…und führe mich
Derzeit wird in den sozialen Foren wieder viel über das Erlernen der führenden Rolle durch Frauen geredet. Meinem Eindruck nach sind immer mehr Tänzerinnen daran interessiert – schon, um auf zahlreichen Tangoveranstaltungen nicht stundenlang unaufgefordert herumzusitzen.
Was viele dann abhält, dieses Ziel konsequent zu verfolgen, hat wohl verschiedene Gründe: Vielleicht wird man dann von gewissen Männern gar nicht mehr aufgefordert oder zumindest schräg angesehen. Eventuell wollen auch manche Damen gar nicht mit ihresgleichen tanzen? Vor allem aber hält sich hartnäckig die Behauptung, das Führen sei weitaus schwerer zu erlernen – Folgen bedeute ja nur, das auszuführen, was der Mann einem aufträgt.
Bei einem solchen Thema benötigt man natürlich weibliche Kompetenz. Ich habe mich daher sehr gefreut, dass meine Frau Karin bereit war, von ihren Erfahrungen beim Führen zu berichten. Wir haben beim Frühstück einfach die Tonaufzeichnung laufen lassen:
Gerhard: Seit wie vielen Jahren tanzt du im Tango auch die führende Rolle?
Karin: Ich schätze zehn Jahre.
Gerhard: Zu wieviel Prozent war das Interesse am Neuen beteiligt beziehungsweise der Wunsch, mehr zum Tanzen zu kommen?
Karin: Mit ungefähr 70 Prozent das Interesse am Neuen – der Rest wegen der größeren Optionen beim Auffordern.
Gerhard: Wie hast du Führen gelernt?
Karin: Durch den Besuch von zwei Workshops (jeweils zweitägig), du hast mir ein paar Sachen gezeigt – vor allem aber durch Abschauen und Ausprobieren.
Gerhard: Hast du von Frauen schon mal einen Korb gekriegt?
Karin: Ist mir einmal passiert, die Dame tanzt generell nicht mit Frauen. Manche zieren sich ein wenig, sind unsicher – gerade, wenn sie größer sind als ich. Die meisten nehmen es aber sehr gerne an.
Gerhard: Es wird oft behauptet, Führen sei schwerer als Folgen. Daher sei die andere Rolle für Frauen weniger einfach zu lernen.
Karin: Das kann man so nicht vergleichen. Es sind jeweils ganz spezifische Aufgaben. Was ich für Männer – gerade Anfänger – schwieriger finde, ist die Kombination der verschiedenen Anforderungen: Einfälle zu haben, die auch noch halbwegs zur Musik passen, und das Navigieren auf vollem Parkett. Und Frauen haben begrenztere Kräfte, wenn sich die Partnerin schwerfällig bewegt. Unmusikalischen Tangueros folgen zu müssen, ist aber ebenfalls kein Vergnügen.
Gerhard: Werden Frauen von Männern gemieden, wenn sie mit einer Tänzerin auf dem Parkett zu beobachten sind?
Karin: In seltenen Fällen hört man schon mal Bemerkungen oder wird nicht mehr aufgefordert. Befremdete Blicke fängt man sich öfter ein: Was sind das für welche – und wollen die überhaupt mit Männern tanzen?
Gerhard: Tanzt du als Führende lieber auf flachen Schuhen?
Karin: Ich tanze inzwischen überhaupt lieber in flachen Schuhen. Beim Führen hat man dann auch einen festeren Stand. Aber ich kann‘s auch mit höheren Absätzen.
Gerhard: Was ist der Vorteil, wenn du mit Frauen tanzt, die selber auch führen können?
Karin: Sie kennen halt beide Rollen und können sich daher besonders gut einfühlen. Der Vorteil ist natürlich auch, dass man während eines Tanzes wechseln kann und so wieder neue Ideen entstehen, wenn einem selber gerade nichts mehr einfällt.
Gerhard: Hast du auch schon Männer geführt?
Karin: Ja, gelegentlich. Das ist oft anstrengender – wegen der Größe, des Körpergewichts und auch, da sie nicht immer so wendig sind.
Gerhard: Stimmt es, dass sich Frauen durch das Führen oft beim Folgen wieder schwerer tun?
Karin: Das kann als Übergangsproblem vorkommen – im Endeffekt aber nicht.
Gerhard: Welche Ratschläge würdest du einer Frau geben, die im Tango das Führen lernen will?
Karin: Wenn das gute Lehrer sind, zu denen man Vertrauen hat, kann man schon Kurse machen – so als kleine Impulse. Dann vor allem viel zuschauen und ausprobieren. Und sich keinen Kopf mit irgendwelchen „Figuren“ machen – einfach gehen, in den drei Spuren. Dann ganz langsam aufbauen, vielleicht mal Ochos versuchen und Fußwechsel. Aber Schritt für Schritt, keine Überforderung.
Gerhard: Als Bilanz – tanzt du lieber die führende oder folgende Rolle?
Karin: Schon letztere! Es gibt halt Tänze mit sehr guten Partnern, auf die ich nicht verzichten möchte.
Gerhard: Vielen Dank!
***
Ich habe ja Karins tänzerische Entwicklung – und auch die von einigen anderen Frauen – unmittelbar mitbekommen. Die Erfahrung bei unseren häuslichen Übungsstunden zeigt: Fortschritte entstehen vor allem dann, wenn man sich keinen Stress macht und auch musikalische Herausforderungen sucht. Für die ersten Ansätze empfehle ich daher private Treffen und nicht gleich die volle Mega-Milonga. Weibliche Tanzpaare erregen halt Aufmerksamkeit – damit muss man erstmal klarkommen.
Männer, die darob die Nase rümpfen, ermöglichen eine leichte Unterscheidung zwischen Gentlemen und Vollidioten.
Und um es offen zu sagen: Führen zu lernen, weil man mit dem Folgen große Probleme hat, ist keine gute Idee!
Zum Trost: Nach meinen Beobachtungen tanzen führende Frauen in der Regel besser als männliche Tänzer in derselben Rolle. Mir macht es meist großes Vergnügen, weibliche Tanzpaare zu beobachten. Da sieht man auch mehr individuelle Tanzstile und wechselseitige Initiativen. Und als Gastgeber unserer Wohnzimmer-Milonga genieße ich es sehr, mir nie Gedanken wegen des Geschlechter-Proporzes machen zu müssen – wir haben ja unsere führenden Damen!
Ob ich mich selber auch mal in die andere Rolle begebe? Das kommt vor – oft gegen Ende einer Milonga. Ich sage dann immer: Beim Übergang vom Tango zum realen Leben sollte die übliche Hierarchie wiederhergestellt werden…
Aber im Normalfall tanzen unsere Damen lieber untereinander, statt einen 1,90 großen und 100 Kilo schweren Opa herumschieben zu müssen. Das sei ihnen gegönnt!
Gerade erreichte mich ein Kommentar meiner Leserin Birgit Gründler, den ich sehr gerne veröffentliche:
AntwortenLöschenIch möchte mich (als sonst stille Leserin) heute mal zu Wort melden zum Thema Frauen und Führen lernen.
Gleich am Anfang sei gesagt, dass ich eine einfache Hobbytänzerin im fortgeschrittenen Alter bin und hier nur meine Erfahrungen und meine Meinung artikuliere, die keinerlei Anspruch auf Allgemeingültigkeit haben.
Ich tanze seit mehr als 25 Jahren in der „folgenden“ Rolle (in Anführungszeichen, weil diese Rolle eigentlich nicht folgend ist) und habe vor etwa 3 Jahren mit dem Erlernen des Führens begonnen. Mein Motiv war, einfach mal was Neues auszuprobieren, und bin deshalb in einen Gruppenunterricht gegangen, in dem alle, egal ob Männlein oder Weiblein, beide Rollen zu lernen hatten. Die meisten der Teilnehmer waren sehr junge Leute, die andere Tänze tanzen konnten, aber keine oder nur wenig Erfahrung im Tango hatten.
Durch COVID konnte der Gruppenunterricht nicht fortgeführt werden und ich hatte ab dann nur die Möglichkeit mit meinem Ehemann als „Folgendem“ (der bis zu diesem Zeitpunkt in dieser Rolle noch nie getanzt hatte) und mit Privatlehrer fortzufahren.
Nun einige Punkte meiner Erfahrung:
• Tangotanzen lernen ist in beiden Rollen gleich schwierig. Der Unterschied liegt im Zeitpunkt, den man betrachtet. Führen lernen ist am Anfang sehr schwer (egal, ob man vorher schon die andere Rolle kennt), während man als Anfänger in der „folgenden“ Rolle schneller Fortschritte macht. Im hohen Tanzniveau ist es umgekehrt. Um in der „folgenden“ Rolle wirklich gut und „aktiv“ zu tanzen, braucht es sehr viel und es ist viel schwieriger.
• Es ist nur ein scheinbarer Vorteil, wenn man mit erfahrenen Tangotänzerinnen als Partnerinnen Führen lernt. Ich sehe es nicht als Nachteil, sondern eher als Vorteil an, mit AnfängerInnen (auch Männern) in der „folgenden“ Rolle Führen zu lernen. Man lernt wirklich, was es heißt, zu führen. Ein Anfänger macht nur das, was wirklich geführt wird, und es fällt sofort jeder Führungsfehler auf. Ich wiege knapp 60 Kilo, mein Mann knapp 90 Kilo, und es geht gut – es ist eben hauptsächlich Technik und nicht nur Kraft. Natürlich möchte ich nicht in Abrede stellen, dass man es als Führende(r) mit einer leichten Frau und erfahrenen Tänzerin leichter hat, obwohl diese gelegentlich (scherzhaft gesagt) „vorauseilenden Gehorsam“ demonstrieren und Schritte vorwegnehmen, die noch nicht geführt wurden und somit den Tanz akzelerieren (ich schließe mich da nicht aus!).
• Es macht einen großen Unterschied, ob man in enger Umarmung führen möchte oder einen offenen Tanzstil bevorzugt. Letzteres ist viel leichter zu erlernen.
• Ich persönlich glaube nicht, dass man vom Zuschauen gut führen lernen kann (außer man hat eine besondere Begabung). Viele Details sind von außen nicht wahrnehmbar, aber unabdingbar. Ich denke es ist von großem Vorteil, gute Lehrer zu haben. Ausprobieren, üben, sich keinen Stress machen, langsam aufbauen, gehen, keine komplexen Figuren … all das kann ich nur unterstreichen!
• Ein Vorteil fällt mir doch noch ein, den man als Frau hat, die schon Erfahrung im „Folgen“ hat: Man kennt die Musik, und das ist nicht zu unterschätzen!
• Meine Künste im Führen „stecken noch in den Kinderschuhen“ und sind sicher nicht mit der 10jährigen Erfahrung deiner Frau zu vergleichen. Das Führen lernen ist für mich noch immer eine große Herausforderung, und ich würde es mir bei Weitem noch nicht zutrauen, in einer Milonga zu führen. Auch ich bevorzuge nach wie vor die „folgende“ Rolle und nehme auch in dieser weiter Unterricht. Ich tanze selbstverständlich auch gern mit führenden Frauen, wenn sich die Gelegenheit ergibt – muss aber sagen, dass ich mit Männern generell lieber tanze (das hängt wahrscheinlich mit meinem Alter und dem damit verbundenem Rollenverständnis zusammen).
(Fortsetzung)
Löschen• Insgesamt ist das Tango tanzen lernen eine „Never ending story”. Gerade beim Tango ist es weit verbreitet, sich zu überschätzen. Die Mehrzahl der TänzerInnen, egal ob Mann oder Frau, Führende(r) oder Folgende(r), tanzen deutlich schlechter, als sie es glauben (auch da nehme ich mich nicht aus). Also gibt es nur: lernen, praktizieren, lernen … und … mein Mann war 80 Jahre alt, als er seine ersten Schritte als „Folgender“ machen „musste“. Jetzt macht es ihm sogar Spaß. Deshalb möchte ich alle, egal welchen Alters, ermutigen, die andere Rolle auszuprobieren. Man kann nur davon profitieren. Aus meiner heutigen Sicht ist es generell günstig, von Anfang an beide Rollen zu lernen – sozusagen auch imTango zu „gendern“ und nicht nur in der Sprache.
Liebe Birgit Gründler,
Löschenvielen Dank für Ihren ausführlichen und interessanten Kommentar.
In den allermeisten Aspekten stimmen wir komplett überein!
Wegen des Lernens durch Zuschauen, was Sie ein wenig bezweifeln, möchte ich meine Gedanken präzisieren.
Natürlich ist Tanzen „learning by doing“.
Als mein Mann und ich noch Standard tanzten, habe ich allerdings oft bemerkt, dass uns z.B. Turnierpaare sehr beflügeln konnten. Konnte man nach dem Zuschauen wieder selbst auf die Tanzfläche, übernahm man geradezu deren Körperspannung und sportliche Präsenz.
Natürlich wäre das wieder komplett verschwunden, wenn man nicht selbst immer weiter trainiert hätte.
Beim Tango versuche ich mir ebenfalls Impulse, manchmal auch Ideen für die eigene Führung zu holen. Sie umzusetzen erfordert dann wieder eventuell Anleitung, kreativen eigenen Umgang damit und vor allem Übung.
Ich finde Ihr Engagement und das Ihres Mannes für das Tanzen wunderbar und wünsche Ihnen weiterhin viel Freude und Erfolg!
Beste Grüße
Karin Law Robinson-Riedl