Die sichere Nummer
„Liebe Guste, bevor
wir nun zur Sache selbst kommen, gedenken wir seiner Majestät, unseres
allergnädigsten Kaisers.“
(Heinrich Mann: „Der
Untertan“)
Nachfolgend
heute eine gute und zwei schlechte
Nachrichten:
Die
gute zuerst? Es geht nicht um Tango!
Die
erste schlechte: Der Trend zur Etablierung von Verhaltensnormen im Tanzsaal
greift nun auch auf den normalen Schwof über. Meinem Leser Robert Wachinger verdanke ich den Hinweis auf ein Beispiel von der Princeton University, welches deren „Orange und Black Ball“ betrifft. Hier
meine Übersetzung der entscheidenden Details:
Die Princeton
University möchte sicherstellen, dass die Studenten wissen, wie sie sich
gegenseitig zum Tanzen auffordern können, und gab vor kurzem Anweisungen, um die „Zustimmung auf der Tanzfläche" zu
erhalten. Quelle ist das „Büro für sexuelle Belästigung / Angriffsberatung,
Ressourcen und Bildung“.
Als
„angemessene Eröffnung“ wird der Satz
„Willst du tanzen?" empfohlen –
die Zustimmung könne ausgedrückt werden durch Antworten wie „Absolut!", „Ja! Lass
es uns tun!" und „Ich würde es lieben!“
Wer
sich nun schon freut, dass es hier ohne Cabeceo abgeht, möge auf das dicke Ende
warten:
Freilich
müsse häufig während des Tanzes abgecheckt werden, ob es dem Partner noch
gefalle: „Hey, bist du immer noch dabei?
Wir können aufhören, wenn du es nicht bist.“
Könnte
ja sein, dass der Tanzpartner seine Meinung noch ändert, sich aber nicht zu
widersprechen traut… Bei diesem Problem jedenfalls hat der traditionelle Tango
bislang auf der ganzen Linie versagt: „Mitgegangen,
mitgefangen“ lautet hier die Devise – eine schreckliche Zumutung gegenüber
dem schwachen Weib, welches sich, einmal gefesselt im Klemmgriff-Abrazo des
Tangueros, dann nicht mehr zu wehren traut!
Eine
umgehende Erweiterung der Códigos
einer traditionellen Milonga erscheint mir daher dringend nötig.
Das
Motto des betreffenden Campus-Balls lautete übrigens – und das kannst du als
Satiriker nicht erfinden – „Moulin Rouge“…
Hartgesottene Machos werden uns nun mit
dem Argument kommen, die Frauen hätten doch einen Mund, um zu (wider)sprechen (was sie
ja gelegentlich auch täten). Hier muss ich jedoch deutlich auf eine Parallele in der schwedischen Politik
verweisen:
Das
Kabinett im skandinavischen Musterländle der Demokratie hat eine
Gesetzesvorlage verabschiedet, welche im kommenden März im Parlament behandelt
und voraussichtlich am 1.7.18 in Kraft treten wird, da alle Parteien Unterstützung
signalisiert haben:
Es
geht um das Grundprinzip der Freiwilligkeit
sexueller Handlungen. Ministerpräsident Stefan
Lövfen meint, dass sie nur das
Selbstverständliche festschreibe: „Die
Botschaft ist einfach. Du musst dich bei der Person, mit der du Sex haben
willst, erkundigen, ob sie Sex haben will. Wenn du dir unsicher bist, musst du
es lassen. Sex muss freiwillig sein.“
Statt
„Nein heißt nein“ nun „nur ja heißt ja“?
Während nach der bisherigen Gesetzgebung gilt,
dass Opfer von sexuellen Übergriffen ihren
Widerstand durch Worte oder Handlungen deutlich zum Ausdruck gebracht haben
müssen, hat sich nunmehr derjenige, welcher handgemein zu werden gedenkt
(also der Mann), aktiv davon zu überzeugen, dass die Dame auch wirklich
einverstanden sei. Passivität soll damit
nicht länger als stilles Einverständnis interpretiert werden können. Dies
gelte für alle Arten der Sexualkontakte, ob nun hetero- bzw. homoerotisch oder
gar unter schon ewig Verheirateten.
Nun
bin ich zwar der Meinung, Passivität sollte nie die Basis sexueller Handlungen
sein, auch wenn dies das Liebesleben in langjährigen Beziehungen deutlich
mindern könnte. Weiterhin sieht das Gesetz nicht vor, in welcher Weise das Einverständnis zu horizontalen Aktionen zu
signalisieren sei – muss explizit gefragt werden, reicht ein Nicken (Coitus-Cabeceo) oder schon ein begeistertes
Mitmachen, welches die Juristen völlig unerotisch als konkludentes Verhalten bezeichnen? Eine schriftliche
Einverständniserklärung jedenfalls, so beeilte sich die schwedische Botschaft
zu versichern, werde nicht verlangt.
Wird
halt aber schwierig sein, dies nach soundso vielen Jahren zu beweisen, falls
man bei der betreffenden Frau in Ungnade gefallen ist und die sich dann doch
auf Vergewaltigung besinnt…
„Das Gesetz verlangt
ja, dass bei jeder neuen sexuellen Handlung immer wieder erneut um Erlaubnis
gebeten werden muss. Erwachsene Menschen wissen doch, dass man nicht vor jedem
Akt verhandelt und ein Abkommen auf diese Weise setzt“, kritisierte Anne Ramberg, Chefin vom schwedischen
Anwaltsverbund... Als Strafverteidiger wäre ich dennoch zuversichtlich: Es wird
mehr Arbeit geben!
Dennoch
ist Widerspruch nicht anzuraten: Ein Kolumnist der Zeitung Aftonbladet schrieb
von einer „Hexenjagd mit Zügen von
Stalins Säuberungsaktionen“ – und wurde dafür gefeuert.
Und
Julian Assange sitzt ja nicht
zuletzt deshalb seit fast 6 Jahren in der ecuadorianischen Botschaft in London
fest, weil es zwei Damen in Schweden ein wenig spät einfiel, dass der Sex mit
dem WikiLeaks Gründer zwar einverständlich begann, dann aber gewaltsam
ausartete. Nach langem Hin und Her ist der Haftbefehl gegen ihn inzwischen
aufgehoben. Ungemach droht nur noch von den USA.
Sollte
man – dem tänzerischen Vorbild der Princeton University folgend, dann nicht
lieber zwischendurch mal fragen, ob…?
Auf
jeden Fall kann sich bei solchen Themen das zunehmende Alter durchaus als Gnade
erweisen!
„1. Meine Neigung zu
Dir ist unverändert.
2. Du stehst heute Abend,
7 1/2 Uhr, am zweiten Ausgang des Zoologischen Gartens, wie gehabt.
3. Anzug: Grünes
Kleid, grüner Hut, braune Schuhe. Die Mitnahme eines Regenschirms empfiehlt
sich.
4. Abendessen im
Gambrinus, 8.10 Uhr.
5. Es wird nachher in
meiner Wohnung voraussichtlich zu Zärtlichkeiten kommen.
(gez.) Bosch,
Oberbuchhalter“
(Kurt Tucholsky: „Zeitungsdeutsch
und Briefstil“, 1929)
Weitere
Quellen:
http://www.augsburger-allgemeine.de/panorama/Schweden-Partner-muessen-Sex-Genehmigung-einholen-id43589536.html
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