Was Ihnen Ihr Tangolehrer nicht erzählt… 26
In der letzten Zeit machte ich mehrfach diese Beobachtung: Wenn ich mal den Tanzsaal verließ oder wieder betrat, bewegte ich mich natürlich ganz außen, um die Paare nicht zu stören. Manchmal blieb ich auch stehen, wenn Tanzende das Parkett bis zu Rand ausnutzten. Was mir immer wieder auffiel: Obwohl ich bewusst sehr langsam und vorsichtig ging, war ich immer noch deutlich schneller als die Leute auf der Tanzfläche.
Wenn man Laien fragen würde, ob man Tanzen oder langsames Gehen mit mehr Tempo gestaltet, würden die meisten wohl auf das Erste tippen. Tatsächlich ist beim Tango das Gegenteil der Fall! Der viel beschworene Fluss der Ronda gestaltet sich also mehr als zäh. Woher kommt das?
Zunächst steht wieder einmal die Tango-Ideologie im Weg: Man habe gefälligst in seiner Spur zu bleiben und nicht zu überholen. Klar, dass dann der Langsamste das Tempo bestimmt. Noch schwieriger wird es, falls es auf dem Parkett – wie so oft – gesteckt voll ist. Das liegt am Herdenverhalten der Tango-Population: Wenn viele eine Milonga besuchen, will der Rest, eben aus diesem Grund, auch noch hin. Nach meinen Erfahrungen ist aber der Publikums-Zuspruch kein Qualitätsmerkmal für eine Tangoveranstaltung, eher im Gegenteil.
Öfters habe ich den Eindruck, dass es viele besonders auf die Piste zieht, wenn dort Gedränge regiert. Man kann dann ja gar keine schwierigen oder raumgreifenden Sachen machen, selbst wenn man sie beherrschte – was natürlich kaum der Fall ist. In der Vergangenheit hat man zu dem Behufe ja sogar Tanzflächen verkleinert.
Der Hauptgrund für den Stillstand ist jedoch in meiner Sicht, dass die Männer viel zu oft versuchen, am Platz irgendwelche komischen Figuren zu drechseln, anstatt mit einfacheren Schritten in den Flow zu kommen, sozusagen auf der Musik zu „surfen". Dabei konzentriert sich die Aufmerksamkeit der Herren – gerne mit Blick nach unten – auf die Füße der Partnerin. Und wenn die nicht tut, was von ihr erwartet wird, setzt man das Ganze mit Drücken, Schieben und Zerren durch – was öfters nicht mal mit diesen Zwangsmaßnahmen gut gelingt, vor allem aber unelegant bis bescheuert aussieht.
Neben der Möglichkeit, mal endlich von der Stelle zu kommen, geraten zwei Faktoren außer Acht, die im Tanz nicht ganz unwichtig sind: die Musik sowie die Navigation auf der Fläche.
Ich erlebe das auch gelegentlich beim „Abklatschen“ während eines Geburtstags-Vals: Es erfordert schon dabei oft sehr deutliche und wiederholte Signale, um einen Tänzer aus der Versenkung zu holen. Auf dem Parkett habe ich mir längst abgewöhnt, darauf zu hoffen, dass mir mal Paare in meiner Umgebung ausweichen. Das ist offenbar weitgehend meine Aufgabe…
Ich kenne einige örtliche Tangoszenen seit vielen Jahren ziemlich genau und staune immer wieder, dass tänzerische Fortschritte eher ausbleiben – obwohl man reihenweise argentinische (oder sonst wie bedeutende) Lehrkräfte durchs Städtchen treibt.
Die Ursache ist in meiner Sicht, dass der Unterricht weiterhin viel zu sehr auf Figuren setzt – Musikalität, gar Navigation spielen bestenfalls Nebenrollen. Und den Männern wird aufgedrückt, sie müssten die Bewegungen der Frauen kontrollieren. Wieso eigentlich? Die können doch selber tanzen, oft besser als ihre Partner!
Ich glaube, man müsste beim Tango vieles vom Kopf auf die Füße stellen:
Einige einfache Grundbewegungen reichen anfangs durchaus, um einen passablen Tango zu tanzen. Vom ersten Moment an sollte man aber die Musik ins Zentrum des Lernens rücken. Und das nicht nur zur üblichen Di Sarli-Dauerschleife, sondern zu abwechslungsreichen Stücken, die geradezu zum Hören zwingen.
Gleichzeitig sollte man das Schauen zu den Füßen abstellen! Beide Tanzende müssen mit erhobenem Kopf ihre Umgebung beobachten und kreativ freie Räume ansteuern. Dies erfordert, dass man Schritte von Anfang an variieren, also den Verhältnissen im Umfeld anpassen muss, statt ein vorgefertigtes Repertoire abzunudeln. Wo und auf welchem Fuß der (oder die) andere steht, welche Bewegung gerade ausgeführt wird, muss man fühlen!
Ebenso hat man den Abstand im Paar elastisch den Notwendigkeiten anzupassen, statt die Lernenden permanent in die heute übliche enge Tanzhaltung zu pressen, in der viele Bewegungsoptionen schwieriger, wenn nicht gar unmöglich werden.
In den „Workshops“ ist heute viel von der „Verständigung im Paar“ die Rede. Das ist durchaus löblich, wenn man dabei nicht übersieht: Tanzen ist eine Fähigkeit, die jeder und auch jede (!) zunächst allein erlernen muss. Der Ansatz, zwei Zweibeiner von vornherein zu einem künstlichen Vierbeiner zusammenzuspannen, erzeugt viele Probleme, welche letztlich eine Ursache haben: Das so geschaffene Fabelwesen hat halt auch zwei Köpfe!
Ich rate allen Führenden, sich zunächst einmal auf das eigene Tanzen zu konzentrieren und davon auszugehen, dass die Folgende sich nicht schlechter bewegt als man selber, und sie die Aktionen des anderen einschätzen kann. Viele Bewegungsmuster im Tango laufen eh über den Außenbereich, so dass man einander eher nicht auf die Füße treten kann. Wenn man selber technisch sauber und elegant seine Schritte setzt, also klar tanzt, ist das für die Partnerin eine größere Hilfe, als wenn sie ständig in irgendwelche schwierigen Schrittkombinationen gedrückt wird.
Wenn sich somit beide auf ihre eigenen Bewegungen, ihre optimale Balance konzentrieren, ist das die beste Grundlage für die nötige Verständigung. Bei Missverständnissen müssen beide ihre ursprünglichen Intentionen sofort abbrechen und via einfache Aktionen den Kontakt wiederherstellen.
Ein Trick, der mir schon unzählige Male geholfen hat: Wenn es mal hakt, gehe ich sofort auf Abstand und lockere die Tanzhaltung (außer, wenn die Tänzerin hinzufallen droht). So wird der Stress aus der Situation genommen. In der Praxis erlebt man meist das Gegenteil: Der Führende erhöht die Spannung und zieht die Folgende noch enger heran, was die Probleme verstärkt.
Mein Tipp: Beim Üben (das tun Sie doch hoffentlich, oder?) könnten Sie einmal die Tanzhaltung immer mehr lockern und schließlich ganz aufgeben. Die Verständigung läuft dann also nur noch „optisch“. Sollte es dabei umgehend zur Katastrophe kommen, sollten Sie einmal ihren Kommunikations-Modus überdenken – ebenso die eigenen tänzerischen Fähigkeiten. Wir haben solche Manöver immer wieder bei unseren „Wohnzimmer-Prácticas“ probiert und können versichern: Nach einiger Zeit der Beschäftigung mit dem Ungewohnten sind die Fortschritte mit Händen zu greifen. Beide tanzen und verständigen sich wesentlich besser. Und zwar ohne Krampf.
Grob gesagt repräsentiert dieser Ansatz in etwa das Gegenteil dessen, was im üblichen Tangounterricht gelehrt wird. Ich fürchte daher, er wird sich nicht durchsetzen – außer vielleicht bei einigen Leserinnen und vor allem Lesern dieses Blogs.
Vor vielen Jahren hörte ich von einem Tangofreund einmal sinngemäß:
Alles, was wir tun können, ist, so zu tanzen, wie es nicht den Regeln entspricht und doch funktioniert. Dann wird schon was draus.
Recht hat er!
Und hier noch zwei, die allein und doch zusammen tanzen: Sonja Armisén und David Tobias Schneider:
https://www.youtube.com/watch?v=9v-P1Yg4-eY
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