Verrücktes Glück und doch nix los


Spanisch „Suerte Loca“ nennt sich eine rein „traditionelle“ Münchner Milonga, welche jeweils freitags ab 21.30 Uhr stattfindet, und wo im Wechsel praktisch die ganze dortige DJ-Prominenz auflegt. Dennoch scheint nicht viel los zu sein.

Eine örtliche Veranstalterin und Tangolehrerin fragte nun in der Facebook-Gruppe „Tango München“ nach, woran es denn liegen könne:

„Ich war gestern mal wieder im Suerte Loca (Vintageclub) und habe mich echt gefragt, wie kann es sein, dass in solch einer großen Stadt die fast einzige Milonga an einem Freitag nicht rappelvoll ist. Ich habe dann erfahren, dass diese Milonga nie so richtig voll ist. Nun bin ich einfach mal neugierig von Euch TänzernInnen, vor allem denjenigen, die oft zum Tanzen gehen, zu erfahren, warum sie dieses tolle Angebot, mit super Tanzboden, guter Luft, tollen DJs, gutem Sound, total zentral usw. nicht wirklich annehmen.“

Neben durchaus lobenden Bemerkungen zu dieser Veranstaltung wird auch freimütig Kritik geäußert.

Zunächst einmal findet man – wohl angesichts der Altersstruktur im Tango – den späten Beginn unpassend:

„Warum ich selten hinkomme, liegt auch an der Uhrzeit: fängt m.E. zu spät an. Warum nicht als ‚after work‘ gleich ab 18 Uhr – bis Mitternacht?“

Durch eine übertrieben arbeitende Klimaanlage – so wird bemängelt – sei es zu kalt:

„Aircondition ist so ultrakalt, dass ich jedes Mal erkältet nach Hause gehe… und mit Mantel tanzen ist irgendwie auch doof.“

„Frieren ist auf einer Milonga gerade als Frau mit leichten Tops / Kleidchen ein echter Killer.“

Aufforderungsverhalten und generelle Stimmung scheinen noch verbesserungsfähig:

„Es ist fast nie eine gute Stimmung.“

„Kam nicht zum Tanzen und empfand die Stimmung auch recht unterkühlt.“

Ein örtlicher Musiker und DJ ist der (von mir nicht geteilten) Auffassung, er könne dies persönlich ändern:

„Sie müssen Reinigung machen...wollte ich sagen, die Energie ändern, dann kommen die Leute wieder, da bin ich sehr sicher!!!. :) Ich kann das machen!!!!“

Auch das Personal trägt wohl nicht immer zur guten Laune bei:

„Außerdem kommt es im Suerte immer wieder vor, dass die Damen schon an der Kasse sehr unfreundlich sind und auch an der Bar.“

Die Gastgeber, so eine Kritik, sollten sich mehr um die Besucher kümmern:

„Meiner Meinung nach fehlt der Milonga vor allem ein präsenter herzlicher Gastgeber – irgendwie das ‚Herzstück‘ – der dafür sorgt, dass Gäste sich willkommen und angesprochen fühlen.“

Ansonsten halt die übliche Cliquenwirtschaft

„Schade ist nur, wenn sich ganz hinten spezielle Gruppen um die Tische bilden und ausschließlich untereinander tanzen und am ganzen Geschehen nicht teilnehmen. Das ist mir weniger angenehm.“

„Ja, das Thema mit den Cliquen in München!? Wenn Sie sich ballen, wirkt das auf Außenstehende (Nichtzugehörige) abtörnend und erzeugt eine unangenehme bis aufgekratzte Raumenergie. Ich nenn das mittlerweile ‚Inzucht-Tango‘.“

Weiterhin hat man offenbar die (eigentlich sehr große) Tanzfläche ideologisch verkleinert – mit Recht, wie eine dort Auflegende meint:

„Allerdings will zumindest ich, wenn ich DJ und Gastgeberin bin, nicht die Tanzfläche vergrößern, ‚weil‘ viele die Ronda-Regeln nicht beachten. Sondern darauf hinwirken, dass sie beachtet werden – statt mit einer größeren Tanzfläche die Unberechenbarkeit im Raum noch zu verstärken.“

Insgesamt ist man damit wohl in den üblichen Besucher-Teufelskreis geraten:

„Als Begründung, warum jemand nicht dort hingeht, hab ich schon öfters gehört, dass im Suerte Loca ‚nix los‘ sei.“

Klar, und deshalb geht man auch nicht hin… Stimmung einfach mitzubringen, scheidet selbstverständlich aus – die muss schon (im Eintrittspreis enthalten) vor Ort geliefert werden!

Was mir dazu einfällt:

Die Location ist mir bestens bekannt – von Marinas rauschenden Tangofesten in glücklicheren Zeiten: Eine wirklich schöne Räumlichkeit mit Dachterrasse und einer stets aufregenden Parkplatzsuche im Münchner Zentrum. Und trotz meines vorgerückten Alters würde mich ein später Beginn nicht stören – vielleicht kämen deshalb ja auch ein paar Gäste unter Fünfzig. Aber – das muss ich zugeben – kenne ich den derzeitigen Event nicht, kann ihn mir aber lebhaft vorstellen.

Eine Info für die frierenden Damen: Das mit den kurzen Röckelein, dünnen Tops und nackichten Beinen muss nicht sein – spätestens seit einem halben Jahrhundert gilt es in unseren Breiten nicht mehr als weiblicher Fauxpas, sich „Hosen“ genannte Beinkleider überzustreifen. Und auch die Erforschung der genaueren Anatomie des betreffenden weiblichen Oberkörpers könnte man ja, falls gewünscht, einer eventuellen „Posttango-Inspektion“ überlassen und die Pracht einstweilen mit einem wärmenden Kleidungsstück (sog. Pullover") verhüllen…

Ist ja schließlich eine Klima- und keine Klimakteriums-Anlage…

Was mich inzwischen nicht mehr wundert: Auf die Musik geht überhaupt kein Kommentator ein – ist ja wurscht, legen eh alle dasselbe auf…. Auch wenn man sich die Facebook-Seite der Veranstaltung ansieht, wird man nicht schlauer: Außer den Porträts der DJ-Kohorte null Information.

Aber immerhin, so steht nun zu lesen, wolle man im Veranstalterkreis einmal heftig über die Situation nachdenken. Falls ich da etwas mithelfen darf:

Man wundert sich also über den geringen Erfolg einer Milonga, wo das Ignorieren angeblich bereits an der Kasse beginnt, die Musik wohl eher austauschbar ist, man sich ohne Not auf eine künstlich verkleinerte Tanzfläche begeben darf, falls man überhaupt aufgefordert sowie von den anwesenden Cliquen möglicherweise beim hundertsten Besuch endlich beachtet wird und so die unterkühlte Stimmung etwas nachlässt? Und das ganze Código-Gedöns mitmachen darf?

Mir fällt da nur das Wort einer Tangofreundin ein, die zu solchen Themen gerne sagt:

„Da setze ich mich lieber in eine finnische Sauna und geißle mich mit Birkenzweigen.“

Lauschen wir doch lieber dem Tango vom „verrückten Glück“, in dem es so schön und hier treffend heißt:

„¡Suerte loca es conservar
una ilusión en tanto penar! »

„Verrücktes Glück ist es,
sich eine Illusion bei so viel Leid zu bewahren!“



Quelle: Facebook-Gruppe „Tango München“, Beitrag vom 7.9.19
Alle Zitate wurden in eine sprachlich einwandfreie Form gebracht.

Kommentare

  1. Aufregende Parkplatzsuche plus 21.30 an einem Freitag (wo bei mir immer Payday für wochentags -Schlafdefizite ist) wäre für mich auch Grund genug, diese Milonga nicht unbedingt weit oben auf die "will ich hin"-Liste zu setzen.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Wie ich aus eigener Erfahrung weiß, werden Wochentag und Uhrzeit von Milongabesuchern sehr unterschiedlich beurteilt. Manchen gefällt gerade der Freitagabend, weil sie am Samstag ausschlafen können.

      Insgesamt habe ich immer wieder festgestellt: Wenn man eine Milonga toll findet, sind Termine ziemlich egal. Bestehen eher Zweifel, ist es dann eben der falsche Tag, die falsche Zeit oder gar Mondphase.

      Meine Erinnerung bezog sich übrigens auf das einstige Tango-Café in diesen Räumlichkeiten, das am Sonntag Nachmittag stattfand. Da hatte man selbst in München die Chance auf einen Parkplatz. Aber inzwischen gibt es wohl auch ein nahes Parkhaus.

      Löschen
    2. Apropos Parkplatzsuche: was spricht eigentlich dagegen, sich nen Parkplatz ausserhalb an ner Ubahn zu suchen und denn mit der zu fahren? Das Suerte Loca liegt in bequemer Fussreichweite zwischen den Haltestellen und Stachus Sendlinger Tor.

      Warum ich nicht hingeh? Ich kenn die Milonga nicht, mich schreckt aber im Wesentlichen die "rein traditionelle" Ausrichtung ab, sowie die Auswahl der TJs.
      Muss ich mir vielleicht doch einmal antun, um mitreden zu können?

      (die beschriebene Cliquenwirtschaft hab ich allerdings vor vielen Jahren genau wie beschrieben dort, also Freitags an dieser Location, erlebt. Damals ist die Milonga allerdings noch von jemand anderem organisiert worden. Wenn das heute immer noch so ist, liegt's wohl eher nicht am Veranstalter)

      Löschen
    3. PS: das Tango-Café Sonntag Nachmittags gibts immer noch. Ist aber halt eine Zeit, wo mich normalerweise eher nichts zum Tango zieht.

      Löschen
    4. Wir waren vor vielen Jahren ganz oft zum Tanzen in der Sonnenstraße – am Freitagabend und noch öfter am Sonntagnachmittag. Damals wurde das Ganze von Marina Jablonski organisiert, hatte viel Zulauf und war noch unideologisch, was Musik und Tanzregeln betrifft. Die etwas komplizierte Anfahrt hat uns nicht abgehalten.

      Inzwischen wird für beide Veranstaltungen der übliche Ronda-Sums verkündet und rein traditionelle Musik gespielt. Und klar – die ganze Cliquenwirtschaft liegt in erster Linie an München. Ein Veranstalter kann das aber schon beeinflussen, wenn er auch auf unbekannte Gäste freundlich zugeht. Auch dafür gibt es Beispiele wie den Levent Göksu.

      Hinsichtlich der Anfahrt haben wir alle Varianten probiert. Im Schnitt saßen wir zwei Stunden im Auto – in der Variante mit Kfz und U-Bahn fast drei. Das ist es uns inzwischen nicht mehr wert.

      Löschen

Kommentar veröffentlichen

Hinweis zum Kommentieren:

Bitte geben Sie im Kommentar Ihren vollen (und wahren) Namen an und beziehen Sie sich ausschließlich auf den Inhalt des jeweiligen Artikels. Unterlassen Sie herabsetzende persönliche Angriffe, gegen wen auch immer. Beiträge, welche diesen Vorgaben nicht entsprechen, werden – ohne Löschungsvermerk – nicht hochgeladen.
Sie können mir Ihre Anmerkungen gerne auch per Mail schicken: mamuta-kg(at)web.de – ich stelle sie dann für Sie ein.