Nachrichten aus der Gebots-Abteilung
Mein letzter Artikel zum Brief einer deutlich frustrierten Münchner Tanguera hat mir Zugriffs-Rekorde eingebracht. Das zum Ratschlag, ich solle doch nicht immer über den gleichen Käse schreiben…
Was mich mehr erstaunt hat: Auch von Männern kamen durchaus verständnisvolle Reaktionen für die Probleme gerade älterer oder weniger bekannter Tänzerinnen, die bekanntlich oft ihr Eintrittsgeld absitzen müssen.
Wie nicht anders zu erwarten, fokussierte sich die Debatte auf eine Aussage der Autorin: „Warum dürfen nur Männer auffordern? Das entspricht nicht mehr unserer Zeit.“
Das Erstaunen war groß: Wie käme die Dame nur zu einer solchen Feststellung? Ein Leser sprach von einem „falschen Dogma“.
Besonders fassungslos war Ani Andreani, Partnerin des international bekannten Tänzers Roberto Herrera:
„Seit wann dürfen Frauen denn nicht auffordern??? Ich versteh nicht, wieso das den Anfänger:innen immer wieder gesagt wird. Wer erzählt sowas?
Wenn ich mit jemand bestimmten tanzen will, dann schau ich ihn/sie an. Will das Gegenüber auch, schaut er/sie zurück und man tanzt. Das hat doch nichts mit dürfen zu tun sondern mit beidseitigen (!) Einverständnis.
Und: wenn mal echt keiner zurückschaut, kann ja frau auch mal hingehen und fragen, verbal, wenn sie das will. Und das sag ich, obwohl ich absolute Befürworterin des Cabeceos bin (das man unabhängig der genetischen Veranlagung aussenden kann).
‚Frauen dürfen nicht auffordern‘, das hört sich immer so an, als ob frau dann von der Milonga fliegen würde, wenn man das macht, oder einen Strafzettel bekommt. Also wer redet denn den Damen so ein Quatsch ein?
Mein Tipp: Einfach durchgehend die Führenden nett anlächeln oder auch anstrahlen, dann wird das schon.
Würde gerne wissen, welcher argentinische Maestro der netten Dame sowas beigebracht hat. Leider totaler Unsinn...“
Solche Aussagen bringen mich zuverlässig auf Betriebstemperatur: Es reicht nicht, dass man bestimmte Frauen auf vielen Milongas ignoriert oder ihnen doofe Sprüche aufdrückt – wenn sie dann mal ehrlich sagen, was sie empfinden, werden ihre Eindrücke gleich mit Vokabeln wie „Quatsch“ und „Unsinn“ etikettiert. Und klar: Es wäre ja vermessen zu vermuten, dass Damen aufgrund eigener Gehirnleistungen zu gewissen Einschätzungen kommen – das kann ihnen nur ein Mann eingeredet haben…
Obwohl ich ungern auf fremden Facebook-Seiten kommentiere, machte ich in dem Fall eine Ausnahme:
„Ich fürchte, das hat ihr gar kein Maestro beigebracht, nicht mal ein argentinischer. Vermutlich hat sie auf diversen Milongas bemerkt, dass allzu deutliche weibliche Aktivitäten nicht gut ankommen.“
Die Angesprochene antwortete mit einer kabarettreifen Einlassung:
„Hä? Also sowas hab ich noch nie bemerkt... und ich geh schon recht lange jetzt auf Münchener Milongas... Und nett die Männer anlächeln hat ja wohl kaum was mit viel weiblicher Aktivität zu tun.“
In den höheren Sphären des Tango begegne ich immer wieder der völligen Unfähigkeit, sich in die Sorgen und Beklemmungen rangniederer, gar weiblicher Wesen einzufühlen. Ja, sicher: Als Tango-VIP kennt man solche Probleme nicht. Und doch: Es fällt Frauen auch außerhalb unseres Kulturkreises nicht leicht, Männer penetrant anzustarren – und das oft noch erfolglos.
Was ich auch immer wieder feststelle: Tangueros haben es oft gar nicht nötig, lästige Weiber mit Klartext zu versorgen – das regeln die Damen zuverlässig untereinander!
Und worum es den Kerlen wirklich geht, beschreibt eindrucksvoll ein Kommentator:
„Die Mehrheit der Bevölkerung ist heterosexuell, und auch bei allen anderen denkbaren sexuellen Orientierungen ist Sex eines der wichtigsten Motive im Leben. Klar, ich kann Tango auch ohne sexuelle Anziehungskraft genießen, aber sexuelle Anziehungskraft fügt dem Tango nochmal eine reizvolle Facette hinzu, und das finde ich völlig in Ordnung.“
Vereinfacht gesagt: Nach der Menopause sollte auch Tangopause sein. Bringt ja nichts!
Immerhin gelang es mir, Frau Adreani noch diese Einlassung abzuringen:
„Frauen DÜRFEN sehr wohl auffordern. Ob verbal, mit Cabeceo oder Mirada sei mal dahingestellt. Aber DÜRFEN tun sie es...“
Na gut, dann stellen wir es mal da hin: Wenn Tänzerinnen bereit sind, von einflussreichen Cliquen zur Unperson erklärt zu werden, dürfen Sie sogar einen Mann direkt und verbal um einen Tanz bitten. Mit welchem Erfolg auch immer…
Immerhin, so erzählt Frau Adreani dann noch, begleite sie ihre Schülerinnen auf Milongas und gebe ihnen den Rat, sie sollten „die Typen einfach fett angrinsen und das so lange durchziehen, bis sie aufgefordert werden.“ Das dauere meist keine zwei Tandas.
Dann kann ich allen frustrierten Tangueras in der Münchner Gegend nur raten, diese Tangolehrerin um Begleitung auf die Milongas zu bitten. Und so lange sie sich in deren Hoheitsbereich befinden, dürfte es mit dem Auffordern sogar klappen.
Insgesamt frage ich mich halt, warum die Geschichte mit dem Cabeceo gerade von der „Tango-Obrigkeit“ derart vehement verteidigt wird. Wäre der Blickwechsel so problemlos, würde man nicht immer wieder diese verbissenen Debatten erleben.
Und macht euch nichts vor: Natürlich wurde der Cabeceo von einflussreicher Seite als unausweichlich hingestellt. So schrieb der Blogger Cassiel, bei dem vor Jahren ein Großteil der Tangoszene denken ließ:
„Für mich ist der cabeceo eine notwendige Voraussetzung für einen komplizierten Interessensabgleich, der in der verbalen Aufforderungssituation nur schwer oder gar nicht möglich ist. Ich misstraue immer Menschen im Tango, die behaupten, es mache ihnen überhaupt nichts aus, wenn man ihre verbale Aufforderung ausschlägt. Das halte ich für extrem unwahrscheinlich. Um es zum wiederholten Male hier noch einmal zu formulieren: Ich halte die verbale Aufforderung für eine leichte Form der kalkulierten Nötigung.“
https://tangoplauderei.blogspot.com/2013/06/Tango-Knigge-die-eigentliche-Etikette.html
Bedauerlicherweise hat sich in den letzten Jahren zunehmend ergeben, dass viele Milongagäste „Freizeit“ auch mit „Freiheit“ assoziieren. Ob nun Gendern, Veggie-Day oder Códigos: Die Mehrheit reagiert auf Verbote allergisch. Also hat man nun den Rückwärtsgang eingelegt: I wo, Frauen dürfen doch… wenn sie denn unbedingt wollen und die Konsequenzen nicht scheuen! Daher bewegt man sich vom Verbot zum Gebot.
Für mich bleibt das Motiv aber unverändert: Man gibt den Männern eine Abwehrwaffe in die Hand, damit sie nicht „mit jeder tanzen müssen".
Liebe Tangolehrkräfte,
wie wäre es, mal Folgendes zu bedenken: Eure Schülerinnen und Schüler sind in der Regel mehr als volljährig, haben meist einen Schultanzkurs hinter sich sowie im Leben bewiesen, dass sie mit ihren Mitmenschen halbwegs sozialverträglich umgehen. Die haben in vielen Jahren schon kompliziertere Situationen gemeistert als eine Aufforderung zum Tanz. Lasst sie doch einfach machen, wie sie wollen, anstatt ihnen Benimmkurse im Stil der Kaiserzeit zu verabfolgen.
Wir leben im 21. Jahrhundert – da gibt es in den Häusern keine getrennten Aufgänge mehr für „Herrschaften“ und „Dienstboten“, in den Lokalen fehlen „Bier- und Weinabteilungen", und man muss sich nach einem impertinenten Blickkontakt nicht mehr duellieren. Mag ja sein, dass manche sich dennoch nach dem „Muff von tausend Jahren“ zurücksehnen, aber denen sollten wir lieber schlagende Burschenschaften empfehlen als den Tanz vom Rio de la Plata.
Und die Zeit, die ihr euch dadurch erspart, könntet ihr ja ausfüllen, um den Lernenden wirklich musikalisches Tanzen beizubringen oder gar mal selber mit ihnen paarweise zu üben. Vielleicht sogar euren Unterricht didaktisch zu strukturieren. Und ihr müsst dann nicht mehr an die Tastatur rennen, um irgendwelchen Rechtfertigungs-Schmus zu veröffentlichen.
Worauf ihr euch jedoch fest verlassen könnt: Ich bleibe am Thema – und schreibe gern auch noch den 26. Artikel dazu. Mir bleibt viel Zeit – denn ich muss ja mit dem Tango kein Geld verdienen!
Foto: www.tangofish.de |
Wie in Facebook möchte ich auch hier nochmal abschließend klären:
AntwortenLöschenAls Quatsch und Unsinn habe ich nicht die Dame selbst bezeichnen wollen, sondern die Aussage der Person(en), die so etwas verbreiten und sie, die Dame, so etwas glauben lassen.
Und ich möchte nochmals betonen: mir liegt extrem viel daran, dass Anfänger:innen schnell Anschluss in unserer Community finden und sich selbstbewusst und sicher fühlen und sich selbst gut finden so, wie sie sind.
-> denn genau das, wurde MIR nicht gegeben, als ich mit der Profischiene anfing. Ich wurde klein gemacht, es wurde schlecht über mich geredet, mir wurde gesagt, dass ich alles falsch machen würde. Und ich hab's geglaubt und mich furchtbar gefühlt, OBWOHL ich sehr wohl weiß, dass ich recht passabel aussehe und mit einer Portion Talent gesegnet wurde (danke liebes Universum!). Aber auch ich hab eine Herz und eine Seele und auch mich kann man verletzen, sehr leicht sogar. Deswegen ist es mir so wichtig, dass Frauen selbstbewusst sein können und solche Aussagen wie "nicht dürfen" entschieden von sich weisen.
Gerne begleite ich auch Anfänger:innen, die NICHT meine Schüler:innen sind zur ersten Milonga und helf mit meiner positiven Art ein bisschen nach. Ob's dann wirklich an meinem Vitamin B liegt oder an meiner Strahlemann-Zauberformel, kann jede:r selbst entscheiden.
Abrazo an dich Gerhard, ich hoffe ich kann nach und nach immer klarer machen, dass ich ein liebes, emotionales Wesen bin und ich es immer einfach nur gut meine. Mein Herz trag ich auf der Zunge, und ich finde das ist eine meiner herausragensten Eigenschaften.
Herausragend sicherlich – aber diese Eigenschaft kann halt auch gefährlich werden.
LöschenVielleicht wäre es besser gewesen, von Anfang diese eigenen Erfahrungen zu schildern – und auch, was du dagegen unternimmst. Da hätte sich die Schreiberin eher verstanden gefühlt.
Und es hilft alles nichts: Dass angeblich nur Männer auffordern dürfen, hat die Schreiberin als eigene Erfahrung dargestellt. Dass ihr dies irgendwelche Tangolehrer erzählt haben, hat sie nicht behauptet. Sie durfte sich daher von den entsprechenden Vokabeln schon persönlich getroffen fühlen.
Gut, du konntest deinen Standpunkt nun ausführlich darstellen. Und du wirst dich damit abfinden müssen, dass deine Ansichten respektiere, aber nicht in jeder Hinsicht teile.
Ich berichte von Meinungen und Diskussionen in der Tangoszene. Persönliches versuche ich auf ein Minimum zu reduzieren. Wer dabei dann als besonders sympathisch oder begabt rüberkommt, dürfen meine Leserinnen und Leser beurteilen.