Auf Lesungs-Tour mit dem „Milonga-Führer“

 

Kürzlich stieß ich beim Aufräumen auf eine DVD, die ich längst vergessen hatte: Die komplette Aufzeichnung einer Lesung, die ich zur 1. Neuauflage meines Tangobuches am 26.10.2013 in Ingolstadt hielt. Beim erneuten Anschauen nach acht Jahren hat mich der Auftritt immer noch sehr amüsiert. Kurz entschlossen haben wir daher die Dateien gestern auf mp4-Format konvertiert und bei YouTube hochgeladen.

Es blieb nicht aus, dass mir dabei Erinnerungen an die fast 40 Buchvorstellungen kamen, die wir im Laufe der Jahre mit dem „Milonga-Führer“ unternahmen – übrigens stets auf Einladungen der Veranstalter hin.

Unvergessen wird mir die erste Präsentation bleiben: Auf meine Rundmail hin meldete sich Elisabeth vom „La Mariposa Tango“ bei mir mit dem dringenden Wunsch, mein Buch doch zunächst auf ihrer Münchner Milonga im „Premier Etage“ (der alten Kuvertfabrik) vorzustellen.

Ich weiß noch, wie ich ängstlich darauf wartete, ob es die ersten 50 druckfrischen Exemplare noch rechtzeitig zu mir schafften – was glücklicherweise gelang. Am Abend hatten wir einen Büchertisch im Eingangsbereich der Milonga aufgebaut und wurden auch von Elisabeth Zagel sehr nett angekündigt.

Das Resultat: Sowas von Feinfrost habe ich bei keiner weiteren Buchvorstellung mehr erlebt. Viele Gäste schenkten den ausliegenden Exemplaren keinen Blick, ja machten ab der Tür einen deutlichen Bogen um die gefährliche Literatur. Nach meiner Erinnerung verkaufte ich an diesem Abend genau zwei „Milonga-Führer“. Ich bin mir heute sicher, dass es damals hinter den Kulissen deutliche Warnungen vor dem Buch gab, über dessen Inhalt man sich ja vorab im Netz informieren konnte.

Meine Erwartung war zu der Zeit, die eingekauften 50 Bücher irgendwie an Freunde und Bekannte loszuwerden – mehr nicht. Das täuschte aber: In den nächsten Wochen gingen bei mir so viele Bestellungen ein, dass wir die Büchersendungen manchmal kartonweise zur Pörnbacher Poststelle transportierten.

Einen riesigen Schub erhielt der Verkauf durch zwei Rezensionen, die beide fast zeitgleich Ende September 2010 erschienen: Eine sehr freundliche Besprechung in der „Tangodanza“ sowie ein Totalverriss auf der Seite von  Cassiel, der sich zuvor vergeblich bei der Zeitschrift um den Rezensions-Auftrag bemüht hatte. Was folgte, war eine jahrelange Vendetta der vielen Fans des damals höchst einflussreichen Bloggers gegen mich und mein Buch.

Was zunächst wie ein Todesurteil aussah, entpuppte sich als unglaubliche Verkaufsförderung: Das Werk galt nun als „umstritten“ oder sogar „häretisch“, daher wollten es viele lesen – was zu teilweise vierstelligen Rankings  bei „Amazon“ führte.

Obwohl ich mich damals sehr über die unfairen Angriffe ärgerte, muss ich heute gestehen: Eigentlich müsste ich dem inzwischen in der Versenkung verschwundenen Cassiel dankbar sein. Ohne seine „Mithilfe“ hätte ich nicht die Hälfte der inzwischen schätzungsweise 5000 Exemplare verkauft!

Auch die Buchvorstellungen, die meist aus einer viertelstündigen Lesung bestanden, liefen in der Folge besser. Allerdings begleiteten uns weiterhin viele Extreme. Als der Verlag das Werk 2011 auf der Leipziger Buchmesse präsentierte, waren wir zu einer Lesung nach Chemnitz eingeladen, von der ich mir viel versprach – wurde dort doch recht vielfältige Musik geboten. Das Ergebnis: Eisiges Schweigen – ich hatte den Eindruck, vor einer Horde Taubstummer zu stehen. Einen Tag später waren wir dann zur Leipziger Milonga „Alma en Vuelo“ eingeladen: Das dortige, eher junge und akademische Publikum brach in einen Begeisterungssturm aus! Meine Frau musste als Nachschub eine ganze Bücherkiste vom 500 Meter entfernten Parkplatz anschleppen, während ich pausenlos Bücher verkaufte, Widmungen schrieb und Lob einheimste.

Heute dürfte ich auf der Leipziger Milonga sicher nicht mehr aus dem „Milonga-Führer“ vorlesen. Ein Besuch vor vier Jahren hat uns gezeigt, dass dort – wie an vielen anderen Orten – die Tango-Vielfalt der Einfalt gewichen ist:  

http://milongafuehrer.blogspot.com/2017/09/sachsen-tango-geht-man-als-fremder.html

Viele Veranstalter bekamen sicherlich wegen der Hetze im Internet kalte Füße und fürchteten, ich könnte ihre Kirchen leer predigen. So schrieb mir ein Tango-Funktionär aus Biberach zu einer bereits vereinbarten Lesung:

„Ich mache relativ viel Werbung außerhalb der Szene. Daher möchte ich Dich herzlich bitten, bei Deiner Lesung etwas darauf zu achten, dass nicht so sehr die Schattenseiten und das – hm – Schwere' am Tanguero-Leben im Mittelpunkt steht, sondern eher der Nutzen und Gewinn, die Freude und das Glück, das uns dieses Tanzvergnügen beschert.“

Der Hintergrund war natürlich klar – er hatte Cassiels Blog gelesen: „Trotzdem ist es für mich nicht uninteressant gewesen, da mal reinzuschauen, denn wir wünschen uns durch die Lesung etwas Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und weniger eine kritische Beschäftigung mit der ‚Szene‘.“

Ich habe die Lesung damals abgesagt:

„Mein Milonga-Führer stellt halt Licht und Schatten in der Tangoszene in dem Verhältnis dar, welches ich für angemessen halte – und so wird es auch in den Lesungen präsentiert. Wenn ich dann schon im Vorfeld fürchten muss, dem Veranstalter bzw. seinen Vorstellungen von ‚Glück und Tanzvergnügen‘ im Wege zu sein, dann lassen wir es lieber.“

Womit manche Kritiker durchaus Recht hatten: Die erste Version des Buches war ziemlich lieblos, jedoch zu hohen Gebühren, von einem inzwischen Pleite gegangenen Bezahlverlag gefertigt. Das wurmte mich gewaltig.

Inzwischen kannte ich jedoch eine Tangofreundin, die künstlerisch sehr aktiv war und mir auch wichtige Schritte in die Computerwelt abnahm. Als ich 2011 an einem Ratgeber für Lehrer arbeitete, war ich entschlossen, ihn beim Branchenführer BoD zu veröffentlichen. Der machte das für schlappe 19 Euro, wenn man ihm eine fertige Druckdatei lieferte.

Als ich das Problem dieser Dame schilderte, meinte sie nur: „Na, dann machen wir halt eine.“ Meine ungläubige Frage: „Und das kannst du? So mit Satz, Layout, Cover und Illustrationen?“ „Klar, das probieren wir einfach!“

Inzwischen haben wir zirka ein Dutzend Bücher miteinander produziert – und es ist für einen Autor ein riesiges Glück, neben dem Computer zu sitzen und Zeile für Zeile, Bild für Bild den Entstehungsprozess zu begleiten. Ich kann Manuela Bößel für diese Arbeit nur in den höchsten Tönen loben – ebenso wie meine Frau Karin, die als Lektorin jede Woche einen Stapel Korrektur-Ausdrucke bearbeitete.  

Nach dem Erfolg mit dem „Lehrer-Retter“ machten wir uns daran, auch dem „Milonga-Führer“ ein neues Kleid zu schneidern. Am Text nahm ich Hunderte von Änderungen vor – und Manuela sorgte mit Cover und eigenen Illustrationen für äußeren Glanz. 2013 brachten wir die Neufassung heraus – 2016 nochmal eine aktualisierte 2. Auflage.

Zur Premiere des „Noch größeren Milonga-Führers“ wurden wir in die Ingolstädter „Tanzwerkstatt“ eingeladen, wo Sabine Redl-Thorbeck für einen wunderbaren Rahmen sorgte. Wir hatten für den Anlass einen professionellen Videofilmer beauftragt – und ich finde heute noch: Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Von der fast dreiviertelstündigen Lesung habe ich damals einen 20-minütigen Zusammenschnitt fertigen lassen und auf YouTube publiziert – bis jetzt mit über 2500 Zugriffen sehr erfolgreich:

https://www.youtube.com/watch?v=6RHg4ZoRJHA

Ich vermute, inzwischen sind viele zum Tango gekommen, für die das Buch Neuland sein dürfte. Daher möchte ich heute die Lesung in der Original-Fassung vorstellen – aus technischen Gründen in zwei Teilen. Ich verspreche 45 Minuten amüsante Unterhaltung:


https://www.youtube.com/watch?v=S1w347hL9PA

https://www.youtube.com/watch?v=vFjzc4KqTGM

Was ist von dem, was ich damals erzählte, noch gültig? Ich glaube, das meiste. Sicherlich sind die ideologischen Kriege von einst inzwischen abgeflaut. Aber nicht erst seit Corona ist auch der frühere Tango-Hype verschwunden, hat eine Marginalisierung der Szene stattgefunden. Und der Rest geht halt zum Tanzen, ohne sich sonderlich für die Hintergründe des Tango zu interessieren – so wie man in der 1950-er Jahren den Fünf Uhr-Tanztee besuchte, ohne sich um die Entwicklung der deutschen Schlagermusik zu kümmern. Und auf vielen traditionellen Milongas wüsste man gar nicht mehr, worüber ich im Buch überhaupt rede…

Daher bin ich sehr froh, meine Tangobücher zu rechten Zeit herausgebracht zu haben. Und Aktualisierungen finden nicht mehr in Buchform, sondern auf meinem Blog statt. Dennoch gibt es auch heute noch etliche Menschen, die sich täglich für meine Betrachtungen interessieren.

Und für die schreibe ich.

P.S. Infos zum Buch: http://www.robinson-riedl.de/buecher.htm

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