Wie es euch gefällt?
In einem Facebook-Forum, wo Tango-DJs gerne ihre profunden Kenntnisse austauschen, stellte eine auflegende Dame unlängst einmal mehr die „Gretchenfrage“ in diesem Metier:
„Ich tadle mich selbst dafür, dass ich kitschige Hits spiele, denn sie scheinen billige Tricks zu sein. Ich erschaudere, wenn ich Hugo Diaz-Milongas spiele, oh ja... Aber dann ist die Tanzfläche immer voll! Also, liebe DJs, was soll man tun? Spielt ihr das, was die Leute mögen oder nur das, was ihr ertragen könnt?“
Was einem selber nicht gefalle, wozu man persönlich nicht tanzen möge, das lege man auch nicht auf – so die Mehrzahl der Kommentatoren:
„Nun, vielleicht ist die Frage, die du dir stellen solltest: Warum bist du ein Tango-DJ oder möchtest es werden? Schließlich kannst du deine Lieblingsmusik auch zu Hause spielen...“
„Natürlich spielen wir für unser Publikum. Und das ist der Punkt. Als Tänzer verlasse ich jede Milonga, wenn Hugo Diaz gespielt wird. Als DJ kann ich mir sicher sein, dass ich niemals seine Musik spiele. Die Antwort auf deine Frage ist, deine Identität als DJ zu finden. Und daran festzuhalten. Dann bist du glücklich, und dein Publikum auch.“
„Aber ich habe meine Grenzen, ich kann einfach nicht etwas spielen, das ich für kitschig, untanzbar, furchtbar oder langweilig halte. Wenn also ein Veranstalter einen DJ für einen Abend sucht und weiß, dass das Publikum Hugo Diaz, Salamanca und das Orchestra Romantica Milonguera liebt, wird er mich nicht fragen. Denn ich werde diese Orchester nicht spielen.“
„Es gab einen sehr schönen Ratschlag von einem bekannten DJ: Bewahren Sie in Ihren Ordnern nur die Musik auf, die Sie persönlich mögen, und spielen Sie nur aus diesen Ordnern. Ist damit die Frage beantwortet?
P.S. Ich habe noch nie ‚alle Leute‘ gesehen, die zu Diaz tanzen.“
„Ich wurde nur DJ, damit ich zu jeder Tanda tanzen konnte, die mir gefiel, und hoffentlich Tangueros mit meinem Musikgeschmack anstecken konnte, die wiederum andere DJs dazu bringen würden, nette Musik (meinen Stil) zu spielen, so dass, wenn ich auf Milongas ging, die Musik endlich nett sein würde – aus meiner Sicht natürlich.“
Gelegentlich wurde die harte Haltung doch etwas relativiert: Nur was einem mächtig gegen den Strich gehe, werde aussortiert, beim großen Rest habe das Publikum das Sagen:
„Wenn ich als Tänzer etwas wirklich hasse, werde ich es als DJ nie spielen, egal ob es funktioniert oder nicht. Alles andere könnte und sollte verwendet werden, um die Leute zum Tanzen zu bringen. Wenn es diesen ersten Filter passiert, spielt meine persönliche Vorliebe keine große Rolle mehr.“
Es gab jedoch auch Stimmen, welche die eigene Rolle ausschließlich als Dienstleistung für das Publikum verstehen:
„DJs werden engagiert, damit die Leute eine gute Zeit haben! Und das gilt für alle Veranstaltungen, nicht nur für Tango!“
Und, oh Wunder, einzelnen DJs gefiel der angesprochene Interpret sogar:
„Ich spiele häufig die ‚Milonga para una armonica‘ von Hugo Diaz. Sie ist reich an dynamischen Variationen, und die Tänzer lieben sie, weil sie große Improvisationen im Tanz ermöglicht. (…) Sollten wir es als DJs nicht vermeiden zu sagen: ‚Ich spiele diese oder jene Orquesta nicht‘? Vorlieben und Abneigungen sind subjektiv, wir beobachten die Tanzfläche und die Tänzer - wir sehen ihre Vorlieben und ihr Tanzniveau und passen unsere Musik während der Milonga an.“
Quelle: https://www.facebook.com/groups/TangoDJForum (Post vom 3.11.22)
Wie halte ich es selber damit?
Klar, ich spiele auch keine Aufnahmen, die mir selber nicht gefallen, zu denen ich nicht tanzen möchte (und im Unterschied zu vielen Kollegen bin ich oft auf dem Parkett aktiv). Das bedeutet aber nicht, dass ich nur meine Favoriten auflege. Schließlich möchte ich ja möglichst viele Geschmäcker berücksichtigen. Persönlich reizen mich beispielsweise Elektrotangos nicht sehr. Viele lieben allerdings den meist ziemlich heftigen und eingängigen Rhythmus.
Mit Kitsch habe ich jedoch keinerlei Probleme. Nach meiner Erfahrung gibt es zwei entscheidende Optionen, eine ziemlich leere Tanzfläche wieder zu füllen: schwungvolle Walzer oder süße Schnulzen. Ich weiß nicht, wie oft ich Valses von Pedro Laurenz und Fresedos „Vida mía“ oder „Sollozos“ schon aufgelegt habe – stets mit dem Ergebnis, dass fast jeder (und jede) aufs Parkett eilten!
Ich glaube aber, dass die meisten DJs einige wichtige Punkte notorisch übersehen:
Das Publikum sollte wissen, was zu erwarten ist. Ich habe in vielen Jahren sicherlich Zehntausende von Milonga-Ankündigungen gelesen. In höchstens zehn Prozent der Fälle wird wenigstens ungefähr angedeutet, auf welche Musik man sich einzustellen hat. Und die Verheißung, ein DJ lege „traditionell“ auf, sagt nicht viel. Das kann im Einzelfall furchtbar öde oder durchaus interessant werden.
Einige Andeutungen mehr wären da schon hilfreich – am besten
natürlich eine Playlist, welche der DJ schon einmal gespielt hat. Wer zu
unseren Veranstaltungen kam, konnte sich anhand meiner Veröffentlichungen
ein klares Bild davon machen, welche Musik ihn oder sie erwarten würde. Leider
fand diese Strategie in vielen Jahren kaum Nachahmer. Mir war es stets wichtig zu zeigen, was auch Tango sein kann.
https://milongafuehrer.blogspot.com/search/label/Gerhards%20Tandas
https://milongafuehrer.blogspot.com/search/label/Playlists
Auch das Eingehen auf das Publikum, die jeweilige Stimmung ist nach meinen Beobachtungen unterentwickelt. In vielen Fällen wird halt doch eine längst vorbereitete Playlist abgenudelt, während der DJ im Internet surft, Mails schreibt oder sich sein Abendessen schmecken lässt. Wer nicht bereit ist, mit seiner Musiksammlung kreativ umzugehen, sollte diesen Job nicht machen!
Mein Tangofreund Peter Ripota hat einmal geschrieben, das Schlimmste beim Tango argentino sei, so zu tanzen wie alle anderen. Ich finde, das gilt auch fürs Auflegen. „Traditionelle“ DJs scheinen sich musikalisch so wenig wie möglich von den Kolleginnen und Kollegen unterscheiden zu wollen. Verständlich, da man bei Beachtung der vielen Regeln fürs „korrekte Auflegen“ kaum noch originelle Tandas findet, welche andere nicht längst auch schon spielen.
Als ich vor beinahe 20 Jahren mit der Musiklieferung bei Milongas begann, war mein Ehrgeiz genau umgekehrt: Ich wollte zumindest auch Titel bieten, welche die anderen nicht spielen. Gerade der moderne Tango bietet hier ja ein weites Feld für kreative Gestaltung. Und dieser Ansatz wurde mit der Zeit immer einfacher, da der Rest eh das immer gleiche Zeug bot.
Dazu passen auch die weitgehend uniformen Selbstbeschreibungen der Kollegenschaft: Bis vor einiger Zeit wurde treuherzig versichert, man legen rein traditionell auf. Inzwischen lese ich immer öfter den Zusatz, dies schließe gelegentliche aktuelle Interpretationen klassischer Stücke nicht aus. Ja, es lebe die Vielfalt!
Das Elend wird dadurch verstärkt, dass immer mehr Leute, welche eine digitale Musikdatei einigermaßen verwalten können, den DJ geben wollen. Die Zahl der Gigs hat sich jedoch eher verringert, so dass nach meinem Eindruck in der Szene ein zunehmendes Hauen und Stechen um die begehrten Plätze am Mischpult stattfindet. Hat man dann die ersehnte Einladung endlich ergattert, legt man dort auf Gedeih und Verderb auf.
Meine Strategie war stets: Es gibt viele Milongas, auf denen ich nichts zu gewinnen habe. Das Publikum und ich würden einander nur auf den Geist gehen. Warum sich also sehenden Auges ins Unglück stürzen?
Solche Erfahrungen habe ich auch als Zauberer und Moderator gemacht. Sicher, am Anfang freut man sich über jedes Engagement. Mit der Zeit aber lernt man: Unterirdische Angebote machen weder einen selber noch gar die Gäste glücklich. Daher: Was gestrichen ist, kann nicht durchfallen.
Hugo Diaz würde ich gerne auflegen. Der Mundharmonika-Virtuose spielte neben Tangos auch Klassik und Jazz. Er starb 1977.
https://de.wikipedia.org/wiki/Hugo_D%C3%ADaz_(Musiker)
Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: In fast allen Bereichen versuchen DJs, möglichst aktuell aufzulegen (außer vielleicht beim Tanztee im Altenheim). Lediglich im Tango hat man Probleme mit einem Künstler, der bereits 45 Jahre tot ist…
Daher abschließend – besonders für alle, die das Stück noch nicht kennen – die „Milonga para una armónica“. Und tanzen kann man dazu auch:
https://www.youtube.com/watch?v=jZgJR0M8pl0
Lieber Gerhard,
AntwortenLöschendas stimmt so nicht mit dem Tanztee im Altersheim!
Meine Oma war die älteste Djane Bayerns mit ihren um die 80 Jahren beim berühmten AWO Senioren Tanztreff in Augsburg. Und sie achtete sehr streng darauf, nicht nur "den alten Käse" zu spielen, sondern den betagten Tänzerinnen und Tänzern auch zeitgenössische, moderne Musik hineinzudrücken. Die Tanzfläche war immer voll. "Dass die fit im Kopf bleiben!" war ihre Begründung. Na ja, mir hätte bei meinen Besuchen dort "der alte Käse" besser gefallen. Aber was weiß ich schon, ich "junges Gemüse"?
Herzliche Grüße
Manu
Liebe Manu,
Löschenalso legt man selbst im Altersheim gelegentlich moderner auf als auf vielen Milongas... diese Tatsache muss man erstmal wirken lassen!
"Dass die fit im Kopf bleiben!" wäre natürlich auch ein Rezept im Tango. Dazu muss es dann halt auch mal etwas Modernes oder Komplizierteres sein. Aber wem sage ich das?
Danke und liebe Grüße
Gerhard
Also Du wirst nicht "Milonga Sentimental" von Francisco Canaro spielen, und andere nicht "Milonga para una Armónica" von Hugo Diaz. Klingt für mich nach einem guten Plan, beides. Und ich ziehe es auch vor bei Veranstaltungen aufzulegen, auf denen ich mich wohl fühle.
AntwortenLöschenEine Playlist zu veröffentlichen erfordert einen begleitenden Personenkult auf der Website. Bei meiner Stamm-Milonga wird das nicht gemacht, die Stamm-Besucher lesen den Namen und wissen aus Erfahrung was sie erwartet. Es gibt ja auch noch andere wichtige Dinge bei einem DJ wie persönliches Auftreten und Tonqualität.
Der Unterschied ist nur: Ich renne nicht gleich aus einer Milonga, wenn man mal wieder die Canaro-Version von "Milonga sentimental" abnudelt. Ist auf der anderen Seite (siehe Kommentare im DJ-Forum) nicht so sicher.
LöschenIch lese mit Erstaunen, dass man bei euch nur auf das Stamm-Publikum Wert legt. Na gut, das muss man natürlich nicht informieren. Für die sonstige "Willkommenskultur" wäre es vielleicht doch nützlich.
Viele DJs haben durchaus Webseiten und betreiben insofern deutlichen "Personenkult" - verständlich, man will ja engagiert werden. Nur beim Thema "favorisierte Musik" liest man meist nur ein paar Allgemeinplätze. Ist schon seltsam, wie ich finde.
Mir wäre die Selbstdarstellung in dieser Hinsicht lieber als auf der Milonga selber. Und die Tonqualität (siehe Hörschwächen beim angejahrten Publikum) ist weit weniger als viele DJs sie nehmen.
Naa, ich rede nicht von technischen Spezifikationen oder audiophilen Feinheiten, sondern von krassen Fehlleistungen wie unangepasster Lautstärke, brummenden Bässen und kreischenden Höhen. Das führt nach meinen Beobachtungen auch unterschwellig dazu, dass die Leute früher und unzufrieden nach Hause gehen.
LöschenIch persönlich höre für die kommende Milonga das Grundgerüst, also das wozu ich mal wieder tanzen möchte, mehrere Male komplett durch. Dabei quäle ich meine Ohren nicht mit schlechten Transfers. Und was mich musikalisch (ver)stört fliegt raus.
Beides lässt sich kaum glaubwürdig auf einer Homepage darstellen, Standardfloskeln überlese ich großzügig.
Und für die "Willkommenskultur" belasse ich die Verantwortung beim Gastgeber.
Schön, wenn man die Verantwortung delegieren kann...
LöschenFür mich ist die Willkommenskultur im Tango eine Aufgabe aller Teilnehmenden. Und besonders von Zentralfiguren. Der Fisch stinkt auch dabei vom Kopf her.
Auf Milongas ohne einen sich kümmernden Gastgeber, der es als seine Aufgabe ansieht dass sich möglichst viele wohlfühlen, geht es schnell ruppig zu. Dafür sollte er m.E. schon an oder direkt hinter der Kasse präsent sein.
LöschenAls DJ übernehme ich vom Gastgeber speziell die Aufgabe, dass möglichst viele tanzen, nicht mehr und nicht weniger. Ich sitze auch am anderen Ende des Saales und brülle eher nicht in Kirmes-Manier "Daaaamenwaaaahl", außer der Gastgeber würde das explizit wünschen.
Zum Thema "Daaaamenwaaaahl" ein Schwank aus meinem (Tango-)Leben:
Löschenes ist viele Jahre her, in einer Münchner Milonga probierten sie es tatsächlich aus, auch die Damen zum Auffordern zu bringen, und machten tatsächlich eine "Damenwahl"-Tanda.
Meine Begleiterin ging also los und forderte einen der Herren auf, der aber auch das Ziel einer anderen Dame war. Meine Begleiterin war schneller und hat quasi "gewonnen". Sie meinte dann zu der anderen mit einem kurzen Wink in Richtung zu mir sinngemäß, dass sie mich empfehlen könne.
Die andere Dame meinte aber nur: "den kenne ich nicht", drehte sich um und ging zu ihrem Platz zurück ...
Tja, was der Bauer (oder die Bäuerin) nicht kennt, das frisst er (oder sie) nicht. Leider ein beim Tango übliches Verhalten.
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