Hauptsache Gesundheit!
Vorgestern warb Martha Giorgi in der Facebook-Gruppe „Tango München“ mit folgendem
Text:
Wusstest du, dass Tango tanzen zahlreiche Vorteile hat?
- Es verbessert die Koordination der Bewegungen
und das Gleichgewicht.
- Es hilft bei Rücken - und
Wirbelsäulenproblemen und stärkt die Körperhaltung.
- Es mildert Stress, Depressionen und
Nervosität.
-
Es
verbindet mit anderen Menschen, macht gute Laune und ist deshalb für die
emotionale Gesundheit wichtig.
Ich
kenne die sehr sympathische Tangolehrerin noch von meinen früheren Münchner
Milongabesuchen und möchte sie daher in keiner Weise persönlich angreifen.
Zudem
kursieren solche Beiträge zum gesundheitlichen
Nutzen des Tango seit längerer Zeit im Netz. So soll unser Tanz ja auch vor
Altersdemenz schützen – jedenfalls,
wenn man Milongas besucht, bevor sie eingetreten ist. Da habe ich manchmal
meine Zweifel…
Als
Satiriker finde ich halt eine Werbestrategie
lustig, die sich bewusst ans ältere
Publikum richtet. Für die unter Sechzig hat man ja dann noch die brünstigen Tanzposen zur Verfügung. Das
Schöne am heutigen Tango ist: Er hat für jede(n) etwas im Angebot!
Trotzdem
muss ich AnfängerInnen warnen: Es
kommt halt darauf an – kann manchmal ganz schön nach hinten losgehen:
- Von Gleichgewicht und Koordination der Bewegungen sehe ich auf vielen Milongas wenig. Da
scheint der Vorteil des Paartanzes vor allem darin zu liegen, dass man auf vier
Beinen nicht so leicht umfällt als auf zweien.
- Wenn halt einer der beiden
Tanzpartner an Rücken- und
Wirbelsäulenproblemen leidet, hat sie nach öfterem Tanzen gelegentlich auch der andere,
da er das Gleichgewicht für zwei halten muss. Von den Fußbeschwerden wie Hallux valgus ganz zu schweigen, da man gerade
im traditionellen Bereich die Frauen nötigt, auf hohen Absätzen herumzusteigen.
- Gerade die Männer
strahlen im Tango nicht selten eine große Nervosität
aus oder stehen gar im Dauerstress: Sie
müssen ja angeblich stets führen – bei Schwierigkeiten sind sie also erstmal
der Depp. Und den Frauen wird gnadenlos aufgezeigt, auf welcher Stufe männlicher Attraktivitäts-Klischees sie
sich gerade befinden. Dass Tango daher Depressionen
mindert, ist eine ziemlich verwegene Behauptung!
- Gute Laune und Verbindung
mit anderen Menschen sind Verheißungen, welche sich im Tango vor allem dann
erfüllen, wenn man im Mainstream
mitschwimmt. Von satirische Büchern, Blogs oder sonstigen Abweichlereien sollte man
daher die Finger lassen – sonst wird man in einer Weise gedisst, wie man es
sonst nur von politisch extremen Lagern kennt, die aufeinander einschlagen. Ich
darf daher seit zehn Jahren erfahren, wie sich manche meiner emotionalen Gesundheit annehmen…
Apropos: Ende
2008 wurde bei mir eine Krebserkrankung (Non
Hodgkin Lymphom) diagnostiziert. Da ich damit rechnen musste, lange Zeit oder
gar nicht mehr tanzen zu können, hatte ich die Idee mit dem Tangobuch. Ich weiß noch genau, wann
ich die ersten Zeilen des Manuskripts verfasste: Am Tag, als man mir in der
Klinik den Tumor entfernt hatte.
Im
folgenden halben Jahr dachte ich trotz belastender Untersuchungen und Therapien
kaum an meine Krankheit, sondern ans Schreiben.
Mein Beruf lief ebenfalls weiter –
ich habe mich während der ganzen Zeit nur für kurze Phasen krankschreiben
lassen. Ach ja – und die bereits gebuchten Zauberauftritte
absolvierte ich ebenfalls. Mein größtes Glück aber: Ich konnte weiterhin
gelegentlich tanzen gehen – natürlich
nicht so oft oder lange wie früher. Umso wichtiger waren mir die Momente auf
dem Parkett.
Irgendwie
wusste ich die ganze Zeit, dass mich der Krebs nicht umbringen würde – und ich
sollte Recht behalten: Mitte 2009 erklärten mich die Ärzte für tumorfrei, und
das ist bis heute so geblieben. Natürlich bin ich der Schulmedizin dankbar – mindestens ebenso sehr den naturheilkundlichen Therapeuten für
ihre begleitenden Behandlungen. Vor allem aber dem Tango, der mich offenbar im Überfluss mit Dopamin und Endorphinen
flutete.
Ein
einziges Mal wurde ich wirklich heftig
krank: Ich hatte mich wohl beim Tanzen übernommen, durchgeschwitzt zu viel
Zugluft abbekommen – und eine Chemo schwächt bekanntlich die Abwehrkräfte. Eine
fulminante Infektion war die Folge, die man mit Antibiotika in den Griff bekam.
Es war das einzige Mal, dass ich mich als DJ vertreten lassen musste – ich wäre
zu schwach gewesen, um eine CD-Hülle zu öffnen.
Danach
war einige Zeit totale Schonung angesagt – bis ein Moment kam, den ich nie
vergessen werde. Noch ziemlich angeschlagen besuchte ich mit meiner Frau ein Tangokonzert, bei dem uns die Ansage
überraschte, man dürfe zur Musik auch tanzen. Natürlich ließen wir das vernünftigerweise
sein – bis zu dem Augenblick, als die Musiker Piazzollas „Libertango“ intonierten. Da gab es für mich tänzerisch kein Halten
mehr. Danach waren Blutdruck und Puls wohl gleichermaßen auf 200 – und ich
einer Ohnmacht nahe. Dennoch hatte ich das Gefühl: Das Leben hat mich wieder!
Daran
muss ich denken, wenn ich wieder einmal die vielen Weihnachts- und Neujahrswünsche entgegenzunehmen habe. In meinem
Alter fehlt kaum einmal der Satz: „Und
Hauptsache Gesundheit!“ Stets muss ich mich beherrschen, nicht zu
antworten: „Eben nicht!“
Ich
weiß nicht, wie viele der Gratulanten schon einmal zwölf Sitzungen in der Chemo-Abteilung einer Klinik genießen durften.
Man sieht dort etliche Patienten, bei denen man auch ohne medizinische
Fachkenntnisse ahnt: Lange wird es nicht mehr dauern. Und dennoch werde ich nie
die Stimmung auf der Station
vergessen: Die ultimativ freundlichen Schwestern, Pfleger und Ärzte, bei denen ich mich
oft fragte, wie sie in diesem Metier bei Laune bleiben können. Da werden Teller
mit Suppe oder Kaffee plus Kekse herumgereicht, es werden Witze gerissen und
mit Gelächter quittiert.
Wenn es ging, ließ ich mir die Kanüle links legen, damit die rechte Schreibhand frei blieb.
Wenn es ging, ließ ich mir die Kanüle links legen, damit die rechte Schreibhand frei blieb.
Und
ja: Krebs ist nicht automatisch eine tödliche
Erkrankung – viele packen es den landläufigen Klischees zum Trotz. Aber
wenn man schon solche Angst vor diesen Leiden hat: Warum sind Menschen, die
eigentlich relativ gesund sind, oft so scheiße drauf, während Schwerkranke ihr
Schicksal häufig ziemlich positiv ertragen? In meinem Fall sogar,
als mir per Shistorms „Arroganz und
Selbstbeweihräucherung“ vorgeworfen wurden. Ich darf versichern: Als ich
das Tangobuch schrieb, war ich davon relativ weit entfernt…
Daher
bin ich fest davon überzeugt: Nicht Hauptsache Gesundheit, sondern Glück! Und das nährt sich aus
verschiedensten, oft ziemlich überraschenden Quellen.
Ich
habe meine persönliche Geschichte
bis heute nicht im Detail veröffentlicht – ich wollte bei meinen Büchern keine „Mitleidskäufe“. Inzwischen wird sie keinen
Schaden mehr anrichten – aber vielleicht
manche zum Nachdenken bringen.
Doch,
Tanzen und vor allem Tango kann die Gesundheit durchaus fördern. In einem
Artikel über den Bewegungstherapeuten Prof.
Ingo Froböse habe ich dazu eine interessante Aussage gefunden: „Voraussetzung ist natürlich, dass die Musik gefällt.“
Es
war wohl damals nicht der Tango,
welcher mir über eine Krise half, sondern eine Art des Tango, die es heute nur
noch in kärglichen Restbeständen gibt : „Musik
aus einer anderen Welt“, wie ich die Schöpfungen des Tango nuevo häufig bezeichne. Was mir meine Kritiker immer wieder
vorwerfen, ist letztlich mein verzweifelter Versuch, den Tango einer Zeit zu
erhalten, die mich sehr glücklich gemacht hat.
Die
heutige, lustlose Bewegung zu einer harmlosen Musik hätte jedenfalls damals als
Rettungsanker bei mir versagt. Ob ich dann doch am Krebs gestorben wäre, glaube ich zwar nicht – aber vielleicht vor Langeweile…
P.S. Übrigens hat ihr damaliger Tanzpartner, Fernando Serrano, inzwischen eine Karriere als Tangosänger hingelegt. Seine neue CD „El tango que faltaba“ ist wunderschön. Ich werde sie demnächst mal in Pörnbach (wo sonst?) vorstellen.
Werter Herr Riedl, ganz so genau nehmen Sie's mit der Wahrheit wohl nicht:
AntwortenLöschenSie schreiben hier: "Mein Beruf lief ebenfalls weiter ...."
An einer anderen Stelle (über das gleiche Thema - Sie hatten es ja bereits angesprochen) schreiben Sie: "Auch ich habe damals die Gelegenheit benutzt, einen Beruf aufzugeben, …."
Also was jetzt?
Keine Sorge, Sie brauchen das nicht zu erklären. Es zeigt einmal mehr, mit welchen 'Methoden' Sie arbeiten.
Gruß ans Trollhaus,
Thomas Schön
Auch, wenn die Frage von einem Troll gestellt wird, der wieder einmal zeigt, mit welchen Methoden er arbeitet, ist sie vielleicht auch für normale Leser interessant:
AntwortenLöschenDie Erstdiagnose meiner Krebserkrankung erfolgte im Dezember 2008. Damals war ich fast 58 Jahre. Tatsächlich war ich damals schon in Teilzeit beschäftigt. Obwohl mich meine Onkologen während der Chemo immer wieder länger krankschreiben wollten, nahm ich das nur für wenige kürzere Phasen in Anspruch.
Eine Frühpensionierung wegen meiner damaligen Schwerbehinderung war nach bayerischem Beamtenrecht erst zum Februar 2011 möglich, was ich dann auch in Anspruch nahm. Allerdings begleitete ich meinen Chemie-Leistungskurs anschließend (im Angestelltenverhältnis) noch bis zum Abitur (ca. Juni dieses Jahres). Ich wollte meinen Schülern einen Lehrerwechsel in letzter Minute nicht zumuten (auf deren ausdrücklichen Wunsch).
„Voraussetzung ist natürlich, dass die Musik gefällt.“
AntwortenLöschenDas ist glaub ich der allerwichtigste Satz, der allerdings wohl meist beim Loblied auf die positiven Wirkungen des Tanzens (und des Tango im Speizellen) vergessen wird (das "Vergessen" dieses Satzes hat vermutlich Marketinggründe ...).
Die Musik ist vermutlich für jeden verschieden wichtig, ich habe allerdings schon öfters an mir bemerkt, wie sich meine Stimmungslage und die Aufnahme der Musik gegenseitig beeinflussen (öde Musik (viele "traditionelle" Tangos, aber nicht alle!) die eine indifferente oder sogar leicht positive Stimmungslage gehörig ins Negative drücken kann, und tolle Musik (für mich sehr oft Tango Nuevo, aber auch ansonsten oft "energiereiche" Musik) die meine Stimmung immens hebt, aber auch, wenn ich gut drauf bin, dass ich dann auch ödeste Musik "ertrage").
Ein extremes Beispiel hatte ich neulich mal auf einer traditionellen Milonga (die ich wegen des Ambientes eigentlich ganz gerne mag) erlebt: ich war früh genug dran und konnte die erste Tanda erleben: alte Piazollas (die ich nicht kannte, aber schon in die typische Nuevo-Richtung gingen): toll! Der DJ hat mir aber dann versichert, dass es danach richtig traditionell weitergeht, und so war es dann leider auch. Nach einiger Zeit wollte ich nicht mehr tanzen, und bin dann heimgegangen, meine Stimmung irgendwo am Boden ...
Ciao, Robert
Das sehe ich genauso.
LöschenAuf manchen Milongas werde ich nach einer halben Stunde schon so müde, dass ich am liebsten heimgehen würde. Oft dachte ich, es läge am Alter.
Nein, vorwiegend doch an der Musik! Es gibt Stücke, bei denen ich nicht stillsitzen kann - plötzlich sind Kraftreserven da, die noch für zwei und mehr Stunden reichen.
Danke für den Beitrag!