So schön kann Tango sein
Das
war kurz nach Silvester wahrlich eine musikalische Sternstunde: das Neujahrskonzert des Georgischen Kammerorchesters im
Festsaal des Stadttheaters Ingolstadt.
Das
Ensemble wurde bereits 1964 als „Georgisches Staatskammerorchester“ gegründet
und musiziert seit 1990 – unter Wahrung seines osteuropäischen Charakters – im „Exil“
der oberbayerischen Stadt an der Donau.
Auf
dem Programm stand Tango, insbesondere der von Astor Piazzolla: „Buenos Aires Hora Cero“, „Libertango“, „Adiós
Nonino“ sowie sein „Concerto Aconcagua“ für Bandoneón und Orchester.
Aber
schon wegen des Solisten hätten wir uns Karten gekauft: Daniel Binelli hat bereits im Orchester von Osvaldo Pugliese das Bandoneón
gespielt und Arrangements geschrieben – ebenso ab 1989 im „New Tango Sextet“ von
Astor Piazzolla.
Komplettiert
wurden Binellis Soloparts durch seine Duo-Partnerin Polly Ferman am Flügel.
Bereits
bei „Buenos Aires Hora Cero“ war
klar: Hier tritt jemand auf, der mit der Musik Piazzollas groß geworden ist, in
ihr lebt. Unglaublich, wie die Stimmung dieser ziemlich spröden Komposition
fühlbar wurde!
Und
bei „Libertango“ (das zum Schluss
als Zugabe fast noch mitreißender erklang) war klar: Man kann es vielleicht
auch anders spielen – schöner jedoch nicht!
Für
mich der Höhepunkt der Veranstaltung: Piazzollas Bandoneón-Konzert. Die Fülle der harmonischen und rhythmischen
Ideen, die wechselnden Stimmungen, mit denen der Komponist aufwartet, beweisen:
Diese Musik ist weder altmodisch noch neuzeitlich, sondern etwas ganz Eigenständiges.
Man wird sie auch in hundert Jahren noch spielen, ohne, dass sie etwas von
ihrem Ausdruck, ihrer Faszination verliert.
Und
ja, man kann zu vielen Stücken Piazzollas tanzen – manche von uns müssen es regelrecht.
Allerdings erfordert das musikalisches Einfühlungsvermögen und technische
Fähigkeiten, von der das Gros der heutigen Tangoszene meilenweit entfernt ist.
Daher wird es den langsamen Satz des Bandoneónkonzerts demnächst auch bei
unserer „Wohnzimmer-Milonga“ geben, und ich bin felsenfest davon überzeugt: Das
Parkett wird voll sein!
Daniel
Binelli ist auch Komponist: Nach der Pause erklang (als europäische
Uraufführung) sein Doppelkonzert für Bandoneón, Klavier und Streicher: „Homenaje al Tango“. Und diese
Huldigung kam wahrlich in jeder Passage zum Ausdruck – seien es seine Anklänge
an Piazzolla oder milongaartige Sequenzen, die mich an Pugliese erinnerten. Das
Ganze natürlich – wie im gesamten Programm – auf einem technischen Niveau,
welches höchstes professionelles Können erfordert.
Aber
Technik ist eben nur Voraussetzung, nicht das Ziel. Am deutlichsten
wurde dies bei der Schlussnummer, dem berühmten „Adiós Nonino“: Was Binelli da
an bittersüßem Ausdruck „hinflüsterte“, war Musik von einem anderen Stern.
Daher
hätte das Konzert ganz schön schief gehen können, wäre den Solisten nicht ein
Ensemble zur Verfügung gestanden, welches absolut ebenbürtig war: Bereits nach
den ersten Takten des Konzerts war ich hingerissen von einem Klangkörper, den
ich in der Form nicht erwartet hatte – und schon gar nicht von einer Kammermusik-Besetzung mit
knapp 20 Musikern. Aber so kann es klingen, wenn jeder einzelne einen Solisten
verkörpert und sich dennoch alle nahtlos in ein Konzept fügen. Dass sie
demnächst sogar in der Hamburger Elbphilharmonie auftreten, überrascht mich
nicht.
Beweisen
durften die Musiker des Georgischen Kammerorchesters ihre Qualität bei einem Stück auch
allein, dem „Concerto for Strings“ von Nino
Rota. Ich muss gestehen, dass mir dieser Name zunächst nichts sagte –
blamabel, da er ein berühmter Filmmusiker war und beispielsweise für alle
Fellini-Filme verantwortlich zeichnet, ebenso wie für den „Paten“.
Die
Entdeckung des Abends war für mich aber der Dirigent: Ruben Gazarian. Es mag ja an meinen mangelnden Erfahrungen liegen,
aber ein solches Talent am Pult habe ich live noch nie erlebt. Für mich ist der
Armenier (im „früheren Leben“ übrigens Konzert-Geiger) ein Instinktmusiker par
excellence. Was für Dirigenten des „ernsten Fachs“ wahrlich nicht
selbstverständlich ist: Er hat Piazzolla voll kapiert, atmete und lebte mit dieser
Musik – ob er nun zarteste Einwürfe andeutete oder im Panthersprung ein
dynamisches Fortissimo forderte. Und: Er kommuniziert mit den Musikern, nimmt
das auf, was er hört, und gibt es wieder weiter.
Kein
Wunder, dass dieses Energiebündel seit 2002 das Württembergische Kammerorchester leitet – und ab 1999 schon der
jüngste Chefdirigent Deutschlands war.
Jedenfalls
haben die „Georgier“ seit letztem Montag zwei neue Fans – und es wird sicher
nicht das letzte Konzert von ihnen sein, das wir besuchen!
Und
vielleicht ist zu Neujahr ja der Tango dorthin zurückgekehrt, von wo er vor
über hundert Jahren zumindest auch ausging: nach Osteuropa.
Hier
noch die Kritik von Heike Haberl im Donau-Kurier:
Ja, und hier das Ensemble plus Dirigent:
Lieber Gerhard, es macht mir nichts aus, namentlich zitiert zu werden.
AntwortenLöschenZu diesem Post habe ich noch einen weiteren gesetzt.
Schöne Grüße
Michael
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Bei Diskussionen über Ronda halte ich mich in der Regel raus, aber manchmal kann ich es halt nicht bleiben lassen, weil mir das Belehrende, der „erhobene“ Zeigefinger, versteckt unter dem Deckmäntelchen von Harmonie und Miteinander, auf die Nerven geht.
Vorweg: Ich bin ein Fan der Ronda - aber nicht, wie das Ronda-Tanzen, nett ausgedrückt, gerade zelebriert wird.
Denn, wenn sich die Paare um Empathie bemühen und ein minimales Gespür für die Musik und deren Struktur aufweisen, entsteht wie von Zauberhand fast von selbst eine Ronda. Mischt man dann noch ein paar Tangoschritte hinein, kann fast nichts anderes als eine Ronda herauskommen. Es ist dabei völlig egal, ob es sich um Anfänger, Mittelstufe oder „Profi“ handelt. Grundvoraussetzung ist ... siehe (Empathie- und Musik-)Satz zuvor.
(Dazu von mir ein Beitrag, den ich schon vor längerer Zeit geschrieben habe: http://www.tango-x.com/pausen-beim-tango-tanzen.html)
Das Problem ist nun, dass Spurtänzerinnen und Spurtänzer gerne von anderen Toleranz verlangen, selbst aber nicht gewillt (oder eher sogar nicht fähig) sind, offen und empathisch zu handeln. Für sie sind geschriebene Ronda-Regeln die Bibel des Tangotanzens. Finden sich diese Regeln dann auch noch auf Milongas ausgelegt oder gar auf großen Plakaten in der Mitte der Tanzfläche platziert, dann hat das gleich was Offizielles. In solchen Regelwerken finden sich lustige Sätze (Mein Lieblingssatz: „Die Mitte der Tanzfläche ist Anfängern vorbehalten.“)
Unfähige Tänzerinnen und Tänzer bleiben unfähig, egal ob „Encuentro“, „Nuevo“ oder „Clasico“. Problematisch ist, dass sich „Ungeeignete“ gerne hinter den (vermeintlichen) Ronda-Regeln verstecken. Bei stark ronda-orientierten Veranstaltungen entsteht damit oft automatisch eine Verdichtung nicht so „begabter“ Tänzerinnen und Tänzer an einem Ort. Hitzige Diskussionen bleiben dann halt nicht aus und sollten auch geführt werden.
Lieber Michael,
Löschenich fürchte, Dein Kommentar steht beim falschen Artikel! Wenn Du willst, könnte man das noch ändern, muss aber nicht sein.
Ich kann weitgehend bestätigen, was Du schreibst. Die frühere Tango-Atmosphäre des „anything goes“ wurde längst ersetzt durch eine Rechthaberei-Debatte, wer denn an welchem Zusammenstoß „Schuld“ habe. Ich mag diesen Begriff eh nicht, aber beim Tango ist er katastrophal. Behinderungen und Berührungen zwischen den Paaren kommen halt vor, wenn die Tanzfläche voll ist. Die apokalyptischen Schilderungen dazu halte ich für völlig überzogen.
Allerdings halte ich die sich „wie durch Zauberhand“ von selber organisierende Ronda für eine Mär. Was das mit Deinem „Pausen-Artikel“ zu tun hat, kapiere ich ebenso wenig: Da schreibst Du ja selber, dass es kein Grund für eine Pause sein sollte, wenn der Vordermann einen behindert. Ist halt leider in der Praxis sehr oft so.
Ich beteilige mich ja schon seit Jahren an diesen Debatten und glaube da inzwischen ein Muster zu sehen: Was den normalen Tangotänzer an den konservativen Argumenten stört, ist der Verbotscharakter. Thematisiert man den oft genug, entstehen plötzlich neue Erkenntnisse der Art, das Ganze ginge ja (die rechte Gesinnung vorausgesetzt) ganz zwanglos und von selber.
Klar, wenn auf einer Milonga die guten Tänzer dominieren (wie ich es oft z.B. in Pörnbach erlebe), entsteht auf dem Parkett eine Situation, wo jeder dem anderen ausweicht und dennoch die Musik nach seinen Vorlieben interpretieren kann. „Ronda“ ist das jedoch keine.
Beste Grüße
Gerhard