Der letzte Kaffee
Wieder einmal danke ich Thomas Kröter für die Verlinkung eines Videos, das mich in mehrfacher Weise gepackt hat:
Zunächst natürlich das mir bislang unbekannte Tanzpaar: Nella Michaud und Michael Thomas. Was sie machen, gehört nicht nur zur technischen Spitzenklasse. Ihr Tango ist genau diese Gratwanderung zwischen Akrobatik und Sensibilität, Emotion und Kalkül, Melancholie und Leidenschaft, die für mich die Faszination dieses Tanzes ausmacht.
Das im obigen Facebook-Eintrag verlinkte Video ist auf YouTube nicht greifbar, daher hier ein ähnliches. Michaud und Thomas zeigen diese Choreografie (mit kleinen Änderungen) schon einige Jahre, beispielsweise auf den Tango-Weltmeisterschaften 2019 und 2022:
https://www.facebook.com/avi.hadar.7/videos/1849807432028033
https://www.youtube.com/watch?v=FpZnZimNKDE
Diese Dynamik, welch ein Temperament – und dann noch zu einer Post-EdO-Musik! Könnte ich mir hierzulande nicht vorstellen…
Dazu kommt ein Titel, der mich seit Jahren sehr beeindruckt: „El último café“ (Text: Cátulo Castillo, Musik: Héctor Stamponi, 1963) interpretiert hier einer meiner Lieblingssänger, Roberto Goyeneche – begleitet vom Orchester Baffa-Berlingieri. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1968.
Darf ein Tango auch mal schmalzig, sentimental und melancholisch sein? Ich meine: ja. Und wenn man ihn tanzt, wäre es nicht schlecht, ungefähr zu wissen, was der Sänger ausdrücken will. Und auch wenn ein gewisser Tangolehrer nun in einen Bergwerksschacht flieht, hier der spanische Text und eine deutsche Übersetzung:
Llega tu recuerdo en torbellino,
vuelve en el otoño a atardecer
miro la garúa, y mientras miro,
gira la cuchara de café.
Del último café
que tus labios con frío,
pidieron esa vez
con la voz de un suspiro.
Recuerdo tu desdén,
te evoco sin razón,
te escucho sin que estés.
"Lo nuestro terminó",
dijiste en un adiós
de azúcar y de hiel...
¡Lo mismo que el café,
que el amor, que el olvido!
Que el vértigo final
de un rencor sin porqué...
Y allí, con tu impiedad,
me vi morir de pie,
medí tu vanidad
y entonces comprendí mi soledad
sin para qué...
Llovía y te ofrecí, ¡el último café!
Der letzte Kaffee
Deine Erinnerung kommt in einem Wirbel, es ist wieder ein Abend im Herbst.
Ich betrachte den Nieselregen, und während ich schaue, kreist der Kaffee-Löffel
des letzten Kaffee, den deine kalten Lippen dieses Mal mit seufzender Stimme bestellten.
Ich erinnere mich an Deine Verachtung, beschwöre Dich sinnlos, höre Dich, ohne dass du da bist. „Es ist aus mit uns", sagtest du in einem Abschied von Zucker und Galle...
Ebenso wie der Kaffee, wie die Liebe, wie das Vergessen! Wie das letzte Schwindelgefühl eines grundlosen Grolls.
Und da, bei deiner Herzlosigkeit, sah ich mich im Stehen sterben, ermaß ich deine Eitelkeit und erkannte meine zwecklose Einsamkeit...
Es regnete, und ich lud dich ein zu einem letzten Kaffee!
http://www.tango-rosetta.com/canciones/ultimo_cafe.htm
Was mich ebenso ergriffen hat, war der Kommentar einer Tänzerin auf Kröters Facebook-Seite:
„Schön!
Sowas wollte ich lernen, als ich mit Tango anfing!
Dann wurde mir beigebracht, dass ich ‚nur‘ zu folgen habe!
Und merkte, dass die Dame nur so gut und temperamentvoll sein darf, wie der Mann es möchte! Was für eine Enttäuschung! Ich fühlte mich gefesselt und ausgebremst und gelangweilt. Mein Lehrer zeigte immer nur den Männern etwas. Ich bat um einige Verzierungen als Weihnachtsgeschenk, bekam ich aber nicht!
Ich gab auf und begnügte mich damit, eine Schubkarre zu sein, die um die Kurve gefahren wird, oder ein Sportgerät.
Nach 2 Jahren Frust ging ich auf Bälle, und man verlangte dann Aktivitäten von mir. Eine Umstellung. Später hat es sich eingependelt.
Ich gab mich auf und funktionierte, wie der Führende wollte. Ich versuchte, es als Meditation zu sehen.“
https://www.facebook.com/thomas.kroter.5 (Post vom 8.11.22)
Ja, liebe Tangolehrer, wo kämen wir denn auch hin, wenn wir den Wünschen (vielleicht sogar Träumen) von Schülerinnen nachkämen? Die sollen gefälligst das tanzen, was wir für richtig halten, Basta!
Und so erreicht der Tango auch heute noch seine Melancholie...
Flüchten wir uns daher lieber in Illusionen – zur Musik von „El último café“:
https://www.youtube.com/watch?v=cN8xJq3vL0E
Tja, einer der Gründe, warum ich vor ca. 20 Jahren doch beim Orientalischen Tanz geblieben bin. Und warum ich mich bei meinem 2. Einstieg in den Tango für Privatunterricht entschieden habe....wer zahlt, schafft an! 😉
AntwortenLöschenAußerdem bin ich froh, einen Tanzpartner gefunden zu haben, der Führen als Angebot sieht und es mir überlässt, was ich daraus mache.
Was halt wieder einmal zeigt: Mit genügend Eigeninitiative kann man auch die Schattenseiten des Tango überwinden!
LöschenTanzen lernen wie ein Showtanzpaar - ich sehe da kein großes Problem, das ist doch wie jeder andere Leistungssport auch.
AntwortenLöschenMan bringt hinreichend Talent mit, sucht sich einen geeigneten Tanzpartner, trainiert einige Jahre mehrmals wöchentlich, bleibt gesund.
Schwieriger wird es vielleicht später, wenn mal ein Lebenspartner und Kinder da sind, aber irgendwie kommt man vielleicht doch noch etwas zum tanzen...
Lieber Martin,
Löschenkönntest du mal in zwei bis drei Sätzen die Aussagen meines Textes beschreiben? Und das dann mit deinem Kommentar vergleichen?