ende so tun, als wärst du der letzte Tango-Wächter, der gegen den angeblichen Verfall der Tanzkultur kämpft.
Natürlich, stilvolle Veranstaltungen sind dir ein Dorn im Auge. Klar, dass du dich über Menschen lustig machst, die echte Risiken eingehen, tausende Euro investieren und Herzblut hineinstecken, um Tänzern ein unvergessliches Erlebnis zu bieten. Aber was sollst du auch anderes tun? Du kannst es nicht – also machst du es schlecht.
Und jetzt versuchst du, mein Video als Symbol für die Kommerzialisierung des modernen Tangos zu verkaufen? Weil ich es gewagt habe, eine Veranstaltung zu organisieren, die nicht in einer stickigen Turnhalle oder einem miefigen Vereinsheim stattfindet? Weil dort nicht nur Leute mit verbeulten Schuhen und verschwitzten Hemden tanzen, sondern Menschen, die sich bewusst für eine stilvolle Atmosphäre entscheiden?
Ich habe ein Tango-Ambiente geschaffen, von dem viele träumen – und das nicht nur regional, sondern international. Ich ziehe ein Publikum aus verschiedenen Ländern an, Menschen, die genau dieses Erlebnis suchen. Ja, die Leute geben Geld aus – weil sie genau das erleben wollen.
Und du? Sitzt in deinem Dorf, mit deinem 20 Jahre alten Windows-Rechner, mit verwixter Tastatur, und hackst abfällige Blogartikel über Dinge, von denen du keinen blassen Schimmer hast.
Während andere echte Verantwortung übernehmen, investieren und hochwertige Tango-Erlebnisse schaffen, sieht dein „Tango-Universum“ folgendermaßen aus:
♦ Eine Wohnzimmer-Milonga, die man besser als verkappte Kaffeekränzchen-Tanztherapie für Frustrierte bezeichnen könnte.
♦ Weißwurst, Brezeln und abgestandenes Bier – bestenfalls kurz vor dem Ablaufdatum gekauft, weil’s fast nix kostet.
♦ Getanzt wird im versifften Schlafanzug – stilecht mit Birkenstock-Schlappen und Wollsocken.
♦ Ein Tanzstil, der irgendwo zwischen „verunfalltem Gehversuch“ und „ich bewege mich mal, damit mein Kreislauf nicht ganz absackt“ liegt.
Aber klar, alles andere ist „elitär“ – denn warum sollte Tango auch etwas sein, das über dein Dorf-Mief-Niveau hinausgeht?
Gerhard, du bist nicht der große Tango-Philosoph. Du bist der grantige alte Mann im Bademantel, der das Licht in seiner Wohnung ausmacht, damit niemand sieht, wie schlecht er tanzt.
Und genau das ist der Unterschied: Manche schaffen etwas, andere zerreißen sich das Maul darüber.
Mach ruhig weiter mit deinen Blog-Analysen, während die echte Tangowelt dich längst abgehängt hat. Tango wird auf der ganzen Welt mit Stil und Leidenschaft getanzt – nur du sitzt verbittert daneben und tippst dich in die Bedeutungslosigkeit.
Beste Grüße,
Christian
Lieber Christian,
Löschendas ist mir nicht mal eine größere Antwort wert. Nur so viel: Wenn du jetzt verbal aufrüstest, schreibst du künftig fürs Spam-Archiv.
Lieber Gerhard, neue Erfahrung? So fühlt sich das an, wenn jemand, dem Du, pardon my French - ordentlich ans Bein gepinkelt hast, sich wehrt. Schmerzhaft? Bestimmt. Aber so ist das eben - wer austeilt, muß nicht nur, (wie Du mal so schön hintersinnig geschrieben hast) austeilen können - das kannst Du sicher - sondern riskiert auch ein entsprechendes Echo.
LöschenNö, keine neue Erfahrung. Stattdessen ein Argument, das man mir schon viele Male angedient hat.
LöschenAber wer nicht zwischen Florett und Holzhammer unterscheiden kann, spielt hier nicht mit. Er hat ja viele andere Möglichkeiten, die Welt mit seinen Sprüchen zu versorgen.
Hallo Herr Riedl,
AntwortenLöschenSorry, wenn ich mich in Ihren Videowettstreit einmische, aber finden Sie, dass Sie mit diesem Beitrag eine adäquate Antwort auf Christian Bayreuthers Kritik an Ihrem Video formuliert haben?
Etwa, indem Sie seinen Werbefilm auf Tango-Authentizität und seinen Bezug auf historische soziale Klassen des ‚originalen Tangos‘ abklopfen? Ist Ihnen da nichts originelleres eingefallen? Sie sind doch sonst immer so sorgsam, um satirisch zu wirken.
Hier klingt es, als hätten sie mit Schnappatmung einen ‚Rache-Schnellschuss‘ fabriziert. Da hätte ich mehr erwartet.
Aber immerhin ist Ihnen gelungen, dass Christian in diesen - wenn auch nur kurzen - Ausschnitten 10x eleganter und versierter wirkt als in Ihrem Video mit diesem ‚Wohnzimmergeschlurfe‘, das Sie Tango nennen. Das nennt man wohl einen ‚Schuss ins eigene Knie‘.
Noch etwas: Ihre aus Ihrer Fantasie stammenden Vorstellungen […]“…Nein: Man tanzt heute nicht den Tango, wie er einmal war. Gott bewahre! Schon gar nicht der Menschentyp früherer Zeiten.“[…] sollten Sie mal faktisch überprüfen, wenn Sie schon hier belehren möchten.
Es gibt nämlich nur sehr wenige historische Filmausschnitte, die den Tango zeigen, ‚wie er einmal war‘. Wie wollen Sie es dann beurteilen?
Im Übrigen hatte Argentinien in den 40er Jahren seine wirtschaftliche Blütezeit und war einer der wohlhabendsten Länder der Welt. Da werden also wohl nicht nur arme Menschen getanzt haben.
Im Übrigen waren die Tanzpisten bei Großveranstaltungen so voll, dass man kaum einen Fuss vor den anderen setzen konnten. Dies nur mal zur Historie über ‚gewinnbringenden Tango, wie er einmal war‘.
Der Tango war in seiner 120-jährigen Geschichte so wechselhaft und vielschichtig, dass er sich nicht mit so platten Aussagen wie „Tango einmal war.“ beschreiben lässt.
Wenn Sie wirklich immer wieder in Ihren Beiträgen darauf Bezug nehmen möchten, um so gewagte Aussagen zu machen, sollten Sie wenigsten einmal in Ihrem Leben in die „Academia Nacional de Tango“ in Buenos Aires besuchen, um sich als Tango-Blogger ein minimal-fundiertes Wissen über Tango anzueignen.
https://es.wikipedia.org/wiki/Academia_Nacional_del_Tango_de_la_República_Argentina
Ich bin gespannt auf Ihre nun folgenden Relativierungen.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Wendel
Sorry, da gibt es nicht mal Relativierungen. Aber wenn Sie meinen, hier den Varbalradikalen geben zu müssen, schreiben Sie demnächst wieder ins Nirwana. Kapiert?
LöschenLieber Gerhard Riedl,
AntwortenLöschenich habe Ihren Beitrag und die Diskussion dazu gelesen und möchte dazu ein paar Gedanken teilen. Beim Lesen habe ich mich gefragt, ob es Ihnen vor allem um den Tango oder eher um persönliche Differenzen geht. Das wäre schade, denn der Tango lebt von Begegnung, Respekt und der Freude am gemeinsamen Tanzen – Werte, die auch in der Art, wie wir über ihn sprechen und schreiben, zum Ausdruck kommen sollten.
Was die Encuentros von Christian Beyreuther angeht, so gehören sie für viele zur höchsten Qualität im Tango. Sein Ziel ist es, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern besondere Erlebnisse zu ermöglichen – mit großem persönlichem Einsatz und finanziellem Risiko. Ich bin sicher, dass auch Sie mit Ihren Veranstaltungen ähnliche Ziele verfolgen.
Gerade weil wir alle den Tango lieben und eigene Vorstellungen davon haben, wie er gelebt und organisiert werden sollte, wäre es schön, wenn wir diese Vielfalt wertschätzen und die Diskussion sachlich führen. Es geht um Tango – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Herzliche Grüße,
Thomas Juli, Bern
Lieber Herr Juli,
Löschenwenn Sie sich die Artikel seit dem 12.3. ansehen, werden Sie feststellen, dass es mir zunächst überhaupt nicht um Christian Beyreuther ging. Ich hatte ihn mit keinem Wort erwähnt.
Vielmehr hielt er es für richtig, sich mit zunehmender Schärfe einzumischen (den schlimmsten Beitrag habe ich dann gar nicht mehr veröffentlicht).
Wenn Ihnen die Veranstaltungen von Christian sehr gefallen, freut es mich für Sie. Aber man muss es halt auch ertragen, wenn mir manche Verhältnisse in unserem Tanz nicht zusagen. Dann reagiere ich darauf mit satirischen Artikeln. Ich kann auch nicht verhindern, wenn andere Lobeshymnen verfassen.
Persönlichen Differenzen gehe ich so gut wie möglich aus dem Weg, weil es mir um die Sache geht. Das habe ich in vielen Veröffentlichungen zu erklären versucht. Dass sich trotzdem manche Leute auf den Schlips getreten fühlen, kann ich nicht in jedem Fall verhindern.
Mein Engagement für den Tango lässt sich mit dem von Christian (und so weit ich gesehen habe, auch Ihrem) nicht vergleichen. Mir ging es nie darum, mit finanziellem Aufwand (und vielleicht auch Ertrag) Events aufzuziehen. Was wir im heimischen Wohnzimmer veranstalteten, waren private Treffs einiger Tangobegeisterter. Unsere Kosten hielten sich in engen Grenzen, und Geld dafür haben wir nie verlangt.
Für meine Leser zur Info: https://community.gemeinsamerleben.com/community/weiterbildung/appointments/bwXVS7o3Kjp
Ich schätze die Vielfalt im Tango sehr. Daher sehe ich auch manches bei unserem Tanz anders als die Vertreter des Mainstream. In über 11 Jahren Bloggen habe ich leider die Erfahrung gemacht, dass damit einige offenbar nur schlecht leben können. Das muss ich ertragen – die anderen aber auch.
Besten Dank für Ihren Beitrag und Grüße nach Bern
Gerhard Riedl