Cabeceo? Schau’ mer mal…
In den letzten Tagen habe ich an eine Auseinandersetzung
erinnert, welche die Zugriffszahlen auf mein Blog damals dauerhaft auf das
Dreifache erhöht haben: Ich nenne sie den GROSSEN
MÜNCHNER CABECEO-KRIEG. Drei zentrale Artikel
von mir habe ich nun auf Facebook noch einmal vorgestellt:
Einen Vorteil boten ja die Gegner von einst wie Theresa Faus oder Cassiel: Sie lieferten wenigstens noch ansatzweise inhaltliche Argumente, während
derzeitige Widersacher mich fast ausschließlich persönlich attackieren. Damals ließ man wenigstens nur pöbeln: „Gute alte Zeiten“ halt…
Die bekannte Münchner DJane und Tangoveranstalterin hat
damals in einem längeren FB-Post ihre Standpunkte
zum Thema „Auffordern“ dargelegt
– sehr geschickt, wie ich finde. Daher möchte ich ihren Text noch einmal (etwas
gekürzt und kursiv) wiedergeben und
mit meinen Ansichten dazu ergänzen. Der vollständige
Wortlaut (inklusive Kommentaren) steht hier:
Nach meiner
Ankündigung eines Cabeceo-Trainings hat es neben zustimmenden Reaktionen und
persönlich vorgetragenen Wünschen, welche Fragen behandelt werden sollen, auch
heftige Diskussionen online mit Leuten gegeben, die den Cabeceo und vor allem
das Ansinnen, dass es da was zu lernen und zu üben gäbe, für überflüssig,
lächerlich und bevormundend ansehen. (Wer nachlesen will: auf der Event-Seite
des Fests im Giesinger Bahnhof und auf Gerhard Riedls Blog, der diesem Thema 4
Beiträge gewidmet hat: ein bemerkenswertes Engagement gegen eine Subkultur im
Tango, der sich anzuschließen ihn keiner zwingt).
(…) Deshalb will ich
hier zusammenfassend zu einigen Meinungen Stellung nehmen, die im Zuge der
teilweise heftigen und mit persönlichen Angriffen durchzogenen Diskussion
geäußert worden sind.
Eine Behauptung ist,
der Cabeceo werde zum Dogma erhoben und den Milonga-Besuchern vorgeschrieben.
Diese Behauptung ist meiner Ankündigung auch nicht andeutungsweise zu entnehmen.
Sorry,
das stimmt so nicht: Die Jahre davor (und bis heute) wurde und wird in der konservativen
Tangoszene eine Menge sozialer Druck
aufgebaut: Der offen publizierte „Wunsch“ vieler Veranstalter tut da schon
seine Wirkung. Da wurden „flammende
Plädoyers“ für den Cabeceo haufenweise veröffentlicht und Leute, welche
diesen Zwang nicht erdulden wollten, als „Hardcore-Cabeceo-Verweigerer“
etikettiert, es wurde ihnen bescheinigt, sich „eigentlich nicht mehr in ihrem Tango weiterentwickeln“ zu wollen.
Und
bei den Encuentros gehören Mirada
und Cabeceo zu den Teilnahmebedingungen.
Klar,
aus kaum einer üblichen Milonga fliegt man hinaus, wenn man jemanden verbal
auffordert. Ich meine aber, es wäre dahin gekommen, wenn es nicht auch deutlich
formulierte öffentliche Gegenpositionen
(wie die meine) gegeben hätte. Die Furcht, zum Beispiel auf meinem Blog zu
landen, wenn man aus solchen Gründen Hausverbote
erteilt hätte, mag Schlimmeres verhindert haben.
Cabeceo ist eine
elegante und praktische Option zum Auffordern. Praktisch, weil man sofort, wenn
die Tanda beginnt, ausloten kann, mit wem man tanzen möchte und könnte. Als
Mann muss man sich nicht auf den Weg machen, wo ein anderer einem zuvorkommen
kann, und bei einer Ablehnung dann womöglich die Nachbarin fragen müssen, was
normalerweise gar nicht gut ankommt; als Frau kann man aktiv sein Interesse
kundtun und muss nicht warten, dass was passiert (klar kann Frau auch verbal
auffordern, dann muss sie sich halt auch, evtl. vergeblich, auf den Weg
machen). Nach gelungenem Blickkontakt kann man sofort beginnen zu tanzen.
Elegant ist der Cabeceo, weil das Ausloten und die Reaktion darauf schnell und
diskret passieren.
Sicherlich
hat diese Tanzeinladung ihre Vorzüge.
Bis heute aber werden in solchen Diskussionen auch gravierende Nachteile beschrieben, was beispielsweise Sehkraft, Helligkeit,
Sitzordnung, Missverständnisse und
vieles mehr betrifft. Wenn der Cabeceo eine derartig konkurrenz- und problemlose Aufforderungsweise darstellen würde,
frage ich mich schon, warum die verbissenen Debatten darüber bis heute nicht
verstummen wollen.
Kein Mensch schreibt
vor, dass nicht auch verbal aufgefordert werden kann. Ich selbst habe gar
nichts gegen verbale Aufforderung, wenn der, der mich einlädt, meine restlichen
Signale wahrnimmt (z.B. hinschauen oder wegschauen) – und damit ein Element des
Aufforderns mit Blickkontakt anwendet.
Sorry,
da publizierte Theresa die schlichte Unwahrheit.
Am 8.5.15 schrieb sie auf Facebook: „In
dieser Milonga im Barrio de Tango Giesing tanzen wir wie auf einem Encuentro
Milonguero, mit traditioneller Musik, Cabeceo und rücksichtsvoller Ronda.(...)
Wir wünschen uns Auffordern per Cabeceo…“
Inzwischen
ist sie vorsichtiger geworden und spricht nur noch von „Cortinas zum Blicke Senden“ und
„cabeceo-freundlichem Lichtmanagement“.
(…) Das Auffordern
mit Cabeceo ist eine Technik, deren Ergebnis ebenso wie beim verbalen
Auffordern frustrierend sein kann. Die Unterstellung, es wären Leute mit Minderwertigkeitskomplexen
und einer „Vollkasko-Mentalität", die den Cabeceo anwenden (die Polemiker
gegen das Cabeceo-Training - übrigens alles Männer, soweit ich das überblicke -
stilisieren sich als „ganze Männer"), ist also absurd. Es geht in beiden
Fällen darum, dass sich zwei Leute mit freiem Willen einander mit offenem
Ergebnis begegnen.
Mit
Verlaub, nein: Aus vielen Diskussionen zum Thema geht klar hervor, dass sich
überwiegend die Männer dagegen
sperren, von einer Frau verbal aufgefordert werden zu dürfen. Dies würde ihnen
nämlich die engmaschige Kontrolle darüber entziehen, nur mit persönlichen Favoritinnen aufs Parkett
zu gehen. Und beim heutigen „traditionellen“ Tango scheint es ja vor allem
wichtig zu sein, mit wem man nicht tanzt
– sei es aus Statusgründen, auf der Suche nach jungen, schlanken
„Prinzessinnen“ oder wegen persönlicher
Unsicherheit. Das nannte und nenne ich „Vollkasko-Mentalität“.
Eine andere
Behauptung ist, dass, wer nonverbal auffordern möchte, kulturell rückständig
sei, weil er auf die Kulturtechnik Sprache verzichte, ihm fehle der dafür
notwendige Charme, und er wolle sich Tandas erschleichen. Über das „Darf ich
bitten?" oder „Willst du tanzen?" hinaus sprachliche Künste anwenden
zu wollen, um die Frau zum Tanzen zu überreden, ist allerdings verdächtig. Und
ein charmantes Lächeln wäre vielleicht in beiden Fällen angebracht. Beim
verbalen Auffordern sehen die Frauen sich außerdem meist genötigt, eine
Begründung (wehe Füße oder so) für die Ablehnung zu geben – einfach „nein
danke" zu sagen gilt als unhöflich – und dann zur Aufrechterhaltung der
Begründung diese Tanda auch nicht mit jemand anderem zu tanzen. Dass das beim
Cabeceo entfällt, ist einer seiner größten Vorteile.
Das
stimmt, wenn man Frauen unterstellt,
Milongas vor allem deshalb zu besuchen, weil sie nicht tanzen wollen. Die Realität
spricht da eine ganz andere Sprache. Und dann spielt das Problem, wie man eine
Ablehnung formuliert, kaum eine Rolle, da dies eine rare Ausnahme darstellt.
Daher bleibe ich dabei: Das ganze Gewese um den Cabeceo verbreitet Unsicherheit und verhindert in erster Linie Tänze.
Dann wird behauptet,
die Werbung für den Cabeceo verdanke sich dem unreflektieren Kopieren
argentinischer Gebräuche, die auf einer repressiven Gesellschaft basieren. Auch
wenn diese Technik so entstanden sein mag, spricht das nicht dagegen, sich
ihrer Vorteile und ihrer Eleganz zu bedienen.
Prinzipiell
sicherlich richtig. Mir fällt nur auf, dass sich diejenigen, welche gerne mit
den „ewigen Traditionen“ im Tango
hausieren gehen, historische Realitäten
sofort ausblenden, wenn sie ihnen
nicht in den Kram passen. Da habe ich mehr Respekt vor dem Althergebrachten…
(…) Ansonsten haben
meine Erfahrungen in der Vergangenheit gezeigt, dass das direkte Anblicken für
mehrere Sekunden vielen nicht leicht fällt, weil es in unserer Kultur
normalerweise als unangemessen gilt. Außerdem gibt es tatsächlich ein paar
Techniken und Tricks, vor allem für einen vollen Raum und schlechte
Lichtverhältnisse, zu üben. Ich beanspruche allerdings nicht, wie mir
unterstellt wird, dass durch das Cabeceo-Training eine Therapie für
kontaktgestörte Menschen geleistet würde, und auch ein Glücksversprechen habe
ich damit nicht verbunden.
Na,
da sind wir uns doch fast einig: Keine Aufforderungsart (oder ein sonstiger
Código) beinhaltet ein „Glücksversprechen“.
Wäre es dann nicht besser, es dem Einzelnen
zu überlassen, wie er sein Glück beim Tango findet?
Schließlich kam in
der ganzen Diskussion von den Vertretern der jeweiligen Subkultur immer wieder
ein Unterton der Verachtung für die andere Seite auf.
Von den
Cabeceo-Gegnern wird gleich ein ganzes Sittengemälde von verklemmten Leuten
gemalt, die sich vom humorlosen Milonga-Veranstalter bevormunden lassen wollen,
und die nur deshalb für die Regeln einer Ronda sind, weil sie nicht tanzen
können und sich nur ganz langweilig und schleppend bewegen. Ich bemühe mich
nicht, dieses Sittengemälde zu widerlegen. Diejenigen, die in die
traditionellen Milongas gehen, wissen schon warum.
Einige Befürworter
der traditionellen Sitten und Gebräuche argumentierten mit der Unterstellung,
dass derjenige, der verbal auffordert, schlecht tanze. Das ist zumindest in
Europa, nicht unbedingt zutreffend (in den meisten Milongas von Buenos Aires
aber schon). Und die - gewussten oder unterstellten – Tanzkünste des Schreibers
zum Argument gegen einen Diskussionsbeitrag zu machen, ist unsachlich und trägt
nichts zur inhaltlichen Diskussion bei.
Ah
ja – sicherlich aus diesem Grund lässt Theresa
Faus bis heute solche Sprüche auf ihrer Facebook-Seite stehen. Ja keine Kundschaft verlieren. Na prima.
Fazit:
Selbstverständlich
würde ich nie pauschal behaupten, Gäste „traditioneller“ Milongas seien verklemmt, ließen sich bevormunden oder könnten nicht tanzen. Damit würde ich ja auch ein Urteil über mich selber abgeben, da ich öfters
solche Veranstaltungen besuche (schon deshalb, weil es in meiner Nähe nicht
genug modernere Events gibt).
Allerdings
lockt man mit einer speziellen Musik, einem bestimmten Regelwerk vermehrt einen
Menschentyp an, dem halt Sicherheit über alles geht, für den
eigene Kreativität und Fantasie nicht gerade vorrangige Ziele
sind. Wer Militärmärsche spielt, wird ebenfalls einen anderen Zulauf erleben
als der Organisator eines Punk-Konzerts. Diese Realitäten kann man nicht wegdiskutieren.
Was
mich damals zur Parodie der
Einladung für ein „Cabeceo-Training“
trieb, war vor allem mein grenzenloses Erstaunen, nach fast 50 Jahren Tanzen das Auffordern neu erlernen zu sollen.
Nachdem in Europa spätestens seit dem Wiener Kongress eine Tanzaufforderung im
Stil von Verbeugung und „Darf ich bitten?“ üblich war und ist, hielt man es im
Tango für opportun, diese als „nötigend“
zu diffamieren. Und allen, die daran festhielten, zu attestieren, ihre Entwicklung
sei stagniert, schlimmer noch: Sie
verhielten sich unsensibel und rücksichtslos.
Hätte
ich da nicht mit einer Satire
reagiert – worüber hätte ich dann überhaupt noch schreiben sollen?
Wie
sieht es heute mit dem Cabeceo aus? Selbst auf den eher
konservativen Milongas, die ich öfters besuche, kommt er zwar vor, ist jedoch
kein Muss. Einen Korb wegen fehlenden Vorab-Geblinzels habe ich noch nie
bekommen. Dies zeigt mir: Oft genug sind doch die „normalen“ Menschen vernünftiger als es sich die Ideologen vorstellen. Die Welt ist bunter als sie die Regelbewahrer wahrnehmen.
Von
„Cabeceo-Trainings-Seminaren“ habe
ich – nach einem vorübergehenden Hype – schon lange nichts mehr gehört.
Komisch, es kommen doch immer wieder Neulinge hinzu – unterrichten das
inzwischen alle Tangolehrer? Meine Erfahrungen auf der Piste sprechen dagegen.
Katzbeceo * Foto: Karin Law Robinson-Riedl |
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