Beleidigen will gelernt sein
Wie im letzten Artikel dargelegt, wird der Umgangston gerade im Internet immer drastischer. Nicht wenige Äußerungen klingen in unseren Ohren beleidigend. Nun ist eine solche Einschätzung natürlich zunächst einmal subjektiv und kann – je nachdem, ob der Adressat ein Mensch oder eine Leberwurst ist – gewaltig variieren.
Da
mein Blog sich Lebenshilfe zur
Aufgabe gemacht hat, möchte ich diesem aufregenden Thema einmal eine nähere
Betrachtung widmen. Sowohl Beleidigen
wie auch Beleidigtsein machen mit juristischen Kenntnissen einfach mehr
Spaß!
Der
Tatbestand ist im § 185 des
Strafgesetzbuches (StGB) geregelt. Er wird geahndet mit Geldstrafe oder
Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr. Bei tätlicher Beleidigung (z.B. Schubsen, Anspucken)
sind maximal zwei Jahre drin.
Unter
„Beleidigung“ versteht der Jurist die „Kundgabe
der Missachtung bzw. Nichtachtung eines anderen Menschen“. Wichtig ist also
schon mal, dass der Beleidigte dies mitbekommt, dies also nicht an sprachlichen
oder intellektuellen Problemen scheitert. Die „Kundgabe“ kann in mündlicher,
schriftlicher, bildhafter oder gestischer Form (z.B. der berüchtigte „Stinkefinger“)
erfolgen. Bei Tätlichkeiten gibt es den oben beschriebenen Aufschlag,
soweit nicht schon eine Körperverletzung (§ 223 StGB) vorliegt.
Die
Äußerung der Missachtung kann sich an die betreffende Person direkt oder auch
an andere richten, das macht keinen Unterschied.
Abzugrenzen
davon ist die „Üble Nachrede“ (§ 186
StGB) und die „Verleumdung“ (§ 187
StGB). Ersteres Delikt ist verwirklicht, wenn man über jemand ehrabschneidende
Behauptungen verbreitet, die sich nicht beweisen lassen, bei Verleumdung sind
diese nachweislich falsch. Der „Üble Nachreder“ darf sich auf Geldstrafe oder
maximal zwei Jahre Haft freuen, der Verleumder sogar auf fünf.
Eine
Strafbarkeit kann entfallen, wenn das Opfer in die Beleidigung einwilligt –
dies kann auch „konkludent“ erfolgen.
Klassiker sind hierbei Wortgefechte, bei denen die Sprüche in beiden Richtungen
hin- und herfliegen.
Und
es muss schon ein spezieller Mensch beleidigt werden – Pauschalurteile sind (falls es nicht um Volksverhetzung geht) nicht
unbedingt justiziabel. So durfte Bundespräsident Gauck mit
verfassungsgerichtlichem Segen die Anhänger der NPD als „Spinner“ bezeichnen.
Die
Beleidigung ist ein so genanntes „Antragsdelikt“
– ihre Verfolgung liegt normalerweise nicht im „öffentlichen Interesse“. Der
Staatsanwalt ermittelt folglich erst, wenn das Opfer einen Strafantrag stellt (§ 194 StGB). Dazu hat es drei Monate (nachdem
es von der Beleidigung Kenntnis erhielt) Zeit. Ansonsten verjährt die
Verfolgung einfacher Beleidigungen nach drei, tätlicher nach 5 Jahren.
Sollte
die Staatsgewalt keine Anklage erheben, steht dem Betroffenen der nicht allzu
bekannte Weg der „Privatklage“ offen
(§§ 374-394 StPO). Das Opfer selbst kann also – anstelle des Staatsanwalts – das
Delikt zur Anklage bringen und auf Strafe plädieren.
Eine
spezielle „Beamtenbeleidigung“ existiert
bei uns übrigens nicht – allerdings kann hier auch der Dienstherr einen Strafantrag stellen. Und erfahrungsgemäß gibt es
bei den Gerichten (wegen der „hoheitlichen Funktion“ der Geschädigten) gerne
einen Aufschlag. Für das Duzen eines Polizisten waren schon mal 600 € fällig.
Eine
Beleidigung kann zivilrechtlich auch zu Schmerzensgeldansprüchen
führen – so geschehen beim Begriff „Missgeburt“
gegenüber einem Beamten. Auch „Clown“
geht gegenüber Polizisten nicht. Ein „Clown“
sei gleichzusetzen mit einem „Spaßmacher
und Hanswurst“, also einem „dummen,
sich lächerlich machenden Menschen“. Die Vokabel kostete vor dem
Kammergericht Berlin 225 € (Az.: (4) 1 Ss 93/04 - 91/04).
Dagegen
ist die Verwendung der Vokabel „Bulle“
inzwischen straffrei, wenn sie nicht in beleidigender Absicht, sondern einfach
umgangssprachlich als Berufsbezeichnung verwendet wurde. Ebenfalls ungeschoren
blieb ein Witzbold mit der Bemerkung: „Herr
Oberförster, zum Wald geht es da lang!” Oberförster sei keine Beleidigung,
urteilte das Amtsgericht Berlin-Tiergarten (Aktenzeichen: 2 JU Js 186/08).
Den
„Vogel zeigen“ kann hingegen –
ebenso wie der „Stinkefinger“ – immer
noch teuer werden: Zwischen 10 und 30 Tagessätzen sind da üblich (Letzteres
entspräche einem Monatseinkommen). In Nordamerika allerdings wird der Finger an
der Stirn als Kompliment für besondere Schlauheit empfunden und daher nicht bestraft.
„Sie sind mir ein komischer Vogel” ist
zumindest in Bayern keine Beleidigung, so das Oberlandesgericht Bamberg (Aktenzeichen:
3 Ss 64/08).
Regionale Eigenheiten kommen immer wieder
vor: Als Taxifahrer einen (offenbar abstrusen) Fahrauftrag mit dem berühmten „Götz-Zitat“
abzulehnen, sei als „Zurückweisung einer
als Zumutung empfundenen Bitte gesellschaftlich akzeptiert“, so das württembergische Amtsgericht Ehingen (Az.:
2Cs 36 Js 7167/09). Und in Bayern gilt „Ja,
mi leckst am Arsch“ sowieso nur als Ausdruck höchster Verblüffung.
Am
sichersten eins auf die Socken kriegt man mit der so genannten „Formalbeleidigung“, sprich mit
Ausdrücken, die man nach landläufiger Anschauung nicht auf Menschen beziehen
sollte: „Idiot“ oder „Depp“ sind hier die Klassiker. Die
Bandbreite ist jedoch riesig: Hier eine kleine Aufzählung mit der jeweils
verhängten Strafhöhe (wobei die Adressaten wohl überwiegend staatliche oder
kommunale Vollzugsorgane waren):
„Dumme Kuh!“ (300 €), „du blödes Schwein“ (475 €), „Hast du blödes Weib nichts Besseres zu
tun?!“ (500 €), „Du Wichser!“ (1000
€), „Am liebsten würde ich jetzt Arschloch zu dir sagen!“ (1600 €), „Du Schlampe!“ (1900 €), „Alte
Sau!“ (2500 €).
Das Herausstrecken der Zunge ist dagegen mit
150 € relativ preiswert…
Manchmal
jedoch kommt alles zusammen: Für insgesamt 8 Formalbeleidigungen in der
Preislage von „ihr seid alle scheiße“ in
Tateinheit mit dem Zeigen des nackten Hinterteils plus Anspucken eines
Polizisten setzte es beim Amtsgericht München zwei Wochen Dauerarrest und eine Anweisung
zur Teilnahme an Alkoholberatungsgesprächen.
Auch der
Spruch „ACAB“ („All cops are bastards“) auf
der Kleidung war dem Oberlandesgericht München schon mal 100 Tagessätze wert
(Az. 4 OLG 13 Ss 571/13).
Aber es
kommt halt immer auf die genauen
Umstände an: Der Fahrer eines Geldtransporters, welcher auf einem
Behindertenparkplatz stand, durfte per Zettel an der Windschutzscheibe und
Veröffentlichung des Bildes im Internet straflos ein „Parkplatzschwein“ genannt werden – so jedenfalls das Amtsgericht
Rostock (Az.:
46 C 186/12).
Stets
haben die Gerichte abzuwägen, ob die
Freude am Schlag auf die Mütze des Gegenübers vorwiegt („Schmähkritik“) oder
denn doch höhere Ziele verfolgt werden und daher die Beleidigung lediglich ein gefühlt
unverzichtbares Stilmittel darstellt.
So
wurde es für eine frisch geschiedene Ehefrau noch teurer, als sie auf Facebook
schrieb: „Rechnung vom Anwalt bekommen –
3500 Euro für ’ne blöde Scheidung. Frage mich, ob ein Auftragskiller nicht
preiswerter wäre …“
Die Dame
hätte diesen (wahrscheinlich sogar zutreffenden) Spruch lieber ihrem
Rechtsanwalt überlassen sollen! Der kann sich nämlich oft mit dem § 193 StGB
herausreden: „Verfolgung berechtigter
Interessen“.
In richtigem
Deutsch könnte man auch sagen: „Der
Zweck heiligt die Mittel“. So schreibt die Rechtsanwaltskammer München:
„Das
Bundesverfassungsgericht betont daher, dass der Anwalt im ‚Kampf um das Recht‘
auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen,
Urteilsschelte üben oder ‚ad personam‘ argumentieren darf (BVerfG, BRAK-Mitt.
1988, 54 ff.). Dabei ist nicht entscheidend, ob der Rechtsanwalt seine Kritik
auch anders hätte formulieren können. Grundsätzlich muss auch ein anwaltliches
Verhalten hingenommen und toleriert werden, das als ungehörig, als Verstoß
gegen den guten Ton und das Taktgefühl empfunden oder allgemein als unsachlich
gewertet wird.“
So kam ein
Anwalt immerhin damit durch, eine Richterin habe „postpubertär wirkende Rachegelüste und sei entweder heillos überlastet
oder maßlos arrogant.“
(Amtsgericht
Augsburg, Az 19, Cs 400 Js 120055/15)
Pech hatten
jedoch zwei Rechtsbeistände mit folgenden, dann doch bestraften Äußerungen:
„Zu Ihren Schreiben vom … bitte ich
um Mitteilung, ob Sie von Sinnen sind. Es gehört wirklich einiges an
erheblicher Dummheit dazu, kurzerhand den Ansprechpartner auszutauschen, …
Wahrscheinlich liegt Ihrem Verhalten auch eine Art von Größenwahn zugrunde …“
„Umgangssprachlich würde man solches
Verhalten als asozial bezeichnen. Man ist allerdings von der ersten großen
Strafkammer des Landgerichts nichts anderes gewohnt. …“
Da fällt mir
abschließend nur noch einer meiner Lieblingsfilme ein:
„Anwältinnen
küsst man nicht (What Rats Won't
Do)"
Ein
Zitat aus dem Streifen wird mir
unvergesslich bleiben:
Weitere
Quellen:
P.S. Zum Weiterlesen:
https://milongafuehrer.blogspot.com/2018/07/sie-mussen-aber-die-wahrheit-schreiben.html
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