Stil oder Stiletto
„Gib einem Mädchen die richtigen Schuhe, und sie kann die ganze Welt erobern.“ (Marilyn Monroe)
In einer FB-Tangogruppe, aus der man nicht zitieren darf, entspinnt sich gerade eine Diskussion ums weibliche Führen. (Lesen da manche heimlich auf meinem Blog mit?)
Ausgangspunkt ist die Frage einer Tanguera, die gerade diese Rolle lernt: Hat man als solche Tänzerin hinfort Schwierigkeiten, von Männern aufgefordert zu werden? Diesen Preis, so die Dame, sei sie nämlich nicht bereit zu bezahlen!
Beruhigend für sie, dass es anscheinend doch immer mehr Tänzer gibt, welche solche Frauen nicht gleich aussortieren… jedenfalls nach den überwiegenden Aussagen in der Gruppe.
Ein weiteres optisches Signal, das die weiblichen Aufforderungschancen reduziert, ist wohl die Wahl der entsprechenden Schuhe. Mit deutlichem Absatz sollten die schon ausgestattet sein – so mein Eindruck beim Durchlesen. Eine Tanguera schreibt:
„Allerdings bin eher als folgende Tänzerin erkennbar, habe also meistens High Heels an, und das führe ich schon darauf zurück, dass ich nach wie vor viel aufgefordert werde. Es gibt noch viele Männer, die nicht gerne mit Tänzerinnen in flachen Schuhen tanzen – die nun mal viel besser geeignet sind zum Führen, wenn man nicht grad ein Profi ist.“
Ähnlich diese Aussage:
„Überraschend nur, wie Führende an flachbeschuhten Folgenden vorbeigehen.“
Tatsächlich gibt es aber Männer, welchen der Sinn nicht einleuchtet:
„Echt eine lustige Idee, die Tanzpartner nach den Schuhen auszuwählen. Da muss man erstmal drauf kommen.“
Wenn die Damenwelt der Idee vom Flachschuh überhaupt nähertritt, dann neigt man zu dialektischen Lösungen:
„Mittlerweile tanzen ja auch einige nicht-führende Frauen in flachen Schuhen, besonders auf Encuentros/Marathons nach dem ersten Tag – weil es die Füße nicht so sehr belastet. (…) Hohe Schuhe finde ich tatsächlich schöner, eleganter zum Anschauen – aber im Tanz ist es eigentlich egal, finde ich.“
„Ich würde in der Tat zwischen Führen und Folgen die Schuhe wechseln.“
„Ich persönlich tanze auf hohen Schuhen besser in der folgenden Rolle. In der führenden Rolle sind hohe Schuhe hinderlich.“
Eine bekannte Münchner DJane hat die Sache mit viel Routine perfektioniert:
„Ich wechsle fast immer mit der Rolle auch die Schuhe. Wenn eine neue Tanda beginnt, warte ich erst auf die Musik und entscheide dann, mit wem und in welcher Rolle ich tanzen möchte, und wechsele evtl. noch schnell die Schuhe.“
Na, zwischendurch muss sie ja noch den Cabeceo hinkriegen… Und wenn sie anschließend noch mindestens ein Viertel des Stücks in holder Traditionsausübung verquatscht, hat sie den ersten Titel bereits hinter sich. Auch eine Methode, nicht auf langweilige Stücke tanzen zu müssen!
Was mich bei diesem Gedankenaustausch bei aller Sinnhaftigkeit amüsiert: Niemand wagt es, den Kern der Sache anzusprechen: Viele Männer finden halt Frauen mit Stilettos oberaffengeil!
Ich habe mich zum Thema einmal umgetan:
Von High Heels spricht man bei einer Absatzhöhe ab etwa 8 Zentimetern – die flacheren Exemplare (zwischen 3,5 und 5 cm) nennen sich „Kitten Heels“, bei 14 cm oder mehr gibt es die schönen Namen „Fetish-Heels“ oder „Skyscrapers“ (werden eher im Liegen getragen).
Zwanzigtausend Euro gibt eine Frau angeblich im Laufe ihres Lebens allein für Schuhe aus (das entspricht etwa 470 Paaren). Jede Frau hat im Durchschnitt 19 Modelle im Schrank. 37 Prozent aller befragten Frauen wären bereit, tolle High Heels zu kaufen, selbst wenn sie ihnen nicht passen.
Gesund
sind die Dinger nicht. Im Durchschnitt war jede zehnte Frau schon einmal wegen
eines Absatz-Unfalls beim Arzt. Häufigste Verletzungen: gebrochene Knöchel,
entzündete Blasen, gezerrte Sehnen, Bänderrisse, verdrehte Knie. Längerfristige Fußdeformationen kommen noch extra.
94 Prozent der Männer finden Frauen in High Heels sexy, vor allem weil ihr Gang dann erotischer wird. 81 Prozent finden Stilettos sogar erregend. Eine kleine Einschränkung gibt es allerdings: 88 Prozent sagen, wenn eine Frau nicht auf hohen Absätzen laufen kann, sollte sie es lassen.
So jedenfalls ist es in dieser Quelle zu lesen:
https://www.womenshealth.de/fashion/accessoires/8-fakten-ueber-high-heels/
Nicolas Guéguen, Psychologe an der Universität der Südbretagne, hat eine Studie im Fachjournal „Archives of Sexual Behaviour“ veröffentlicht:
Guéguens Team schickte 19-jährige Frauen als Lockvögel los. Sie trugen schwarze Schuhe mit unterschiedlich hohen Absätzen – von 0,5 Zentimetern über fünf Zentimeter bis hin zu neun Zentimetern. In verschiedenen Standardsituationen testeten sie die Hilfsbereitschaft von Männern im Alter zwischen etwa 25 und 50 Jahren.
Bei einer angeblichen Umfrage zur Gleichstellung der Geschlechter (!) war weniger als die Hälfte der angesprochenen Männer bereit, die Fragen zu beantworten, wenn die Damen flach daherkamen. Bei mittelhohen Absätzen lag die Zustimmungsrate bei fast zwei Dritteln, in hochhackigen Pumps bei 83 Prozent.
Ließ eine Frau einen Handschuh fallen, stieg die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mann ihn aufhob, um fast 50 Prozent, wenn die Frau hohe Schuhe trug.
https://www.nzz.ch/gesellschaft/lebensart/stil/hohe-absaetze-machen-eine-frau-schoener-1.18441714
In der Umfrage eines Lifestylemagazins gaben 94 Prozent der Befragten an, dass High Heels sexy sind. Beinahe die Hälfte der 1088 befragten Herren geht sogar davon aus, dass Frauen, die solche Schuhe tragen, besser im Bett sind!
Allerdings sagt ein Viertel der Männer, Damen auf Stilettos könnten nerviger sein. Vielleicht liege das ja an den Schmerzen beim Tragen…
https://www.port01.com/news/Dresden/Sexy_Ausstrahlung_dank_High_Heels-2-18140.htm
Viele Frauen trügen High Heels vor allem, weil sie ihre verhältnismäßig kleine Körpergröße ein wenig erhöhen möchten. So würde das Bein durch den hohen Absatz gestreckt. Es wirke schlanker, die Muskeln arbeiteten etwas stärker, und ein kraftvoller Gang sei gefragt. Der Rücken falle leicht ins Hohlkreuz, weswegen die beiden Blickfänge Po und Busen hervorträten. Frauen könnten daher auf High Heels stärker ihre Reize darstellen und sich allgemein sexier fühlen.
Die Schritte fielen kürzer aus, was den männlichen Beschützerinstinkt wecke. Na ja, für den traditionellen Tango ist das ebenfalls günstig…
https://www.high-feelings.de/magazin/warum-tragen-frauen-high-heels
Von Neurologen kommt gar die verwegene Idee, dass sich das Lustzentrum in Gehirn unmittelbar neben dem für die Füße zuständigen Areal befindet, was ebenfalls das männliche Interesse an schönen Schuhen erklären könnte.
https://www.femelle.ch/love/sex-in-high-heels-warum-maenner-auf-hohe-schuhe-stehen-708
Nun habe ich, auch als Biologe, nichts gegen sexuelle Auslöser – sonst wäre die Menschheit längst vor dem Klimawandel ausgestorben. Ich wäre jedoch dankbar, wenn man – auch in Anbetracht des tangotypischen Durchschnittsalters – die Fortpflanzungs-Rituale beim Tanzen etwas zurückstellen könnte.
Dennoch möchte ich den Damen ihre High Heels nicht madig machen: Wenn sie sich darin gefallen, ist das ja okay. Ich bitte nur kritisch zu überlegen, ob sich dieses Gefühl bei ihnen nicht doch in Anbetracht der männlichen Wünsche einstellt.
Wichtiger fände ich die Überlegung, ob man auf hohen Hacken wirklich eine gute Balance, Stabilität und Bodenhaftung hinbekommt. Ich hatte bei einer Reihe von Partnerinnen das deutliche Gefühl, dass sie es auf flacheren Sohlen eher schaffen würden.
Eine kleine Parallele: Im Standard- und Lateintanz waren für mich viele Jahre die üblichen Tanzschuhe mit den Wildledersohlen alternativlos. Daher habe ich sie lange Zeit auch beim Tango getragen. Als ich es – damals wegen Fußproblemen – einmal mit Sneakers versuchte, war ich schwer beeindruckt, was mir plötzlich mit bequemeren und elastischeren Schuhen gelang. Und ich hatte nie das Gefühl, dass Partnerinnen in flachen Schuhen schlechter tanzten – im Gegenteil!
Und um das Tanzen sollte es doch gehen! Daher plädiere ich entschieden dafür, Milongas wieder mehr als Tanzveranstaltungen zu begreifen statt als Fetisch-Partys. Männer, die wegen der Schuhwahl einen Bogen um Frauen machen, sollte man getrost vergessen. Ihre Bewegungskünste halten sich meist in engen Grenzen – sie haben ja ganz anderes im Sinn.
Daher meine ich: Stiletto ist wohl nur die Verkleinerungsform von Stil.
P.S. Und wenn schon High Heels: Dann sollte man es so können wie diese Tanzenden!
https://www.youtube.com/watch?v=kAWL-PpWTjs
Quelle: https://www.facebook.com/groups/214360532064758 (Post vom 19.10.21)
Wie gut dass Du Studien herangezogen hast - da kann man sich emotionale Diskussionen sparen, ein Zusammenhang zwischen Absatzhöhe und Attraktivtät ist gegeben. Ob man/frau das nun gut oder schlecht findet ändert nichts am Sachverhalt, es kann lediglich die eigene Reaktion ändern.
AntwortenLöschenFür mich ist es vorteilhaft, wenn eine Partnerin relativ große Schritte sicher setzen kann. Nachrangig ist, ob das nun in auf Wachstumshormonen, Ballett oder Beherrschung ihrer Absatzhöhe basiert.
Rollenwechslerinnen wägen beim Cabeceo zumeist gut ab, ob mir zu folgen eine erquickliche Tanda ergeben könnte ... was auch für mich von Vorteil ist. Als ich anfangs führende Damen gesehen habe war ich versucht zu glauben, dass Frauen im Allgemeinen vielleicht doch besser tanzen können als Männer. Aber da standen dann sehr viel Erfahrung, eine gute Vernetzung und oft auch ein Partner dahinter. Frauen, die von der Partnerwahl frustriert mal eben Führen wollen, haben eine lange Durststrecke vor sich.
Die Durststrecke ist aber länger, wenn sie weiterhin darauf warten, von Männern aufgefordert zu werden. Und klar: "Mal eben" geht beim Tango gar nichts - weder bei Frauen noch bei Männern. Auch wenn das viele Tangolehrer suggerieren.
LöschenGerade erreichte mich zu meinem Artikel ein Kommentar meiner Tangofreundin Annette aus Offenbach:
AntwortenLöschenHallo Gerhard,
hier mal ein harmloser Leserbrief zu Deinen Betrachtungen über Stile und Absätze:
Deine Beiträge zum Thema Cabeceo, Aufforderungen, Männervorteile, Bigotterie und Scheinheiligkeit teile ich voll und ganz.
Aber die schönen Outfits vieler Damen haben nicht nur den Zweck, der Männerwelt zu gefallen, es geht den allermeisten Damen darum, sich selbst zu gefallen. Mir geht es jedenfalls so. Wenn ich zum Tango gehe, gehe ich nicht ins Büro. Das feiere ich auch dadurch, dass ich mich "schön" mache, d.h. schönes Kleid, tolle Schuhe, Mühe bei der Frisur, die großen Ohrringe... Je nach Vorfreude ist es mal mehr oder weniger Mühe. Der Blick in den Spiegel gehört dazu, es macht mehr Spaß, wenn frau sich gerne im Spiegel sieht. Also Eitelkeit! Die nicht narzisstisch ist, aber Spaß macht.
Wir sind ja selbst Veranstalter, und wenn ich sehe, wie die Leute sich schön gemacht haben, interpretiere ich das als Wertschätzung für unsere Veranstaltung: Da hat sich jemand drauf gefreut und sich Mühe in der Vorbereitung gegeben, so wie der Lehrer sich freut, wenn die lieben Kinder ihre Hausis gemacht haben.
Und weil Tango nicht Büro ist, gilt auch ein wenig das Sprichwort: "Wer schön sein will, muss leiden". Also ich finde, bei mir sehen 9cm-Absätze toll aus. Da Folgen beim Tango ja ohnehin auf Zehenspitzen passiert, ist es technisch gesehen egal, ob da noch ein Absatz dranhängt. Optisch ist es einfach schöner. Also, die Mühe, auf Tangoschuhen zu stehen (tanzen ist kein Problem) wird mehr als kompensiert durch positive Gefühle durch Befriedigung der Eitelkeit. Zumindest in unserer Szene ist bei den Damen das Thema Schuhe auch immer beliebt beim Smalltalk. Wir sind da alle
großzügig mit gegenseitiger Bewunderung für das Outfit, insbesondere neue Schuhe. Männer spielen in diesen Gesprächen keine Rolle. Da ich außer beim Tango sonst nie hohe Absätze trage, glaube ich nicht, dass ich damit große Gesundheitsrisiken eingehe.
Wie ich hier ja schon öfter mal berichtet habe (und Du ja auch), findet unser Tango in einem Fetisch-Club statt. Naturgemäß sind bei uns viele Tänzer und Tänzerinnen, die nicht nur dem Tango, sondern auch dem Fetisch und auch Äußerlichkeiten gegenüber recht aufgeschlossen sind, und zwar bewusst und selbstironisch. Und tolerant. Der Smalltalk drehtsich nicht nur ums Tanzen, sondern auch um Gefühle und Fragen, was erotische Anziehung ausmacht. Wir staunen gemeinsam, wie unterschiedlich die Leute sind. Das macht Spaß.
Viele Grüße Annette
Liebe Annette,
Löschendie Freude an dem, was du schilderst, will ich dir ja auch nicht nehmen!
Zudem habe ich nicht gefordert, beim Tango in Alltagskleidung zu erscheinen. Kommt halt ganz auf den Rahmen an. Aus Gründen, die ich oft dargestellt habe, zieht es mich halt nicht auf illustre Festivals oder Tangobälle. Wir haben schon an vielen durchaus unspektakulären Orten und in kleinem Kreis getanzt. Da wäre ein glanzvolles Outfit eher seltsam.
Ich habe lediglich dafür plädiert, in Schuhen zu tanzen, die dazu wirklich gut geeignet sind. Nun, wer das auf High Heels fertigbringt – prima. Meine Erfahrungen gehen eher in eine andere Richtung. Und wer leidet, sieht eher nicht schön aus, finde ich. Übrigens tanzen Tangueras kaum nur auf den Zehenspitzen – allenfalls auf den Ballen.
Auch deine Schilderung zeigt halt die zwei unterschiedlichen Optionen: Tango als „Hintergrund“ für eine rauschende Party – oder der Tanz als Zentrum einer Milonga. Sicher gibt es dazwischen viele Schattierungen.
Sorry, ich stehe halt auf Tanzen und weniger auf das Drumherum. Tango pur ist mir lieber.
Danke und liebe Grüße
Gerhard