Verkicherte vs. Tiefdenker

 

„So schlechte Sachen dürfen Sie erst schreiben, wenn Sie berühmt sind“ (Voltaire zu einem jungen Autor)

Vor einigen Tagen stieß ich mal wieder auf einen meiner erfolgreichsten Artikel – von 2015, als mein Blog noch auf etwa 15 Prozent der heutigen Zugriffszahlen dümpelte. Aus einer blödeligen Laune heraus schrieb ich in einer knappen Stunde die Parodie auf die Einladung zu einem „Cabeceo-Training“ einer sehr bekannten und beliebten Münchner Tango-DJane.

https://milongafuehrer.blogspot.com/2015/04/das-geht-ins-auge-einladung-zum-blinzel.html

Da sich die Dame über mein Machwerk auf Facebook mokierte, lieferten mir ihre zahlreichen Fans einen veritablen Shitstorm. Tenor: Wie könne ich es nur wagen, mich über geheiligte Tangotraditionen sowie die Mutter traditioneller Playlists lustig zu machen!

Im Gegensatz zu meinem Text waren die öffentlichen Anwürfe gegen meine Person eher nicht lustig, sondern bierernst und bitterböse. Das schöne Ergebnis: Binnen kurzer Zeit verdreifachten sich die Zugriffe auf mein Blog, das sich von dieser Popularität bis heute nicht erholte.

Ich glaube, solche Erfahrungen machen alle Satiriker. Gerade fiel mir dazu ein Artikel von Erich Kästner ein, in dem er sich „Über den Tiefsinn im Parkett“ auslässt: Der Autor besuchte die Tragödie eines bekannten britischen Dramatikers, die auf allen namhaften Bühnen gespielt wurde, obwohl sie nichts tauge.

In der ersten Pause verriet Kästner seiner Begleiterin den Trick des Verfassers, um Tiefe vorzutäuschen: Jedes Mal, wenn die Trivialität faustdick wurde, kamen Dialogsätze wie „Du kannst mich nicht verstehen“ oder „Ich kann’s dir nicht erklären“. Kästner muss es wohl ziemlich laut erklärt haben, denn später gab es im Publikum immer wieder Lacher, wenn ein solcher Satz kam. Von bierernster Seite dagegen kamen scheele Blicke und Gezische. Und „an der Garderobe hätte einer der Verkicherten von einem düsteren Tiefdenker beinahe eins hinter die Ohren gekriegt.“

Am nächsten Tag kaufte sich Kästner die Textausgabe von „The Familiy Reunion“ des Dramatiker T.S. Eliot. Auf 100 Druckseiten kam der „Trick“ 88 Mal vor. „Wer Ohren hat zu hören, der höre“, zitiert Kästner die Bibel. „Doch wer richtet sich danach? Die meisten Menschen haben ihre Ohren wohl nur, damit ihnen der Hut nicht über die Nase rutscht.“

Das kann ich für die Tangoszene – was die Musik betrifft – nur bestätigen.

Tja, wie kann man sich über eine angeblich uralte Tradition der Tanzaufforderung, einen renommierten englischsprachigen Autor oder die Aufnahmen großer, alter Tangoorchester lustig machen? Wie niveaulos! Da muss man doch dankbar sein, wenn man nur mit Worten geschmäht wird!

Was man anscheinend immer wieder übersieht: In einer halbwegs liberalen, demokratischen Gesellschaft setzt sich stets das Lustige und Alberne gegen Verbiestert-Konservatives durch. Viele Menschen wollen lieber lachen als in Ehrfurcht vor irgendeinem Quark erstarren.

Zeitschriften wie DER SPIEGEL oder „pardon“ haben es sogar immer wieder fertiggebracht, politische Veränderungen anzustoßen. Letztere Zeitschrift, die von 1962 bis 1982 erschien, hat mich satirisch geprägt. Der damals noch unbekannte Karikaturist Friedrich Karl Waechter schrieb dazu:

„Ich habe die Zeit bei ,pardon' hauptsächlich deshalb so genossen, weil ich davor in der Schule brav und angepasst war und nun plötzlich die Erfahrung machte, für das, wofür ich in der Schule noch Ohrfeigen bezog, jetzt bei ,pardon' geliebt und getätschelt zu werden und auch noch Geld dafür zu bekommen - für Unverschämtheiten, für Frechheiten, für Dinge, die sich nicht schickten, die unanständig oder böse waren."

Freilich – und das hat dankenswerterweise der Mitherausgeber Hans A. Nikel treffend dargestellt – muss das Handwerk stimmen: "Das Interessante war, und darauf bin ich sehr stolz, dass diese Zeitschrift im Hinblick auf die Tatsachen ganz exakt recherchiert hat. Ich hatte es da sehr schwer – selbst mit der Redaktion. Viele meinten: ‚Satire darf alles!' Und das konnte ich so nicht akzeptieren. Witz allein ist keine Rechtfertigung, unsolide und unseriös zu sein. Weil das von den Lesern gespürt wurde, war ,pardon' wirklich sehr angesehen."

So gelangen immer wieder tränentreibende Coups wie der folgende:

Man erfand einen Amateurdichter, der acht Seiten aus Robert Musils berühmtem Werk „Der Mann ohne Eigenschaften" an 30 Verlage schickte – als Arbeitsprobe, mit der Bitte, den Text zu veröffentlichen. Rowohlt, Suhrkamp, Fischer, alle gingen „pardon" auf den Leim. Deutschlands Lektorenschaft lehnt den „unbekannten Text" ab. Was war lächerlicher: die literarische Unbildung oder die verlegerische Arroganz?

https://web.archive.org/web/20100723023112/http://www.bundestag.de/dasparlament/2007/43/KulturMedien/17587708.html

Natürlich hat man – was ich auch kenne – versucht, „pardon“ illegales Handeln zu unterstellen. Allein Franz Josef Strauß verklagte das Blatt 18 Mal – und verlor ebenso oft.

https://de.wikipedia.org/wiki/Pardon_(Zeitschrift)

In dem Zusammenhang staune ich immer wieder über die liberale Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das stets im Zweifel für die Meinungs- und Kunstfreiheit geurteilt hat. So viel zu den Querdenker-Behauptungen, diese Grundrechte seien bei uns nahezu abgeschafft…

Die politische Kaste hat bei uns in etlichen Jahrzehnten gelernt, nicht mehr empört nach dem Advokaten zu rufen, wenn sie mal wieder in die Satire-Mühle gerät. Man weiß: Das bringt nichts – außer größere Popularität für die Frechdachse. Bei manchem, was sich beispielsweise Oliver Welke und sein Team in der ZDF-„Heute Show“ herausnimmt, muss ich schon staunen. Dagegen bin ich ein Waisenknabe. Na  gut, diese Leute rechnen auch mit Spitzen-Prominenten ab. Dennoch: Draufhauen nur um des Krachs willen ist meine Sache nicht.

Das einzige Mittel gegen das Ausgelacht-Werden sind rigide Maßnahmen der Regierenden. Dann kann man einfach das Internet abschalten, Zeitungen verbieten oder Kritiker vor Gericht stellen (weswegen ist egal). Wie Kurt Hoffmann 1958 in seinem Film „Wir Wunderkinder“ zeigt, reicht auch schon ein uniformierter Schlägertrupp:

https://www.youtube.com/watch?v=R_PcV47V_SA

Die Szene dürfte ziemlich realistisch sein – nicht nur, weil sie tatsächlich in einem früheren Stammlokal Adolf Hitlers in München-Schwabing aufgenommen wurde.

Wenn ich da kurz mal ernst werden darf: Den Tonfall, welcher von reaktionärer Tango-Seite schon gegen mich angeschlagen wurde, empfinde ich als gruselig. Was würden diese Leute wohl unternehmen, wenn es wieder – wie zu Adolfs Zeiten – legitim, ja erwünscht wäre, missliebige Autoren und Kabarettisten zu „melden“? Oder wenn die „freiheitsliebenden Spaziergänger“, die sich derzeit bei uns herumtreiben, einen Staat nach ihrem Gusto errichten könnten?

Wir dürfen nie vergessen: Eine offene, demokratische Gesellschaft ist keine Selbstverständlichkeit, sondern immer wieder von Zustimmung und Engagement einer Mehrheit abhängig. Sonst kann es sehr schnell ganz anders laufen.

Daher unterstütze ich die Ansicht des Satirikers Werner Finck:

„Ich stehe hinter jeder Regierung, bei der ich nicht sitzen muss, wenn ich nicht hinter ihr stehe.“            

P.S. Wer den wunderbaren Artikel von Erich Kästner noch nicht kennt, sollte das dringend nachholen:

https://books.google.de/books?id=Y-2kDwAAQBAJ&pg=PT51&lpg=PT51&dq=k%C3%A4stner+tiefdenker&source=bl&ots=_pmI-ewXdH&sig=ACfU3U1Ab4SQ78efkOF3M6cPo7JkyFpq0A&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwj1rr-ygsX1AhV9lP0HHchIAtIQ6AF6BAgUEAM#v=onepage&q=k%C3%A4stner%20tiefdenker&f=false

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