Encuentroland ist angebrannt



Der Gastbeitrag „Damenwahl“ hat ziemliche Wellen geschlagen, insbesondere in unserer (geschlossenen) Facebook-Gruppe. Obwohl im Text gar nicht explizit angesprochen, ergab sich plötzlich die Debatte, inwiefern führende Frauen (speziell im hochtraditionellen Encuentro-Bereich) allgemein anerkannt seien.

Nach meiner Erfahrung scheuen sich viele Damen, selber führen zu lernen oder sich von ihresgleichen auffordern zu lassen, da dies bei manchen Männern gar nicht gut ankommt. Inwiefern da eine archaische „Lesben-Aversion“ in prähistorischen Gehirnen wabert, mag ich mir lieber nicht überlegen. Aber irgendwie „bähbäh“ ist dieser Frauentyp für manchen Tanguero schon.

Prompt musste ich mich von einer Münchner DJane belehren lassen, in ihrer Heimatstadt gebe es „ohne Zwang in jeder stinknormalen traditionellen Milonga führende Frauen“. Ich solle mein „Feindbild ab und zu mal durch eigene Anschauung überprüfen“.

Nun nehme ich Ratschläge von Personen, die ihren Fuß lieber in eine Mähmaschine statt eine Milonga mit moderner Musik setzen würden (während ich fortlaufend Veranstaltungen mit traditioneller Beschallung besuche), gefasst entgegen. Und ich weiß nicht, was an einer „traditionellen Milonga“ „stinknormal“ sein soll…
Aber Weiterbildung kann dennoch nicht schaden!

Bislang basierte mein Kenntnisstand auf Informationen wie denen des ebenfalls weltberühmten TJ Christian Tobler, der 2014 schrieb:

„Erfahrene Veranstalter wissen, wie wichtig Geschlechter-Parität für Encuentros ist, weil sonst ganz schnell schlechte Stimmung aufkommt. Daher können sich Teilnehmer an vielen dieser Wochenenden nur paarweise anmelden. Für diese Umsicht wird man als Veranstalter oft angefeindet, weil Singles sich dadurch benachteiligt fühlen. Aus Sicht einzelner Tänzer ist die Verärgerung darüber nachvollziehbar. Das ist tatsächlich ein großes Problem. Und es benachteiligt – was nicht fair ist – in unserer Gesellschaft wieder mal in erster Linie die Frauen.

Vorschläge, wie dieser Diskriminierung zu begegnen sei, hatte der Autor allerdings nicht wirklich - außer dem Vorschlag, Tänzerinnen mögen sich in langer Arbeit einen Partner heranziehen. Inzwischen jedoch, so ließ ich mich von anderen Lesern in unserer Facebook-Gruppe belehren, sei der aktuelle Stand folgender:

Auf die Geschlechterparität werde zwar immer noch geachtet, Frauen könnten sich auf den meisten Encuentros aber auch in der führenden Rolle anmelden, würden dann sozusagen als „Männer“ gezählt. Freilich müssten sie dann schon weitgehend bei dieser Rolle bleiben.  

Nun, das klingt ja, gemessen am bisherigen „Tango-Stalinismus“, geradezu liberal! Nachdem mich auch kleine Fortschritte beeindrucken, nehme ich das gerne zur Kenntnis und würde mich freuen, wenn ich hierzu von Lesern noch weitere Erfahrungsberichte erhielte. Selber werde ich dies nicht verifizieren, da in meinem hohen Alter ganze Wochenenden mit katzenmusik-induzierten „Kreislauf-Störungen“ eher ungesund sind.

Zufällig stieß ich aber auf einen kürzlich erschienenen Blogartikel einer wahren Expertin in Sachen Kreisverkehr: Melina Sedó schreibt inzwischen zwar auch nicht mehr viel, aber nun wieder einmal zum Thema des Jahres:

Encuentros & Festivalitos Milongueros 2018

Genauer gesagt teilt sie eigentlich nur mit, dass sie dazu nicht mehr viel sagen kann oder will (und das noch dazu in Englisch, so dass ich es übersetzen muss). Aber auch dies kann, wie Cassiel es sagen würde, wenn er noch schriebe, „ein Blog befüllen“…

Der Grund: Abgesehen von ihrem dicht gedrängten Terminkalender gebe es in dieser Sparte „eine wahre Inflation mit Auswirkungen auf die generelle Qualität“. Jede Woche höre sie von einem neu entstandenen Encuentro. Abgesehen davon, dass viele davon unter falscher Flagge segelten, führe die bloße Anzahl zu einer „riesigen Konkurrenz“. Eine unter der Ägide ihrer Tangofirma arbeitende Veranstaltung in England musste wegen der Terminhäufung heuer ausfallen – desgleichen weitere Lieblings-Encuentros der Maestra, aus welchen Gründen auch immer.

Nun habe ich zwar bislang noch keinen Tangoveranstalter erlebt, der aufgab, weil zur gleichen Zeit andere Milongas stattfanden, solange die Gäste ihm die Bude einrannten anstatt der Konkurrenz… aber gut, kann ja alles sein!

Was also ist der wahre Hintergrund der Expansion des Encuentro-Universums? Die Anmeldungen liefen zwar meist ganz gut, jedoch nicht mehr so schnell wie in vergangenen Jahren. Damit es denn voll werde, müssten die Organisatoren viel mehr Tänzer aufnehmen, „die nicht wirklich die ‚Milonguero-Philosophie‘ teilen“. Kurz gesagt: Masse statt Klasse. Das ganze Reglement (Mirada, Cabeceo, Ronda, Unfallfreiheit, Tralala) werde nicht mehr beachtet: Die meisten Encuentros sind jetzt von einer sehr unterschiedlichen Menge bevölkert, was in der Regel mehr Chaos auf der Tanzfläche und mehr Unsicherheit bei der Auswahl der Tanzpartner schafft. Und ehrlich: Wir haben schon die großen Festivals für so ein Ambiente.“

Schweinerns in Mekka, allerhand!

Neulinge müssten erstmal durch den Besuch von „Festavalitos milongueros” auf Spur gebracht werden. Dort gebe es außer traditionellen Milongas eben noch Workshops, Diskussionen und Vorträge – auf dass sich der „milonguero spirit“ ausbreite. (Wobei ich rätsele, worüber man dann noch diskutiert… Und nennt man „Vorträge“ sonst nicht „Tangokurse“?)

Einige „fähige Lehrer“ stünden zu diesem Behufe bereit, einschließlich ihr – was  aber nicht bedeute, dass sie mehr Beschäftigungsmöglichkeiten suche.

Nein, ist ja klar…

Mir fällt jedoch schon auf, dass ich in letzter Zeit immer mehr Einladungen zu ein und derselben Tangoveranstaltung erhalte: War es früher eine Mail, so sind es inzwischen oft drei – eine vierzehn Tage vorher, dann wieder nach einer Woche, schließlich einen Tag davor. Und bei Kursen und Workshops sind auch nach langer Vorankündigung immer noch „wenige Plätze frei“…

Ich meine, das „Format Encuentro“ lebt vor allem von seiner Exklusivitäts-Mimikry: Einladungen erfolgen nicht öffentlich, Anmeldung erst ab einem bestimmten Datum mit genauer Uhrzeit möglich, hoher Preis, Vorkasse, Zugangsbeschränkungen nach „Gesichtskontrolle“ und Geschlecht (bzw. Tanzrolle), strikte Reglements, verschworener „Kastengeist“.

Das ist wie bei Nobel-Clubs: Je härter der Türsteher, desto größer das Gedränge. Wer drin ist, fühlt sich exklusiv, weil er „dazugehört“ – so kann sich auch der verzogene Neureichen-Bankert wichtig fühlen, der statt eines Großhirns einen Porsche sein eigen nennt – die ganzen Biggies auf Highheels eingeschlossen… Ich denke lieber nicht weiter nach, sonst fallen mir womöglich noch schlimmere Parallelen ein!

Einen Unterschied gibt es jedoch: Aufgemascherlte Weiber kommen außerhalb des Tango stets am Türsteher vorbei – davon lebt das Club-Image. „Wir müssen draußen bleiben“ stand früher vorwiegend an der Tür von Metzgereien. Zumindest darüber sollte man im kokelnden Land von Riten und Gedränge mal nachdenken…

Je weniger man also reinlässt, desto mehr wollen rein. Nunmehr scheint sich der Trend umzukehren: Wegen der Inflation der Angebote muss man jetzt auf den Plebs zurückgreifen. Via negative Rückkopplung geht der Andrang zurück.

Und wie bei jeder Religion tauchen mit deren Expansion Sektierer auf, welche sich über den „Werteverfall“ beklagen und einen noch strengeren Orden gründen. Ganz jesuitisch also, Halleluja!

Mein Resümee auf Facebook lautete jedenfalls:
„Ich besuche ausschließlich Milongas, bei denen das Geschlecht der Gäste keine Rolle spielt und jeder mit jedem so tanzen kann, wie die beiden Partner das jeweils bevorzugen. So einfach ist das.

Und ich bitte um Nachsicht, dass im gesamten Text vom Tanzen erst am Schluss die Rede ist. Sorry, es lag am Thema!

P.S. Hier die Quelle:
http://melinas-two-cent.blogspot.de/2017/11/encuentros-festivalitos-milongueros-2018.html

Kommentare

  1. Tja, Gerhard, während ich noch am Überlegen war, ob ich was zu Melinas Post schreiben soll, hast Du es einfach getan. Nicht mit genau dem gleichen Tenor, aber so ähnlich -beim Lesen von Melinas Text hatte ich jedenfalls das diffuse Gefühl, irgendwie stimmt ihre Logik nicht. Vielleicht sind es ja zwei Trends -
    mehr Tangueros und weniger Lust auf Selektion? Zumindest in meiner Region gibts regelmäßig neue Gesichter, scheint sich auch Nontango etwas auszubreiten und schrumpft auch das Exklusivsegment. Oder sie sind bei der Geheimhaltung besser geworden....

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    1. Schwer zu beurteilen, da viele Veranstaltungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Äußert man Vermutungen, werden die sofort dementiert. Ich meine aber schon, dass Christian Toblers Einschätzungen immer noch halbwegs stimmen.

      Ich sehe auch die von Dir genannten beiden Trends. Die frühere gnadenlose Selektion (gerade was weibliche Singles betrifft) hat der „Todernst-Tango-Fraktion“ viele Sympathien gekostet. Jetzt lockert man die Zutrittsbedingungen und muss sich von denen, die schon drin sind, anhören, es wäre nicht mehr so schön wie früher…

      Ganz nette Parallele: Beim Pörnbacher Dorf-Tango müssen wir in seltenen Fällen aus reinen Platzgründen Gäste abweisen. Manche Aspiranten rühren sich dann nie mehr. Obwohl ich versichere, keine „Gesichtskontrolle“ auszuüben, glauben das vielleicht nicht alle und sind bei Absagen beleidigt.

      Danke für den Beitrag und Grüße!

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  2. Jüngster Kommentar zu meinem Artikel im Forum „tanzmitmir“ (in Auszügen):

    „Die Grùnde dieser dekadenten Ausuferung sind ganz leicht erklært :
    - Diese Szene ist durchsetzt von Anhængern einer pol.Ausrichtung , die sich zumindest nach außen hin sehr weltmænnisch offen præsentiert ;dh . es finden sich dort auch sehr viele Gleichgeschlechtliche ein , warum auch nicht .
    Um der Dekadenz im Tanz eine Berechtigung zu geben wird halt gerne auf die Historie verwiesen um diese zu rechtfertigen ; vergessen wird gerne , das die Umstænde damals andere Auswùchse hervorgebracht haben , als es jetzt notwendig wäre !
    Damen tanzen mit Damen weil es der Männermangel erfordert , falls keine anderen Intentionen vorliegen ; wenn Mænner mit Mænnern tanzen , ausg. Tænze folkloristischer Art , dann hat das auch seinen Grund , nur den Normen des Gesellschaftstanzes entspricht es nicht !“

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  3. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

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  4. Ist doch logisch: Gerhard Riedl kopiert hier einen Beitrag von einem anonymen Autor, ohne ihn zu fragen, ob das diesem recht ist und ohne dass dieser davon weiß bzw. ohne zu nennen, wer diesen Beitrag geschrieben hat. Und G.R. löscht gleichzeitig meinen Beitrag, weil er "anonym" ist,. Wie pervers ist das denn?
    Nun - auch diesen Beitrag wird Herr Riedl natürlich löschen...... FEIGLING!!!

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    1. Ich lasse diesen Kommentar ausnahmsweise einmal stehen, damit die Märtyrer-Nummer nicht ausufert.

      Debatten dieser Art sind ja nicht neu, bei Bedarf kann man hier einiges nachlesen:
      http://milongafuehrer.blogspot.de/2017/03/nicht-zitierfahig.html
      http://milongafuehrer.blogspot.de/2017/03/zitierregeln-fur-blogger.html

      Das Schema ist stets gleich: Ich veröffentliche seit jeher meine Texte unter Klarnamen – andere kommentieren das, meist kritisch, unter Pseudonym. Das beispielsweise nenne ich feige.
      Veröffentliche ich dann etwas davon auf meinem Blog oder auf Facebook, wird man plötzlich empfindlich und hält mir vor, ohne Erlaubnis zu zitieren. Wie pervers ist das denn?

      Ich kenne das einschlägige deutsche Urheberrechtsgesetz inzwischen zur Genüge: Sorry, ein Copyright haben nur natürliche oder juristische Personen – nicht aber Pseudo- oder Anonyme. Ein bisschen Waffengleichheit muss es ja geben.

      Wer diesen Beitrag geschrieben hat, kann ich also gar nicht sagen. Wenn Sie Wert darauf legen, kann ich aber gerne erwähnen, dass auf genanntem Forum unter dem Pseudonym „Helmishali“ seit langer Zeit nach Kräften verbal geholzt wird. Ich wollte Ihnen das sowie auch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Ihrer Meinungsäußerung ersparen, die für mich latent homophob und reaktionär klingt. Und das, wohlgemerkt, als Reaktion auf meinen obigen Text, bei dem es mir weder um Schwule noch um linke Ansichten geht.

      So, und jetzt Schluss: Auf meinem Blog habe ich das digitale Hausrecht – und übrigens auch einen wahren Namen und ein Impressum. Juristische Schritte stehen Ihnen also frei. Ansonsten werde ich zukünftige, anonyme Kommentare von Ihnen kommentarlos (also ohne weitere Löschungsvermerke) streichen.

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