Omikron-Anaerobic

 

Über die Aktivitäten eines Tangovereins in unserer Umgebung habe ich bereits vor anderthalb Jahren berichtet. Damals besprach ich eine Mail, die ich als „Einladung zum Ischgl-Tango“ bezeichnete:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2020/08/einladung-zum-ischgl-tango.html

Seither treibt man dort weiterhin fröhlich alles, was nicht explizit verboten ist. Um die „Privatheit“ der Veranstaltungen plausibel erscheinen zu lassen, hat man dort in regelmäßiger Folge „Geburtstags-Milongas“ veranstaltet. Und klar, bei mehr als 51 Mitgliedern hat im Schnitt pro Woche mindestens eines sein Wiegenfest!

Der nun angebotene Termin bietet neues satirisches Material: Was nun stattfinden wird, nennt sich „Tanzsport-Übungsnachmittag“.

Der Hintergrund liest sich so:

Tango ist Tanzsport, und die Sportausübung ist erlaubt !!!
Diese Ansicht teilt auch unser Gesundheitsamt, wir haben die schriftliche Erlaubnis zur Durchführung von Tango-Übungs-Nachmittagen und -Abenden. Wir dürfen uns treffen und tanzen, solange die Sportausübung im Vordergrund steht.“

Das hat schon mal hohes Satire-Potenzial, da man sich gerade im konservativen Tango seit Jahren heftig dagegen wehrte, „Tanzsport“ zu betreiben – nein, als „Tangokulturschaffende“ betreibe man schließlich Kunst! Schon vor über 15 Jahren jedoch stellte man höchstrichterlich fest: nein – Sport! In einem früheren Artikel berichtete ich darüber:

„Ich kenne natürlich das Gegenargument: Standard sei Sport, Argentino hingegen im kulturell-künstlerischen Sektor zu verorten. So argumentierte 2006 auch eine Tangolehrerin, die vor dem Bundessozialgericht wegen ihrer Nichtzulassung zur Künstlersozialversicherung klagte und verlor. Frei von jeder Tangoverzückung urteilten die Juristen: ‚Daraus folgt, dass der Argentinische Tango zum Bereich des Sports (…) zählt (…) Er unterscheidet sich insoweit nicht von vielen anderen Tanzdisziplinen, bei denen es Turniere und Meisterschaften gibt (…) Auf den Umfang der Kreativität und des Gestaltungsspielraums kommt es beim Tango Argentino ebenso wenig an wie auf die Frage, ob die Einhaltung bestimmter Schrittfolgen vorgeschrieben ist oder die freie Improvisation des Tanzpaares im Vordergrund steht. Denn Kreativität und ästhetische Gestaltung ist bei allen Tanzdisziplinen möglich und bei Wettbewerben auch geboten‘ (BSG, Urteil vom 7. 12. 2006 - B 3 KR 11/06 R)

Genau mit dieser ‚freien Improvisation‘ hatte die Klägerin nämlich den ‚künstlerischen Anspruch‘ des Tango argentino zu begründen versucht. Lustigerweise tun die meisten Tangolehrer jedoch alles, um exakt dieses Argument zu widerlegen: Sie verkaufen Schritte und Figuren wie in jeder Tanzstunde, besserenfalls noch Tanztechnik – Anregungen zur Kreativität hingegen sind zumindest äußerst dünn gesät. Ausgerechnet der von den Traditionalisten so geschmähte Bühnentanz dagegen gehört rechtlich in den Bereich Kunst, was dagegen auf den Tanzparketts gemeinhin abläuft, ist keine – und ich fürchte, da haben sogar die Juristen mal Recht…“

https://milongafuehrer.blogspot.com/2015/10/tango-standard-oder-stand-art.html

Zudem gehört schon eine Portion Unverfrorenheit dazu, im Zeichen der Omikron-Welle zum bunten Durcheinander auf dem Parkett einzuladen:

„Voraussetzungen: 2G-plus, ALLE Teilnehmer zusätzlich getestet, alle Teilnehmer sind uns persönlich bekannt und mittels Teilnehmerliste dokumentiert. Wir nutzen max. 25% der Raumkapazität. Die Getränkeversorgung mittels Selbstbedienung ist erlaubt, und das Mitbringen von Snacks ist auch erlaubt. 

Ihr dürft natürlich gerne Euch nahe stehende Personen mitbringen, aber bitte immer mit namentlicher Anmeldung!

Außerdem gilt die FFP2-Maskenpflicht auf allen Wegen, außer am Platz und beim Tanzen.“

Wie zuverlässig da mit den Tests umgegangen wird, ist halt die Frage – ob die offiziell bestätigt sein müssen oder man sich auf die Auskünfte der Gäste verlässt, wird nicht genauer erklärt.

Was ich damals über den „Ischgl-Tango“ geschrieben habe, gilt wohl auch weiterhin:

„Für mich ist das wieder einmal ein schlagender Beweis dafür, dass staatliche Regelungen niemals ganz verhindern können, dass man völlig Bescheuertes unternimmt. Nicht nur Gesetze, sondern auch der gesunde Menschenverstand sind nötig, um sich und andere vor Schlimmem zu bewahren.“

Was mich aber wirklich amüsiert: Laut Gesundheitsamt muss ja „die Sportausübung im Vordergrund“ stehen. Wenn ich nicht Angst vor Ansteckung hätte, würde ich mir das gerne persönlich ansehen: In dieser mir gut bekannten Szene dominiert seit Jahren langweiligstes Geschrammel, zu dem etwas Geriatrie-Gymnastik geboten wird. Insbesondere wenn ich an eine männliche Leitfigur des Vereins denke, die zu Beginn eines Stückes erstmal 30 Sekunden meditiert, um dann dynamisch auf der Zwei loszulegen, ist mir klar: Da muss man den Begriff „Sport“ schon bis zum Schach ausdehnen…

Um dennoch bei etwaigen Kontrollen des Gesundheitsamts zu bestehen, rate ich wenigstens zu einem sportlichen Outfit – was speziell den Tangueros apropos kommen dürfte, da die Hoffnung auf etwas mehr Nackischkeit besteht!

Vorbild könnten doch die hautengen Aerobic-Kostüme der 1980-er Jahre sein, inklusive Schweißbändern und Legwarmers. Und da würde auch die Begleitmusik deutlich mehr kesseln als das bisherige Humptata im Seniorenstift. Wenn ich mir dann aber die elfengleichen Silhouetten der reiferen Jugend in den Geburtsjahren vor 1960 vorstelle… Anaerobic… Nein, Schluss – das kriege ich sonst nicht mehr aus dem Kopf!

Erfreuen wir uns lieber an schönen Dingen wie einem Spruch zum Thema Aqua-Aerobic, den ich gerade gefunden habe:

„Setzen Sie sich auf die Poolnudel und reiten Sie!“

In der Ambulanz aufgewacht, weil ich vor Lachen abgesoffen bin.

https://debeste.de/181374/Setzen-sie-sich-auf-die-Poolnudel-und-reiten-sie


https://www.youtube.com/watch?v=TIfAkOBMf5A

Kommentare

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