Und dazu ziehn Sie 'n Smoking an?
Es prangt in den Journalen
das Bildnis einer Frau.
Schön ist sie angemalen,
hellrosa, beige und blau.
Dir glückts ... ihr Widerstand erschlafft ...
Na, fabelhaft! Na, fabelhaft?
Grau ist der Morgen ... welk der Strauß ...
Und dazu zieh ich 'n Smoking aus –?
Worum
es auch geht: Kurt Tucholsky hat es
eh schon gesagt, so auch in seiner „Frage“,
einem Gedicht von 1930 (das ihm momentan den Vorwurf „sexuelle Diskriminierung" einbringen würde).
Mich
fasziniert es immer wieder, was sich Tangoveranstalter einfallen lassen (oder
meist eher von der Konkurrenz abkupfern), um sich im Einheitsmeer des „traditionellen“
Stils etwas abzuheben: Glubschaugen, gepflegte Ronda, Trippelschrittchen und
langweilige Musik gibt’s ja fast überall. Und die Idee, es mal mit modernem
Tango zu probieren, ist dann doch zu riskant…
Ein
Event, in welchen der Tangolebemann von heute unbedingt reingetreten sein muss
(wie unser aller satirischer Lehrmeister es sagen würde), findet demnächst in
Würzburg statt: eine „Milonga Erotica“.
Die
Veranstalterin beschreibt das Angebot wie folgt:
„Sinnliche Tangomusik bei
Kerzenschein, aphrodisierende Häppchen, verlockend schöne Gäste … Lass dich verführen und genieße diese prickelnde Milonga!
Sie ist eine der Themen-Milongas,
die bei Vielen als ‚sehr besondere Milonga’ in Erinnerung blieb.
Es werden sorgfältigst ausgesuchte und die Sinne ansprechende Darbietungen während des Abends angeboten und es gibt reichlich Gelegenheit zum Tanzen, sonst hieße es ja nicht Milonga.
Es werden sorgfältigst ausgesuchte und die Sinne ansprechende Darbietungen während des Abends angeboten und es gibt reichlich Gelegenheit zum Tanzen, sonst hieße es ja nicht Milonga.
Ich verspreche euch ‚Leckerbissen,
staunende Blicke, offene Münder und Genuss pur‘.“
Da tropft
einem doch schon beim Lesen der Zahn – trotz kleiner metaphorischer Rangeleien
wie „aphrodisierende Häppchen, offene Münder“…
Und obwohl hier erst zur Anmeldung aufgerufen wird, ist schon jetzt klar,
dass „verlockend schöne Gäste“ da
sein werden. Wie diese auszusehen haben, wird ebenfalls beschrieben:
„Dresscode??
Dress to impress!
Die Ladys z.B. verführerisch in Satin und Spitze, mit Strapsen und Corsagen etc….
und die Männer dezent oder auffallend erotisch im ‚Bad-Ass‘- Outfit. Für das originellste Outfit wird ein schöner Preis vergeben.“
Dress to impress!
Die Ladys z.B. verführerisch in Satin und Spitze, mit Strapsen und Corsagen etc….
und die Männer dezent oder auffallend erotisch im ‚Bad-Ass‘- Outfit. Für das originellste Outfit wird ein schöner Preis vergeben.“
Was die
weibliche Kampfmontur betrifft, kann ich mir das so ungefähr vorstellen – was aber
ist männlicherseits ein „Bad-Ass-Outfit“?
Meine Recherchen
ergaben:
„Bad Ass“ ist ein US-amerikanischer
Actionfilm mit Danny Trejo aus dem
Jahr 2012. Ja schon, aber da gibt es ziemlich viel Haue, und der Held, ein
Vietnam-Veteran, erscheint mir ein wenig angealtert und ungepflegt…
Weiter
dürfte wohl die direkte Übersetzung des Slangausdrucks führen: „knallharter Kerl“ oder „coole Sau“ (im Internet finden sich
dann beispielsweise Videos von Monster-Truck-Stunts).
Soll man
dann im Latzhosen-Look oder Rockerdress erscheinen?
Na gut, ich
würde eh lieber die Variante „dezent“ wählen (Jeans und Pulli) – vielleicht gewänne
ich dann sogar den „Preis für das originellste Outfit“…
Und zum
Schönsaufen ist ja ein „Begrüßungssekt“ im Eintrittspreis enthalten!
Was ich
jedoch nur zu gut verstehen kann: So ganz wohl scheint sich die Veranstalterin
bei der Aussicht unverhüllter weiblichen Reize – angesichts des tangotypischen
Durchschnittsalters – doch nicht zu fühlen. Also hat sie als „die Sinne ansprechende Darbietung“ eine
Burlesque-Künstlerin engagiert:
Für Branchen-Unkundige: „Burlesque“ ist Ausziehen
mit ohne ganz nackert!
Hilfreich finde ich die Unterstützung der in meinem
Alter doch nachlassenden Sehkraft, indem man Attribute verwendet, welche die
natürliche Reizkombination deutlich übertreffen – wir Biologen nennen das „übernormale Attrappen“ (gemeint ist
selbstverständlich das Martini-Glas).
Nein, im Ernst: Ich habe lange gezögert, diesen
Artikel zu schreiben, weil ich keinen Beifall von gewisser Seite wollte. Wer
sich moralisch empören möchte, ist hier falsch – und außerdem hat diesen Job
schon vor Jahren der frühere Blogger Cassiel erledigt:
Tango hat in seiner Historie
weiß Gott genügend mit der Halbwelt zu tun – und dass die Prostitution damals
wie heute ein ziemlich grauenhaftes Geschäft sein kann, will ich Veranstaltern
solcher Erotik-Milongas nicht vorhalten. Hier geht es doch eher um
augenzwinkernd vorgetragene „galante Anspielungen“ wie „Aus Platzgründen ist die Teilnahme auf 66 Gäste
begrenzt“. Zweimal sechs klingt doch im tangotypischen Alter eher verheißungsvoll
denn realistisch… Und zudem bietet die betreffende Organisatorin ja auch andere
Milonga-Formate wie „Tango before
Tatort“ (was ich allerdings als Sammelbegriff verwendet hätte).
Und wenn man schon lauwarm kocht, wird sicher nicht heiß gegessen!
Eher überzeugt mich da schon die Kritik eines Lesers zu solcherlei
Vorhaben:
„Der eigentliche Tanz
tritt immer mehr in den Hintergrund, nur noch der Mythos Tango wird vermarktet.
Die entstehende Langeweile schafft dann Raum für Engagements jeglicher Art, so
lässt man in Würzburg eben eine Stripteasetänzerin auftreten - beim nächsten
Termin wird dann selbstredend der authentisch-argentinische Stripteaseworkshop
angeboten, der aus dem Herz von Buenos Aires direkt in die Herzen der
Teilnehmer überströmt und diese somit befähigt, con corazón in vorbildlicher
Achse und anzüglich be/entkleidet in der Ronda stehend improvisieren zu
können.“
Ob
nun all diese Befürchtungen eintreffen oder nicht: Der DJ des obigen Events
wird zwar genannt, die Musik aber nicht weiter beschrieben – ist doch wurscht…
Und Tango tanzen – so wird zur Beruhigung verkündet – darf man ja auch!
Im
realen Tangoleben sieht man das ebenso selten wie auf YouTube – stattdessen viele
Paare, welche voreinander her tanzen, im Klammergriff verbissen auf
irgendwelchen Technik- oder Figurenschnack konzentriert. Ob in solchen Fällen
Libido-Krücken wie Strapse oder Burlesque-Shows helfen, wage ich zu bezweifeln!
P.S. Meine Gattin machte mich nach dem Lesen des Textes auf einen alten Musikerwitz aufmerksam: „Mit Vibrato kostet’s ‘nen Hunderter mehr!“
Lieber Gerhard,
AntwortenLöschenDu kannst doch keinen Witz hier einstellen, den mind die Hälfte der Leser nicht versteht ;-) ;-).
Es soll wohl in Südwest-Deutschland auch Nackt-Tango geben. Die Lokalität wird immer erst kurz vor dem Event bekannt gegeben. Wohlgemerkt sollen da bitte die Frauen überwiegend nackt kommen, wenn, dann nur dezent bedeckt und die Männer einen Smoking tragen (wer weiß, was ein Smoking kostet, der weiß ohnehin Bescheid). Laut Veranstalter bekommen Damen "besondere Aufmerksamkeit", da diese, anders als bei den meisten Milongas, in der Unterzahl sind (achwas, hätt ich jetzt nicht gedacht ;-) ).
"Swinger-Club mit Tanzgelegenheit" ist doch total anrüchig!!!
"Milonga erotica" hört sich da doch viel besser an...
Liebe Grüße in den Süden!
Sandra
Liebe Sandra,
Löschensolche Witze stelle ich mit besonderem Vergnügen ein!
Ja, solche Veranstaltungen gibt es immer mal wieder – ich habe ja auf frühere, erbitterte Debatten dazu hingewiesen. Ob das in „Swinger-Clubs“ ausartet, glaube ich nicht. Dazu ist die heutige Tangoszene zu verspießert.
Und als Zauberer weiß ich natürlich, was ein (guter) Smoking kostet. Dass wenigstens von den Männern keine Entkleidung gefordert wird, beruhigt mein ästhetisches Empfinden!
Insgesamt, so meine Meinung, sucht man halt bei solchen Events die Erotik an der falschen Stelle…
Danke und liebe Grüße
Gerhard
Ich finde es nett, alte Texte wie den von Cassiel noch mal zu lesen. Erst recht mit einer schönen Anmoderation. 2009, meine Herrn...da war ich tangomaßig noch im Krabbelalter.
AntwortenLöschenIst Dir aufgefallen, dass der von C verlinkte Elbnymphe-Artikel nicht mehr existiert? Wirklich schade...ich fand die Battles, die sich Promisc mit anderen geliefert hat, immer sehr unterhaltsam.
Ich weiß natürlich, daß Du, lieber Gerhard, nichts dafür kannst, wenn Elbnymphe Texte zurückzieht. Aber vielleicht liest ja Elbnymphe Dein Blog...daher ein freundlicher Appell, doch diese Werke der Nachwelt irgendwie weiter zum Lesen anzubieten. Merci vielmals im Voraus dafür!
Nein, ich kann wohl nicht immer was dafür, wenn andere Tangoblogger aufhören.
LöschenElbnymphes Blog ist jedenfalls schon lange tot. Aber vielleicht liest sie Deine Aufforderung.
Apropos: Wann schreibst Du mal wieder was?
Hm...gute Frage. Das Problem ist, ich lebe wohl in einer Tango-Vielfalt-mäßig recht gut versorgten Gegend, so daß der Leidensdruck oder das Motiv für eine Mission ähnlich Deiner nicht stark genug ist. Und viele Situationen, die vielleicht gute Geschichten ergeben würden, sind privat bzw. gehören mir ja auch nicht alleine. Meine Tango-Lernkurve ist nicht so spannend, daß ich das Gefühl hätte, ich müßte darüber mit Gewinn für andere schreiben. Last but not least hat der Tag nur 24 Stunden und da sind eine Menge anderer Bälle, die in der Luft gehalten werden müssen. Aber wer weiß. All das kann sich auch wieder ändern. Ich hoffe jedenfalls, Du bleibst dran. Ich lese Deine Texte nach wie vor mit Genuß.
AntwortenLöschenVielen Dank - Lob hört man immer gern!
LöschenAber die Motive und Zielrichtungen von Tangoblogs können durchaus unterschiedlich sein. Leidensdruck ist nicht unbedingt Voraussetzung.
Private Geschichten kann man ja anonymisieren bzw. verfremden. Mache ich auch öfters.
Ich würde mich jedenfalls freuen, wenn Dein Blog weitergeht. Meine derzeitige "Monopolstellung" gefällt mir nicht wirklich.
Schöne Grüße!