Wendels Magnum Opus
Kann es denn sein, dass ich einen derart hochwichtigen Artikel anderthalb Jahre übersehen habe? Oder hatte der Autor ihn bislang versteckt?
Wie dem auch sei: Ein Magnum Opus meines Haupt- und Dauerkritikers Klaus Wendel, Tangolehrer aus Essen sowie Leidenschaft, darf ich nicht unkommentiert lassen. Man findet es auf seinem Blog unter dem Titel „Die Politisierung des Tangos“. Hier der Originaltext, dessen Lektüre ich gerne empfehle:
https://www.tangocompas.co/die-politisierung-des-tangos/
Das Werk ist derart umfangreich, dass ich – sorry – nicht auf alle Aspekte eingehen kann, damit meine Antwort nicht zu sperrig gerät.
Einleitend rät Wendel vom Kauf meines Tangobuchs mit dem „fachwissen-vortäuschenden Titel“ dringend ab. Na gut, gehört zur Tradi-Folklore. Geschenkt.
Auch meine Arbeitsmethode im Blog missfällt ihm:
„Er zieht z.B. Diskussionskommentare, die besonders polemisch erscheinen, per Copy & Paste auf seinen Blog und seziert sie ausgiebig mit Genuss vor seinem Leserpublikum, um durchaus gut formulierten Lesestoff mit satirischen Einstreuungen für seine Blog-Fans zu produzieren.“
Ja, sicher mache ich das – ich will ja meine Leserinnen und Leser nicht langweilen! Man liest immer gerne, dass andere noch blöder sind. Ebenso wahr ist allerdings, dass viele meiner Veröffentlichungen nicht diesem Schema folgen.
Ebenfalls begibt sich Wendel, auch nicht neu, in den Dschungel einer Satire-Definition. Besonders gefallen hat mir der Satz:
„Gute Satire sollte nämlich auch bei mäßig bemittelten Lesern als solche erkennbar sein.“
Nein, mit Verlaub, sollte sie nicht. Das ist ja der Spaß dabei…
Weiterhin attackiert der Autor in bewährter Weise eine Eigenschaft, die man als „Prinzipientreue“ bezeichnen würde, wäre man mit meinen Ansichten einverstanden:
„Herr Riedl verteidigt seine Thesen mit einer Hartnäckigkeit, die man durchaus als ‚Beratungsresistenz‘ betrachten darf. Er will ja auch nicht beraten werden, weil er alles besser zu wissen glaubt; übrigens ein beispielhafter Fall des Dunning-Kruger-Effekts.“
Aha: Je blöder einer ist, für desto gescheiter hält er sich. Herzlichen Dank… Wenn’s mir nicht zu billig wäre, würde ich diesen Vorwurf gerne zurückgeben.
Passend dazu bemüht Wendel wieder das bewährte Kompetenz-Argument:
„Dabei ist sein dürftiges ‚Tangowissen‘ sehr durchwachsen von Standpunkten wie aus Sicht eines Tänzers der ‚Tango-Pubertäts-Phase‘, der die Tangowelt aus einem trotzig-revolutionären Blickwinkel betrachtet und deshalb einschlägige Erfahrungen der gesamten Tango-Welt grundsätzlich nicht zur Kenntnis nehmen will.“
Na ja, für eine „Gesamtmeinung der Tangowelt“ ist diese glücklicherweise zu bunt. Aber das mit der Pubertät sowie Revolution gefällt mir. Ich finde es ganz gut, sich eine gewisse Widerborstigkeit bis ins hohe Alter zu bewahren statt, wie Wendel, im harmonischen Lotossitz zu schweben :)
Breiten Raum lässt Wendel einem Bild, welches ich in einem Artikel so beschrieben habe: „Wir da oben – ihr da unten“.
„Das Gefühl der Ablehnung in der Tangowelt, die ja auch andere oft empfinden und das er vermutlich in diversen Milongas zu spüren bekam, veranlasst ihn nun, dagegen schriftlich zu rebellieren und sich gleichzeitig als Opfer der Tango-Hierarchien – einer Tango-Oberschicht, ihr da oben – zu betrachten.“
Einspruch, euer Ehren: In der analogen Tangowelt bin ich nie gedisst worden – und auch die Hoffnung, keine Frau würde mit einem wie mir tanzen wollen, hat sich nicht bestätigt – im Gegenteil!
Und ich stilisiere mich keineswegs als Opfer. Da ich mich kräftig wehren kann und dies oft auch tue, bin ich nämlich keines. Was nicht ausschließt, dass ich Angriffe auf mich veröffentliche. Damit dränge ich gewisse Herrschaften nämlich dazu, Verantwortung für ihre Attacken zu übernehmen. Ein recht erfolgreiches Prinzip!
Und ja, da hat der Autor völlig recht: Ich sehe mich als Vertreter derjenigen, die im Tango keine Stimme haben – beispielsweise, weil sie als ältere weibliche Person warten müssen, bis sie der gelegentlichen Gnade einer „Sozial-Aufforderung“ teilhaftig werden. Oder von männlichen Anfängern, welche von Milonguera-Gänsen ignoriert werden, weil sie noch nicht „dazugehören“. Von Leuten, die sich von dem ganzen Código-Mumpitz gegängelt fühlen. Auch von Menschen, die auf den Veranstaltungen gerne mal auch zu einer Tanda moderner Tangomusik tanzen würden, aber nicht über die spitzen Ellbogen der Tradi-Fans verfügen.
Klar, und da gebe ich Klaus Wendel völlig recht: Tango ist eine Realwelt, keine Traumwelt perfekter zwischenmenschlicher Harmonie. Und diese Hierarchien und Cliquen gibt es natürlich auch im Karnickelzüchterverein oder bei der Freiwilligen Feuerwehr. Wäre ich dort angesiedelt, würde ich solche Unsitten an diesen Stellen bekämpfen. So mache ich es halt im Tango.
Und nein, das sind keine „kleinen scheinbaren Hierarchien“, sondern durchaus reale und gravierende, die viele (mir oft persönlich bekannte) Menschen aus unserem Tanz vertrieben haben. Solange man sich im Tango nicht mit dieser lausigen „Willkommenskultur“ ernsthaft auseinandersetzt, wird man vorwiegend emotional abgehärtete Naturen anlocken.
Dankbar bin ich dem Autor für diese Bestätigung:
„Ich habe ja oft nach langen Diskussionen von Freunden gehört: ‚lass Dich doch nicht provozieren‘ –‚…warum lässt Du Dich immer wieder auf ihn ein?‘ – ‚…der hat doch sowieso keine Ahnung vom Tango‘ – ‚…der Mann ist nur bösartig‘ usw. (…)
Vielleicht breche ich mit diesem Beitrag sogar das Tabu der allgemein heimlich abgesprochenen Ignoranz gegen oder über die Person Gerhard Riedls, was mich auch zu diesem Beitrag veranlasste.“
Schön, es einmal schwarz auf weiß lesen zu dürfen, dass man in der Szene mit Kritikern auf eine Weise umgeht, die eher an autoritäre politische Regime erinnert: Bekämpfung durch Ignorieren und Flüsterpropaganda. Gäbe es nicht den Artikel 5 unseres Grundgesetzes, würde man wohl noch weiter gehen…
Breiten Raum eröffnet Wendel abschließend dem Thema „Profis versus Laien“. Wortreich schildert er die Mühen, sich in den Jahren einen „Schülerstamm“ aufzubauen, Unterricht und Milongas zu organisieren, um zunehmend vom Tango leben zu können.
„Doch seltsamerweise berufen sich ausgerechnet finanziell unabhängige Laien-Veranstalter, die oftmals noch einen Beruf haben und normal verdienen, dann auf die freie Marktwirtschaft, obwohl sie nie das finanzielle Risiko einer Tangoschule mit Veranstaltungsraum tragen mussten.“
Ich habe großen Respekt vor den Menschen, die ein derartiges finanzielles Wagnis auf sich nehmen, um ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen. Es sollte ihnen jedoch klar sein, dass es dafür keine Erfolgsgarantie gibt. Und schon gar nicht hilft es, über die böse Konkurrenz von Amateuren zu klagen. Ich kenne das Argument auch aus der Magier-Szene, wo es stets heißt: „Die Hobbyzauberer machen den Profis das Geschäft kaputt.“ In beiden Bereichen sage ich dazu: Würden die Berufler wirklich professionell arbeiten, wären Hobby-Aktivitäten locker auszuhalten – ja würden als Bereicherung gesehen.
Kein Wunder, dass Wendel zu einem sehr gegensätzlichen Fazit kommt:
„Wir haben im Tango keine Klassengesellschaft, Gottseidank, deshalb brauchen wir dort auch keine Sozialdemokratie, sondern nur einen netten und respektvollen Umgang miteinander; aber keine hämischen Artikel über die bösen Schulhofrüpel. (…)
Wir Tangoleute aber sollten uns in der normalen, der politischen Welt und der Tangowelt gegen Menschen wehren, die nur spalten wollen. (…) Bei Herrn Riedl habe ich auch nicht mehr den Glauben, dass er gutmeinend den Finger auf die Wunden legen will, sondern aus anderen Gründen ‚grantelt‘. Denn ich habe gehört, dass einige Menschen aus der Tangoszene ihm die Hand zu einem reflektierten Diskurs reichen wollten. Ich gehörte auch dazu. Er lehnt das jedoch reserviert ab, denn das würde ihm ja offenbar hämischen Schreibstoff für seinen Blog entziehen.“
Vorab schon mal: Die Ideen der Sozialdemokratie braucht man in ganz vielen Lebensbereichen. Und ich habe nicht vor, zur CSU zu konvertieren, um tango-kompatibel zu werden.
Wo Wendel recht hat: Tango ist nicht erst seit gestern politisiert. Ich habe das aber nie angestrebt oder gar eine Spaltung betrieben. Im Gegenteil musste ich zur Kenntnis nehmen, wie das konservative Lager zunehmend Ausgrenzungen betrieb, uns lehrte, was kein Tango sei, wie man nicht tanzen oder sich auf den Milongas verhalten sollte. Was man über Tango-Promis zu denken habe. Wer sich dem widersetzte, wurde persönlich heruntergeputzt.
Selber habe ich bis zur Erschöpfung für die Vielfalt im Tango plädiert – also das genaue Gegenteil von Spaltung. Die Einfalt streben andere an.
Wie man an den fast 4000 Kommentaren auf meinem Blog sehen kann, habe ich mich nie seriösen inhaltlichen Diskussionen verweigert, im Gegenteil. Und ich habe auch geduldig eine wohl fast dreistellige Zahl von Wendel-Zuschriften beantwortet. Selbst, wenn diese teilweise verbale Grobheiten enthielten. Wenn der Autor einmal selbstkritisch überlegen würde, welchen Kommunikationsstil er öfters pflegt, kämen wir weiter. Klar, manches resultiert daraus, dass er mich meist nicht überzeugen kann. Aber das muss er aushalten. Tue ich umgekehrt schließlich auch.
Und ich beschäftige mich fast ausschließlich damit, was er
sagt – und nicht mit seiner Person. Daher habe ich kein Problem
damit, ihm für den interessanten und teilweise auch sehr differenzierten Artikel
zu danken. Zumal ihm gelegentlich sogar ein Kompliment entschlüpft.
Das Hauptthema meines Blogs |
Es ist nicht hilfreich, die eigene tangotänzerische Jugend für die beste Zeit auf Erden zu halten, die von finsteren konkurrierenden Mächten zerstört wurde. Ich habe mir sagen lassen, dass die Imitation lausiger Videocassetten von den ersten Tango-Musicals die Grundlage für die ersten Tangolehrer war, wodurch auch das Tanzen entsprechend lausig ausfiel. Und naturgemäß wird die sich gründende Tango-Community von den etablierten Gesellschaftstanz-Schulen und -Vereinen damals gut ausgebildete Schüler abgezogen haben.
AntwortenLöschenNun läuft der Tango seit mindestens fünf Jahren durch eine Konsolidierung, wenn nicht eine Rezession. Das ist einfach keine schöne Zeit für Veranstalter, es sei denn man konnte frisch und schlank und wendig die Wirren der Coronazeit nutzen. Aber auch da sehe ich keinen grundlegenden Unterschied zu den Wirren der Anfangszeit.
Tja, es gibt halt Leute, die sich über vergangene Zeiten informieren lassen - und andere, die es selbst erlebt haben.
LöschenJa, ja, jaaa, ist immer spannend wenn ein Opa Geschichten vom Krieg erzählt. Und andere Opas erzählen andere Geschichten...
LöschenKlar - nur im Gegensatz zu realen Opas müssen es sich die Enkel nicht anhören. Der Blick auf Blogs ist freiwillig.
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