Promillonga

In der Tango-Facebookgruppe, aus der man nicht zitieren darf, stellte eine Leserin jüngst eine Frage, auf die ich schon lange gewartet habe:

„Tango und Alkohol
Mich hat es die letzten Wochen irritiert, dass in einem Kurs einige Leute vor und während des Unterrichts Wein und Bier trinken. Zur Entspannung‘. (…)
Während des Unterrichts möchte ich gerne klar im Kopf sein und mich ganz auf das Thema einlassen. Angeschickert kann ich das nicht – und dafür reicht bei mir schon ein Glas Wein oder ein Bier.
Wie haltet ihr es mit dem Alkohol beim Tango-Unterricht?“

Erwartungsgemäß stellte sich heraus: Der Tango wird heute von den Abstinenzlern dominiert. Man trinke eh kaum etwas, und schon gar nicht bei den Schulungen:

„Beim Unterricht erwarte ich, dass mein Tanzpartner voll konzentriert ist. Das geht bei den meisten aber nicht, wenn sie Alkohol trinken.“

„Und die Bierfahne, ich mute es dem Gegenüber nicht zu, wünsche mir ja auch, dass die Dame vorher nicht beim Griechen war.“

„Beim Salsa hatte ich mehrfach stark angetrunkene Leute, im Unterricht auch welche, die mit Cocktail in der Hand aufgetaucht sind.“

Ja, bei diesem Tanz herrscht halt noch echte Lebensfreude!

Fest steht: Die Tangoleute haben feine Nasen – jedenfalls, was den Atem des Gegenübers betrifft:

„Wer Alkohol trinkt, stinkt, das ist das Hauptproblem...“

„Das glaube ich nicht!“

„Ist keine Frage des Glaubens...“

Damit bieten sich – typisch beim Tango – neue Auschluss-Kriterien:

„Gott sei Dank muss ich ja nicht mit dir tanzen.“

„Wie schön, dass du sofort persönlich wirst. Niemand MUSS mit irgendwem tanzen oder? Also danke für den sehr überflüssigen Kommentar.“

Kein Wunder, dass man sich nun ausführlich mit weiteren Ausdünstungen der geliebten Mitmenschen beschäftigt:

„Zum Thema stinken: Raucherinnen stinken!“

„Eine Rotwein-Fahne riecht genauso unangenehm wie Aschenbecher oder Bier.“

„Was ich dagegen ziemlich oft erlebe, sind Menschen allen Geschlechts, die sich mit Düften übergießen, die mir fast den Atem rauben. Oder meine Haare riechen dann noch 2 Tage nach Duftcocktail...“

Immerhin, so stellen manche fest, kann Alkohol ganz unterschiedliche Auswirkungen haben:

„Ich spüre den Alkohol bei mir auch sofort, hatte aber mit Wein im Blut auch schon viel Spaß beim Tangotanzen.“

„Ich kann den Alkoholpegel meiner Partnerinnen spüren, bei einigen wird das Tanzen besser, bei anderen wird das Tanzen sofort schlechter. Aber im Vollsuff auf allen Vieren tanz ich ausschließlich mit der Polizei.“

„Auf einer Milonga trinke ich schon mal ein Glas Wein und sehe nichts Verwerfliches dabei. Nach einem intensiven Arbeitstag entspanne ich mich dadurch und kann ‚leichter‘ tanzen. Beim Unterricht würde ich keinen Alkohol trinken, ich mache aber keinen.“

Na eben – das ist doch auch eine Lösung!

Ich halte das Ganze für eine ziemliche Themaverfehlung: Nach meinen Erfahrungen sind die Tangogäste sowas von vernünftig, dass sie sich in der Regel mit einem Mineralwasser zufriedengeben. Und damit der innewohnende Bitzel sie nicht über die Stränge schlagen lässt, füllen manche ihre Thermosflasche auf dem Klo mit klarem Leitungswasser ab.

Angeschickerte Besucher sind eine Seltenheit. Mir fällt dazu nur eine einzige Dame ein, die auf einer Milonga allerdings einen veritablen Zacken in der Krone hatte und uns daher mit Details aus ihrem Sexualleben versorgte, welche wir gar nicht wissen wollten.

Insgesamt kann man die feinen Näschen der Tanzenden wohl schon – wie die Seidenspinner-Männchen – mit einzelnen Duftmolekülen irritieren. Aber Spinner sind ja nicht auf die Welt der Schmetterlinge beschränkt.

Leider scheint dies auf Kosten des Hörvermögens zu gehen. Wie sonst wäre es erklärbar, dass es vielen gar nicht auffällt, dass sie spätestens auf jeder dritten Milonga weitgehend zu denselben Musikaufnahmen tanzen? Aber das Krankheitsbild des „EdO-Tinnitus“ ist noch weitgehend unerforscht. Immerhin aber gibt es zu der Hörstörung des „Ohrklingelns“ Selbsthilfegruppen mit dem Anrufbeantworter-Text: „Bitte sprechen Sie nach dem Pfeifton!“

Der führende Sinn des Menschen ist jedoch der optische. Und da ergibt sich für mich ein noch größeres Dilemma: Was ich auf den Tanzflächen oft zu sehen bekomme, müsste ich mir eigentlich schönsaufen. Und auch beim Unterricht könnte die örtliche Betäubung das Geschwätz der Lehrkräfte erträglicher machen. Dennoch verzichte ich oft auf Alkohol, da meine Droge der Wahl – Rotwein – regelmäßig in einer Qualität angeboten wird, die mich mehr abschreckt als das gebotene uniforme Geschiebe.

Daher gehöre ich in diesen Fragen ausnahmsweise zu den Hardcore-Traditionalisten: Wie man auf alten Tangobildern sehen kann, nahmen damals die Kerle teilweise nicht mal beim Tanzen die Kippe aus dem Mund – und Antütern gehörte damals eher zum Lieblingssport. Tangotitel wie „La última curda“ („Der letzte Rausch“), „Esta noche me emborracho“ („Diese Nacht besauf ich mich“) oder „Los Mareados“ („Die Betrunkenen“) geben hierfür beredtes (oder gelalltes) Zeugnis. Und wenn es der Alk nicht tat, zog man sich – wie in „A media Luz“ – schon mal eine Portion Koks in die Nase. Gerochen hat man anschließend wohl kaum noch etwas.

Heute dagegen erweist sich nicht der Rivale als unverträglich, sondern das Gluten.

Dazu noch ein gar gräuliches Bilddokument aus versunkenen Zeiten: Zunächst lümmelt die Tänzerin rauchend auf einer Bank, wirft die Kippe schließlich auf den Fußboden und fordert in einer höchst fragwürdigen Weise (eine Frau?) auf. Auch der Tanz entspricht keinesfalls den Tango-Gepflogenheiten. Glücklicherweise werden die Tanzenden dann von einem tapferen Vertreter der Códigos mit dem Messer hingemeuchelt. Grad schee is‘!

https://www.youtube.com/watch?v=H3NiVJDaJt0

Quelle: https://www.facebook.com/groups/tangoforum/permalink/2458296311004491

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