Wir Männer schaffen Ordnung
Passend zum Thema „Ronda“
fand ich jetzt einen Text auf Facebook, den ein DJ aus Toronto („El Espejero“
alias Igor) veröffentlicht hat. Es handelt sich um ein Interview mit einem
internationalen Tangostar:
„Javier Rodriguez
über Navigation und Teamwork
Freund
oder Mannschaftskollege zu sein ist nicht dasselbe. Ab dem Moment, wo man den
Rand der Tanzfläche überschreitet, gibt es keine Freundschaft. Darf ich mit dir
zusammenstoßen, wenn wir Freunde sind? Natürlich nicht! Wenn du ein Auto mit
hoher Geschwindigkeit fährst, möchtest du nicht mit irgendjemand zusammenstoßen.
Und was tust du, um Unfälle zu vermeiden? (Javier
blickt sich wiederholt um.) Du arbeitest in einem Team, mit dem anderen
Kerl am Steuer seines schönen Autos da drüben, und noch einem weiteren Typ dort
drüben.
Wenn
ich vorwärts gehe und meine Partnerin führe, muss ich in Kontakt mit dem
anderen Jungen sein, der seine Lady vor mir führt, weil meine Dame zwischen ihm
und mir ist. Und der Typ, der hinter mir geht, muss in Kontakt mit mir sein, da
seine Frau zwischen mir und ihm ist. Auf diese Weise beschütze ich nicht nur
meine Partnerin, sondern ebenso seine. Und der Kerl vor mir beschützt meine
Frau zusammen mit mir.
Genau
so wurde Tango auf solchen Milongas wie ‚Regine' und ‚El Beso' getanzt. Da
konnten einige hundert Leute sein, und sie berührten sich nur mit dem Stoff
ihrer Jacketts. Jeder stoppte vor der Kollision, um das Gefühl und die
Atmosphäre zwischen dir und deiner Tänzerin zu bewahren. Jeder würde seine
eigenen Empfindungen opfern, um die Empfindungen des anderen Paares nicht zu
zerstören.
Man
kam aufs Parkett und geriet einfach in Panik, weil jeder andere Mann über dir
stand wie ein Riese. Natürlich rede ich nur über ihre Energie, in Wirklichkeit
mochte das ein sehr alter Mann sein, den der leichteste Windhauch umwarf. Aber
sie sahen dich mit dem Ausdruck an: ‚Berühre mich und du wirst es für den Rest
deines armseligen Lebens bereuen. Ich schneide dir dein Bein ab, und du wirst
unfähig sein, es zu verhindern.' (Javier
lacht.)
Die
Hauptidee der Tangohaltung ist es, deine Dame mit vielfachen
Schutzschichten zu umgeben. Ich
beschütze sie mit meinem Rücken, meiner Hand, meinem Ellbogen, meiner anderen
Hand und dem anderen Ellbogen. Daher wird es sich der andere Typ zweimal überlegen,
und wenn er mich tatsächlich rempelt (weil Unfälle halt passieren), wird er auf
jemanden treffen, der sowohl aktiv wie präsent ist.
Wenn
ich beim Tanzen keine Ellbogen habe, werde ich im Moment der Kollision
weggestoßen. In diesem Fall würde er nichts fühlen, und du würdest sagen: ‚Es
ist in Ordnung, kein Problem.'
Was
meinst du mit ‚kein Problem‘? Ich war am Tanzen, war im Himmel, und du kamst
und hast mich gerempelt? In meinen Augen bist du ein Schwachkopf, der auf die
Tanzfläche kam und komplett die Notwendigkeit ignorierte, in Kontakt mit den
anderen Jungs zu sein.
Und
die Mädchen… sie träumen, sie sind in einer anderen Welt. Sie denken an
graziöse Fußbewegungen, müssen auf die Musik hören, deinem Körper folgen. Sie
sind in sich versunken, haben keine Möglichkeit, sich selbst zu wehren. Es sind
wir, die Männer, welche die Ordnung schaffen und erhalten.“
(aus einem
Interview mit Pepa Palazon)
Quelle:
Dieser Artikel fand große Aufmerksamkeit, die Kommentare sind durchwegs
positiv. Ein Beispiel:
„Ich hoffe aufrichtig,
dass die Lehrer das mitnehmen und diesen Codigo von der ersten Stunde an lehren
und ihn auf den Milongas durchsetzen. Kürzlich gab es einen ‚Lehrer‘, der
ankündigte, dass du, solange du dich auf der Tanzfläche amüsierst, alles tun
kannst, was du willst. Unnötig zu sagen, dass ich nicht länger irgendeinen
Respekt vor diesem Lehrer habe noch beabsichtige, Unterricht zu nehmen oder an
seinen Milongas teilzunehmen.“
Texte dieser Machart werden offenbar
immer mehr üblich. Einleitend gibt es meist einige Trivialitäten zum
Gesellschaftstanz, welche höchstens noch in Argentinien unbekannt sein könnten.
Anschließend kippt das Ganze dann zu einer testosterondünstenden
Balzplatz-Beschreibung, welche nicht nur Primaten-Forscher tief beeindrucken
dürfte.
Das Frauenbild solcher Machwerke ist wahrhaft gruselig: Das schwache,
inaktive, verträumte Weibchen, welches nur durch den männlichen Schutz eine
Überlebenschance hat. Dass weibliche Wesen inzwischen (außer in machen
arabischen Staaten) sogar selber den Führerschein machen und ein Konto eröffnen
können, scheint in dieser Trümmerwüste verstaubter Macho-Reliquien noch nicht
angekommen zu sein.
Nein, beim besten Willen (den ich nicht einmal habe): Das ist nicht meine
Welt. Glücklicherweise kenne ich genügend Tänzerinnen, welche selbstständig mit
einer Kraft und Dynamik tanzen, bei der ich froh bin, altersbedingt noch halbwegs
mitzukommen. Schutz brauchen die überhaupt nicht – sie passen ebenso auf mich
auf, wenn ich auf Kollisionskurs sein sollte. Und nein, das ist alles andere
als unweiblich. Jedenfalls für mich.
Herr Rodriguez darf das anders sehen und gerne seine Kokon-Lieseln übers
Parkett dirigieren. Er muss nicht befürchten, dass ich ihm dafür etwas
abschneide. Und zum Thema „Ordnung schaffende Männer“ werde ich nun keine
Berichte von Frauen über herumliegende schmutzige Socken zitieren…
Ein anderes Interview (bei dem der Tangostar deutlich mehr Kreide auf der
Stimmritze hat) findet sich hier:
Hm, ich hab den Text ganz anders verstanden als du.
AntwortenLöschenAuch ich "beschütze" meine Tanzpartnerin als Führender, da ich hier die Aufgabe habe, den Weg zu bestimmen. Und ich versuche tatsächlich, wenn ich grad auf Kollisionskurs mit jemand anderem bin und absehen kann, dass ich (aus welchen Gründen auch immer) nicht ausweichen kann, dass der andere Führende meinen Ellbogen oder sonst eine härtere Stelle von mir abbekommt, und nicht dessen oder meine Folgende.
(Im Gegenzug halte ich es natürlich klaglos aus, wenn ich getroffen werde, wenn ich mit jemand anderem kollidiere).
PS: den Spruch "... solange du dich auf der Tanzfläche amüsierst, alles tun kannst, was du willst." find ich gut, aber natürlich nur mit der Einschränkung, dass man selber kein rücksichtsloser Rowdy ist! (wobei ich allerdings "Überholen" nicht zum Rowdy-Tun zähle ...)
Ich bin auch sicher, dass der zitierte Tanzlehrer den Satz so nicht gesagt hat, er wurde wohl eher von der Schreiberin so verstanden.
LöschenUnd, wie gesagt, eine gute Tanzpartnerin passt auch auf mich auf. Wenn es eng wird, nehme ich eher den Führungsarm runter, damit es passt.
Sicher, als Schutzreflex ist das mit den Ellbogen schon vorstellbar, aber in diesem Zusammenhang klingt es für mich eher nach einem „Hahnenkampf“!
Lieber Gerhard, versuche doch mal über deinen Schatten zu springen oder vielleicht auch zu tanzen, du wirst sonst gestorben sein und warst nie auf der Erde im "Tangohimmel". Wäre doch schade...
LöschenLieber Uwe,
Löschenherzlichen Dank für die Sorge um mein Tangoglück – und ich verstehe durchaus, dass man mich im tiefsten Osten nicht genauer kennt. Daher zur Info:
Ich tanze seit 1999 Tango und war bislang sicherlich auf 3000 Milongas. Derzeit bin ich zirka dreimal pro Woche auf einer Tangoveranstaltung. Zudem bin ich nicht nur mit einer hervorragenden Tänzerin verheiratet, sondern habe auch ansonsten das Glück, wunderbare Tangueras zu kennen, die offenbar sehr gerne mit mir tanzen.
Besten Dank also für deinen Kommentar, welcher leider überhaupt nicht auf den vorstehenden Artikel eingeht – aber wir wollen ja niemand überfordern.
Beste Grüße
Gerhard
Ich tanze zwar erst 1 1/2 Jahre Tango, aber diese Macho-Aussagen finde ich doch befremdend. Wenn es mal eng werden sollte auf der Milonga und ich die "Gefahr" nicht sehe oder spüre, dann gibt mir meine Tanzpartnerin schon den einen oder anderen Dreh mit, damit nichts passiert. Ja und sollte es zur "Feinberührung" kommen: sorry, eine Entschuldigung oder ähnliches. Letztens donnerte ein Damenschuh gegen meinen Knöchel, kurzes Innehalten, gebrochen ist er nicht, also alles ok :-)
AntwortenLöschenGenau!
LöschenWirklich schmerzhafte Kontakte sind nach meinen Erfahrungen sehr selten, gerade im Tango.
Wenn mal ein Zusammenstoß passiert, reicht doch eine freundliche Entschuldigungs-Geste, möglichst von beiden Seiten!
Großes Erstaunen, dachte zu Beginn des Artikes an einen "altgedienten" Milonguero...
AntwortenLöschenJa, könnte man meinen - aber der Herr Rodriguez dürfte so in den Vierzigern sein.
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