Non Tango
Ich bin
der Geist, der stets verneint!
Und das
mit Recht; denn alles, was entsteht,
ist
wert, dass es zugrunde geht;
drum
besser wär's, dass nichts entstünde.
(Goethe:
„Faust“)
Eines
Eindrucks kann ich mich immer weniger erwehren: In unserem Tanz geht es derzeit
zunehmend nicht darum, zu tanzen, sondern um das Gegenteil. Besser als Tango
ist kein Tango.
Aufgefallen
ist mir dieser negative Trend zuletzt an den Artikeln des Blogs „Berlin Tango Vibes“ – was nicht heißt,
dass die dort schreibenden Damen die Urheberschaft beanspruchen könnten. Schon
vor knapp zehn Jahren hat ja in dieser Hinsicht der allseits bekannte Blogger Cassiel stilbildend gewirkt: Seine
Tiraden darüber, was nun alles eine „schreckliche
Unruhe auf das Parkett“ brächte und welchen pseudosexuellen Übergriff der
Verzicht auf den Cabeceo bedeuten
könne, sind legendär. Assistiert hatten ihm damals Zeitgenossen vom Schlage
eines Christian Tobler, welcher die
staunende Tangowelt darüber belehrte, welche überirdischen Fähigkeiten von
einem Tango-DJ erwartet würden. Man hatte den Eindruck, er könne von Glück
sagen, wenn es ihm gelegentlich selber gelinge…
Im
Spannungsfeld zwischen schlecht ausgewählter Musik, Gästen mit der falschen
ideologischen Einstellung, sexueller Nötigung und gefährlichsten Rempeleien auf dem Parkett wurde
der Tango zu einem riesigen Wagnis,
welches nur in Ausnahmefällen gelingen könne – bei nicht optimalen Bedingungen sei
es daher besser, in buddhistischer Entsagung sitzen zu bleiben und allenfalls
Blogtexte zu verfassen.
Auf
anderen Foren wie dem berüchtigten „Tanzmitmir“ dominieren großhirngesteuerte
Tänzer, welche uns den Tango als äußerst schwierige Aufgabe anbieten, welche nur streng rational und durch verbissenes Üben zu bewältigen sei. Und man müsse
stets mit dem Auffordern warten, bis man anhand der Musik wisse, ob und
gegebenenfalls mit wem man eine Tanda wagen könne. Erklinge dabei aber
zwischendrin ein anderes Orchester, sei alles verloren!
Diese
Einstellung ist nun in der nächsten Generation angekommen: Optimismus, ja gar
Spaß am Tanzen ist in den schon nach drei Monaten über 50 Texten der „Tango Vibes“ nur in homöopathischen
Dosen vertreten. Die thematische Auswahl der Klagelieder folgt dem längst üblichen Schema:
In
„Fahrspaß“ beispielsweise wird vor „Karambolagen, Knochenbrüchen und
Kontroversen“ gewarnt, in „Frauenpower
in der Ronda“ muss das schwache Geschlecht „Tanzpartner am willkürlichen Spurwechseln hindern“ und darf „sich nicht alles gefallen lassen, was gegen
die Tango-Etikette verstößt“; unter dem Titel „Kamikaze“ schließlich wird das Tohuwabohu auf Berliner Tanzböden
schonungslos offengelegt: „Das Führen
wird ein Balanceakt. Wir werden dauernd aus der Verbindung gerissen. Die Augen
zu traue ich mich nicht. Nach dem dritten Seitenrempler beginne ich
mitzuzählen.“
Im
Artikel „Emotionale Achse“ lautet die
lapidare Feststellung: „Üble Tänze können
Spuren hinterlassen.“ Tja, wer hätte
das gedacht… Und, klar: „I don’t like
Beinhakeleien“
Zu
Kursen lesen wir zwiespältige
Urteile: „Tangounterricht rechnet sich
nicht. Meist wird man nur unproportional zur Häufigkeit der Stunden besser.
Stattdessen: Schulden Schulden Schulden. Tango ist Schuld.“ („Tango aus der Sicht eines Controllers“)
Besser eine Unterweisung als unbefangene Milongabesuche: „Es reicht, ich habe die Schnauze
voll. Zu viel Zeit habe ich in den letzten Wochen lustlos auf Milongas
verbracht, zu viel rumgesessen, ganze Wochenendtage und auch Arbeitstage im
übermüdeten Delirium verbracht für nichts und wieder nichts. Bin auf Milongas
gegangen, nur um dort festzustellen, dass ich keine Lust habe zu tanzen, und
wenn ich es doch tue, habe ich keinen Spaß daran.“ „Du wäschst Deinen Tango
wieder rein. All die Schnuddeleien, die man sich auf Milongas angewöhnt,
gewöhnst Du Dir jetzt wieder ab.“ So jedenfalls wird in „Tango Detox“ eine sechswöchige
Milonga-Pause begründet.
„Wieder ist er nicht
zufrieden“
– auch dies die Einstellung eines Tangolehrers,
beschrieben in „Tango-Meditation“.
Immerhin jedoch lernt man, wie es nicht geht – so wie die Schreiberin, welche „Tanz- oder Haltungs-Fehler“ erkenne, die
mir vor einem Jahr noch nicht aufgefallen wären“. („Tanzen lernt man nicht vom Zuschauen – oder doch?“)
Auch
gesundheitliche Gründe halten einen
gerne vom Tanzen ab: „Eine Überlastung
kann zu Schmerzen führen und körperliche Einschränkungen, wie Hallux valgus,
Hallux rigidus und Arthrose in den Gelenken, können das Tanzen zur Qual
machen.“ („…das Allerschönste, was Füße tun können, ist Tanzen“). Na immerhin…
Das
böse Ende naht jedoch: „Du willst tanzen
gehen, aber du gehst nicht los. Weil dein Fuß schmerzt, du morgen früh raus
musst, niemand mitkommt.“ („Tangofrei“) Also wieder mal nix – non, pas de
tango!
Wenn
dann schon einmal von Tanzgenuss die
Rede ist (seltsamerweise gerade auf Tango-Marathons), dann stets trotz der übermenschlichen Belastungen:
„Ich bin hundemüde, meine Füße tun weh,
meinen Muskeln fehlt jegliche Energie. Kurzum: Eigentlich kann ich nicht mehr.“
(„Meine Droge der Nacht“)
Und
dann schwitzt man auch noch („Wasser-Tango“,
„Verföhn mich“), die Schminke verläuft („Die
Einäugigen“), man hat Probleme mit Frisur („Schüttel dein Haar“) sowie Knoblauch („Knofi Ahoi“), und der Absatz bricht auch noch ab („Mein Freund, der Tangoschuh“). Und ob
das nicht wahrlich reichen würde, findet man in der Damengarderobe als
skandalöses Requisit – ein Feinrippunterhemd („Schlimmer als Kondome“). Kann ich nachfühlen – also bei den Unterhemden...
Apropos:
und erst die Männer! Nicht nur, dass
sie vorschriftswidrig auffordern („Ich möchte bitte auch nicht auf einer
Milonga von einem Fremden einfach so und ohne Zusammenhang gefragt werden, ob
ich tanzen möchte“ – „Heimliches Tanz-Date“), sie stellen auch noch
dämliche Fragen: „Wie lange tanzt Du
schon?“, „Was machst Du so?“, „Wie heißt Du?“ („Milonga Small Talk No-Go # 1-3“).
Panne auf der ganzen Linie!
Na,
immerhin bekommt ein Gast von auswärts trotz der „Berliner Willkommenskultur“ dann gnadenhalber noch einen Tanz
statt des üblichen Korbes. Geht doch!
Die Mechanismen sind überaus logisch: So lernen die
meisten Schüler zwar nicht tanzen – sehr wohl aber, was man alles nicht darf.
Meine Hoffnung wäre halt, dass all jene, welche bevorzugt Gründe sammeln, nicht zu tanzen, dies konsequent umsetzen und dem Tango
fern blieben. So wären dann diejenigen, welche es bei animierender Musik
automatisch aufs Parkett zieht, diese unbedingt tanzen müssen – und sei es mit
der Hauskatze – unter sich.
Und Platz auf der Tanzfläche wäre auch wieder genug!
Edit 4.8.22: Inwischen hat man die obigen Seiten weitgehend eingestellt. Eigentlich eine logische und sinnvolle Konsequenz!
Ich kann schon sehen, warum Dir das Tangonautics Video aufstößt.
AntwortenLöschenAm Anfang dachte ich ja, Gott was hat er denn, das ist doch sachlich richtig, auch wenn es ein bißchen im Oberlehrer-Ton daher kommt.
Aber nach Betrachtung aller Punkte muss ich feststellen, dass sechs davon auch sachlich nicht richtig oder schlichtweg irrelevant sind.
Also fast die Hälfte, da lohnt sich doch ein bißchen Widerspruch.
Ach ja, die einzelnen Punkte kann man so oder anders sehen. Mir geht es darum, dass hier die „Fehler“ im Vordergrund stehen und nicht das positive Vorbild: Macht man Fortschritte im Rechnen, wenn man erfährt, zwei plus zwei sei nicht drei und fünf?
LöschenGut, er zeigt es oft andeutungsweise, wie es richtig wäre. Dennoch bleibt der Focus auf der Fehlervermeidung. Und ich hätte an seiner Stelle eher gezeigt, wie ein Tanguero geht. Sonst entsteht zusätzlich noch der Eindruck, dass mal wieder ein Mann besser weiß, wie Frauen zu tanzen haben.
Vor allem hat man ja herausgefunden, dass das Gehirn Verneinungen nicht verarbeiten kann. Also sollte man im Unterricht das Wort "nicht" möglichst vermeiden.
AntwortenLöschenKlar - nur haben pädagogische Grundsätze und Tangounterricht nur minimale Überschneidungen.
LöschenDas „berüchtigte Forum“ ;-) TanzMitMir wurde am 25. Mai 2018 abgeschaltet, dem Tag des Inkrafttretens Datenschutz-Grundverordnung. Also wohl wegen der Implikationen für den Datenbestand der nichtkommerziellen Tanzpartnervermittlung.
AntwortenLöschenStimmt! Allerdings nach einer langen Phase, in der sich der Moderator kaum noch um die Beiträge gekümmert hat, die dann immer schlimmer wurden. Er hatte wohl auch schlicht keine Lust mehr - sonst hätte man das mit der DSGO schon irgendwie hinkriegen können.
LöschenVöllig richtig. Wenn es ums Tanzen geht, geht es um den eigenen Körper, und da liegen die Nerven blank.
LöschenWer "Lust" hätte sowas zu moderieren, wäre vermutlich schon ungeeignet. Das Forum hätte ein Moderatoren-Team gebraucht, das sich im Hintergrund koordiniert und korrigiert.