Besser als nichts
Auf Umwegen bin ich auf die Facebook-Seite der Liedermacherin und Musikproduzentin Dota Kehr gekommen. Die studierte Medizinerin ist Frontfrau der Berliner Band „Dota“. Sie spielte zunächst Saxofon und lernte später Gitarre. Als Straßenmusikerin wurde sie anfangs unter dem Namen „Kleingeldprinzessin“ bekannt. 2019 erhielt sie den Deutschen Kleinkunstpreis in der Sparte Chanson/Musik/Lied.
https://de.wikipedia.org/wiki/Dota_(S%C3%A4ngerin)
Vor fünf Tagen veröffentlichte die Künstlerin auf ihrem FB-Account einen Text, den ich sehr interessant finde: Obwohl sie selber gegen Covid-19 geimpft ist, hält sie eine Verpflichtung dazu für falsch – auch eine indirekte. Dennoch bittet sie um Verständnis, dass sie für etliche Konzerte die 2G-Regelungen akzeptiert:
„Für uns gibt es zurzeit diese Möglichkeiten:
1. gar nicht spielen.
2. Konzerte mit 3G (geimpft/genesen/getestet): Bedeutet derzeit in den meisten Bundesländern, dass die Clubs oder Säle nur mit halber Publikumskapazität bespielt werden können und dass stehendes Publikum während der Veranstaltung Masken tragen muss.
3. Konzerte mit 2G (genesen/geimpft/ und je nach Veranstalter unterschiedlichen Regelungen zu Kindern unter 12 und Leuten, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden können) - dann können in den meisten Bundesländern die Konzerte ohne Masken durchgeführt werden. (…)
Ich liebe meinen Beruf und möchte gerne Konzerte spielen und weiterhin davon leben können.
Die Kulturlandschaft leidet seit über eineinhalb Jahren unter den Einschränkungen, von strengen Auflagen für Veranstaltungen bis zu kompletten Schließungen, die schwere finanzielle Einbußen nach sich ziehen. Die Bedingungen der 3G-Regelung sind wirtschaftlich nur für stark subventionierte Kultureinrichtungen tragbar, für die meisten anderen Veranstalter*innen und Künstler*innen aber nicht.
Somit werden auch unsere Konzerte nur noch an manchen Spielorten unter 3G umsetzbar sein. (…)
Ich mag die 2G Regelung nicht leiden, denn – auch wenn ich selbst geimpft bin und auch wenn ich glaube, dass sich die Pandemie leider nur durch Impfen in den Griff kriegen lässt – finde ich, dass die Entscheidung für die Impfung unbedingt freiwillig bleiben muss und halte diesen indirekten Druck für falsch.
Aber so sind momentan die Regeln (siehe oben). Wir haben sie nicht gemacht. Wir möchten unseren Beruf als Musiker ausüben, und ich wäre dankbar, wenn auf Vorwürfe und Anfeindungen verzichtet wird, dort wo wir unter 2G Bedingungen spielen.
Ich hoffe, dass wir möglichst bald in den betroffenen Städten auch wieder Konzerte spielen können, die allen offen stehen.“
Ich finde es spannend, wie da eine Künstlerin den Spagat zwischen ihrer medizinischen Ausbildung und ihrem Beruf als kritische Liedermacherin versucht. Selbstverständlich ist hierzulande der Platz zwischen den Stühlen höchst unbequem. Neben viel Zuspruch erhielt sie auch jede Menge schlimmer Kommentare.
Manche Kritiker werfen ihr vor, mit dieser Haltung ihre Liedtexte zu verraten. Ich habe ein Beispiel gefunden, das wenigstens sprachlich etwas hermacht:
„‚Geld verdirbt den Charakter‘ sang mal eine Frau, die ich sehr achtete. Sie ist jetzt von uns gegangen. Man munkelt, sie habe infolge einer Impfnebenwirkung ihr Rückgrat verloren.
Andere Quellen behaupten, sie wäre an ihrer eigenen Kotze erstickt, die ihr hochkam, nachdem sie ihr Lied ‚Grenzen‘ aufführte. Alle Soforthilfemaßnahmen in Form von Gewissensbissen kamen zu spät. Gibt's eine Moral, die diese Geschichte für uns bereithält? Ja: Auch eine Prinzessin bleibt besser bei ihrem Kleingeld.“
Daher sollte man solchen Kunstprojekten konsequent aus dem Weg gehen:
„Nur konsequenter Boykott aller Veranstaltungen und Läden, welche das aktuelle Eugenik-Projekt unterstützen kann, helfen, zur Freiheit zurückzufinden. Kein Mut -> keine Freiheit...“
Ansonsten gibt es natürlich die beim Thema unvermeidlichen pseudowissenschaftlichen Kurz- oder Langreferate, welche die gelernte Medizinerin sicherlich mit Interesse gelesen hat. Ich erspare meinen Lesern die allseits bekannten Beispiele.
In dem Zusammenhang muss natürlich auch betont werden, dass „die Politik“ alles falsch gemacht und das arme Volk belogen und betrogen hat:
„Meine Meinung dazu ist, dass inzwischen auch beim letzten, braven Bürger angekommen sein muss, dass sowohl die Wissenschaft wie auch die Politik mehrfach zu diesem Thema gelogen haben. Es fing an mit einer Welle, die man innerhalb von zwei Wochen abflachen wollte, ging über zwei Impfungen zur angeblichen Immunisierung, mehrere Lockdowns, massiven Grundrechtseinschränkungen usw. (…) Sorry, aber wer da noch argumentiert, dass ‚DIE Wissenschaft‘ immer Recht hat, der hat sie aus meiner Sicht nicht mehr alle.“
„Ich verstehe das Dilemma, in dem die Künstler stecken. Dennoch: Wer unter 2G Bedingungen seinen Laden oder sein Restaurant öffnet oder sein Fitnessstudio oder Konzerte oder Theater spielt, macht sich zum Erfüllungsgehilfen einer perfiden und menschenverachtenden Agenda.“
Was mir noch nicht klar war: Beim Kabarett- und Liedermacher-Publikum scheint der Anteil von Hobbyhistorikern vergleichsweise hoch zu sein:
„Kläre mich auf wegen dritten Reich ich hab so oft hören müssen, ‚ich habe nur Befehle befolgt‘, ‚das war damals so, man müsste mit machen‘, ‚wir wussten nicht ...‘. Am Ende ist es egal wen man aus grenzt, den Juden, den Ungeimpften, den Schwarzen, die Frau, der Homo, der Doofe, die Dicke usw...“
„Was ist 1933 ff. passiert? Wie konnte es dazu kommen, dass Menschen andere Menschen nicht mehr in ihr Geschäft, ihr Restaurant, zum Konzert, ins Museum etc. gelassen haben? Warum haben so viele Menschen nicht frühzeitig NEIN gesagt zu Diskriminierung, Stigmatisierung, Ausgrenzung und Zweiklassengesellschaft?“
„‚So ist es nun einmal‘, ‚die machen auch nur ihren Job‘, alles hohle Phrasen, die man auch im dritten Reich angewendet hat, um das eigene Fehlverhalten zu rechtfertigen. Jeder ist für sein Handeln selbst verantwortlich. Sich hinter einer Legitimation eines kriminell agierenden Staatsapparates zu verstecken ist billig und feige.“
Wenn ich vielleicht an einige Nebensächlichkeiten erinnern dürfte:
Es geht hier schlicht um den Erwerb von Eintrittskarten für eine Kulturveranstaltung, den man wegen der herrschenden Infektionsgefahr an bestimmte Bedingungen knüpft. Über die kann man natürlich diskutieren. Vom Weltuntergang oder einer drohenden Diktatur sind wir aber noch ein Stück weg.
Leider wird derzeit das Modewort „Diskriminierung“ inflationär auf jeden Käse gepappt. Ich warte noch auf das Argument: Der Eintritt nur gegen Bezahlung diskriminiert alle, die nicht das Geld dafür haben. Es ist daher ausgrenzend, für Kultur überhaupt eine Gage zu verlangen – Scheiß-Kapitalismus!
Und wenn wir schon von „Ausgrenzung“ reden: Geht die nicht eher von einer Minderheit aus, die sich halt partout den weithin akzeptierten Argumenten verweigert?
Und nein, unser Staatsapparat ist nicht kriminell. Bei Zweifeln empfehle ich eine Bildungsreise nach Weißrussland oder ähnliche Regionen.Vor einem knappen Monat wurde schließlich (bis auf Ausnahmen in Berlin) ziemlich ordentlich und transparent ein neuer Bundestag gewählt. Über 85 Prozent der Stimmen gingen an Parteien, welche die infektionsbedingten Einschränkungen grundsätzlich unterstützen. Auch Umfragen zeigen seit anderthalb Jahren konstant eine solche Zustimmungsquote. In gewissen Meinungsblasen mag es überraschen, dass der nächste Kanzler voraussichtlich Olaf Scholz und nicht Reiner Fuellmich heißt. Ist aber so.
Aber klar, das Volk ist manipuliert, die Wahlen hat man gefälscht – da hilft nur noch Revolution:
„Lösungen werden nicht aus dem System kommen, denn das ist durch und durch korrumpiert. Ergo bräuchte es einen Volksaufstand - ohweia, jetzt habe ich ‚Volk' gesagt!“
Genau – das Wort sollte man in dem Zusammenhang vermeiden…
Und, liebe Leute: Mit der Naziherrschaft früherer Zeiten hat das alles genau nichts zu tun! Mir ist jedenfalls nicht bekannt, dass uniformierte Truppen von Impfbefürwortern durch die Straßen ziehen und Jagd auf Ungeimpfte machen, sie zusammenschlagen oder gar ermorden. Weiterhin habe ich eine ungefähre Ahnung, was ein Joseph Goebbels mit Facebook und anderen sozialen Medien angestellt hätte. Ich sage nur so viel: Regierungskritik hätte man dort nicht mehr lesen können. Was ich ebenfalls vermute: Hätten Juden sich damals durch eine Impfung in „Arier“ verwandeln können – sie hätten zu zirka hundert Prozent getan!
Und schließlich sehe ich momentan keine Anzeichen dafür,
dass Impfbefürworter einen Weltkrieg
planen. Oder einen Holocaust.
Was ich bei Alledem vermisse: Ich lese in solchen Debatten keine Zeile zur Freude darüber, dass nun überhaupt wieder kulturelle Veranstaltungen stattfinden können. Wo wären wir generell ohne die schnelle Entwicklung einer Schutzimpfung? Ich mag es mir nicht vorstellen. Was wir momentan haben, ist doch „besser als nichts“, oder?
Lassen wir daher zum Schluss Dota Kehr noch dieses Lied singen. Übrigens ist dieser Kunstgenuss
unterschiedslos allen Genesenen, Geimpften, Getesteten sowie Gehirnerweichten
möglich:
https://www.youtube.com/watch?v=LOD3V64NWjU
Quelle: https://www.facebook.com/dota.kehr
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