Liebes Tagebuch… 45



"All the world's a stage" (Shakespeare: "As You Like It”)


Aus meiner Sicht haben alle, die als Veranstalter, Musiker, Tanzlehrer, Schuhverkäufer oder Schlimmeres im Tango unterwegs sind, zwei Möglichkeiten der Gestaltung ihrer Arbeit:

Sie können den Tango als Subkultur verstehen, sprich als reines Hobby, bei dem man schon froh sein kann, wenn man nicht allzu viel draufzahlt. Dann sucht man sich halt eine möglichst kostenlose Räumlichkeit, einer bringt einen Kasten Mineralwasser mit, der nächste seine Anlage für die Musik – und irgendwelche Abgaben werden vermieden, indem man bei der Kirche, der Caritas, einer Tanzschule oder ähnlichem unterkriecht bzw. einen gemeinnützigen Verein gründet. Geld muss man nicht mitbringen, verdient wird sicher auch keines.

Sieht man den Tango als Branche, möchte man also damit Geld verdienen, muss man zunächst welches haben: für Saalmiete, Ausstattung, Musikanlage, bezahlte DJs, Musiker, Werbung, GEMA-Abgaben und einiges mehr. An eigener Arbeitszeit darf man gerne 20 Wochenstunden einplanen. Das nennt man investieren. Wenn man dies alles gut, sprich höchst professionell macht, besteht die Chance, nach einiger Zeit Gewinne zu verbuchen. Vielleicht schmiert man aber auch ab – die Gunst des Publikums ist gerade im Tango sehr schwer vorauszusagen…

In der Praxis erlebe ich leider sehr oft eine unheilvolle Kombination beider Ansätze: Man hat kein Geld zum Investieren, möchte daher erstmal eines verdienen. Auch mangels Liquidem wurstelt man ziemlich dilettantisch herum: Ein schmuckloser Raum in einer Gastwirtschaft, Garderobe mit einem halben Dutzend Kleiderbügeln, als Musik Playlists aus dem Internet (seffaständlich traditionell), Baukasten-Website inklusive Werbung mit einem Rechtschreibfehler pro Zeile, Terminverwechslungen und nicht rechtzeitigen Absagen. Nach einem halben Jahr fliegt man eh aus der Location, da dem Gastronomen die allabendlich verkauften zehn Gläser Mineralwasser nicht reichen…

Manches ist unvermeidlich: In unserer Marktwirtschaft möchte halt Geld zu Geld – und kein Geld zur Pleite. Was mich aber immer wieder sprachlos macht, sind unprofessionelle Verhaltensweisen, zu deren Korrektur nicht mal Zaster erforderlich wäre.

Was ich als Gast gerne sähe, wären Menschen, die sichtlich vom Tango, seiner Musik und tänzerischen Umsetzung fasziniert sind. Was ich hingegen in der Praxis immer wieder erlebe, sind Bilder, die mich daran zweifeln lassen:

Vor meinem geistigen Auge erscheinen dann beispielsweise Mägdelein, die den ganzen Abend ohne Blickkontakt zur Tanzfläche vor ihrem Auflege-Computer hocken und via Smartphone im Internet surfen. Oder Tangomusiker, welche sich vor und nach ihrem Auftritt in die hinterste Ecke verkrümeln, möglichst noch mit dem Rücken zur Tanzfläche. Oder Showtanzpaare, die am ganzen Abend genau drei Tänze vollführen: die, für welche sie gebucht wurden. Dito Tangolehrer, welche nicht mehr als zwei Runden tanzen, nämlich mit ihrer weiblichen Begleitung sowie vielleicht noch der Gastgeberin - und sich anschließend die Eckplätze mit den Musikern teilen.

Ich frage mich dann immer: Interessiert es einen DJ nicht, ob er zu seiner Musik auch gut tanzen kann, einen Musiker, wie die Stimmung auf einer Milonga, der Betrieb auf dem Parkett ist, wirkt der Tango auf Showtänzer wirklich noch so faszinierend, wie sie nachher bei ihrer Vorführung tun, versucht ein Tangolehrer wirklich, seine noch vorhandene Leidenschaft fürs Tanzen an seine Schüler weiterzugeben?

Manchmal hat man den Eindruck, die abgelegenen Nischen in einer Milonga reichten gar nicht aus, um alle „Profis“ aufzunehmen…

Die optische Botschaft, welche somit in unserer Szene viele Funktionsträger vermitteln, lautet:
„Eigentlich interessiert mich der Tango kein bisschen – ich bin halt da, um meinen Job zu machen (und froh, wenn er bald vorbei ist).

Wenn ich als DJ arbeite oder gar zu einer Buchpräsentation eingeladen bin, halte ich mir stets vor Augen, dass mein gesamtes Auftreten bei der Veranstaltung beurteilt wird – und nicht nur die Musikauswahl oder die halbe Stunde Lesung. Wie freundlich und entgegenkommend wirke ich, wie sieht mein Tanzen aus, fordere ich auch mal Anfängerinnen auf oder sind das nur leere Behauptungen aus meinen Veröffentlichungen? Man ist eben nicht nur „irgendein“ Gast.

Dass man sich auch mal müde; genervt oder „ausgetanzt“ fühlt, ist nicht die Schuld der Besucher!

Auf einer Management-Beratungsseite habe ich eine schöne Beschreibung des Begriffs „Professionalität“ gefunden. Soll man sich als Berufsfußballer noch bis zum Schluss verausgaben, wenn das Spiel eh verloren ist?

Ein Fußballprofi hat darauf einmal eine erstaunlich präzise Antwort gegeben: „Die Zuschauer haben den vollen Eintrittspreis bezahlt. Also haben sie auch ein Recht darauf, dass wir bis zur letzten Minute volle Leistung bringen!"
           
Die innere Einstellung
So formuliert, wird sichtbar, dass es bei Professionalität tatsächlich um mehr geht als um Leistung und Können, nämlich um berufliche Werte. In diesem Sinne bedeutet Professionalität, anspruchsvollen Maßstäben zu genügen: Nicht nur bei der Arbeit, die man abliefert, sondern in seinem gesamten Geschäftsgebaren und in seinem Umgang mit Menschen – unabhängig von Dienstrang und Namen, und gleich ob einem jemand noch nützlich sein kann oder nicht.

Genau hier scheidet sich die Spreu vom Weizen. Denn sich ins Zeug zu legen, wenn es um einen Auftrag, um zählbare Ergebnisse oder um eine Beförderung geht, hat nichts mit Professionalität zu tun, das ist schlichter Ehrgeiz bzw. Geschäftssinn. Professionalität zeigt sich vor allem dort, wo keine Gegenleistungen (mehr) zu erwarten sind. Damit ist der Begriff Professionalität zur Umschreibung für Werte geworden, die sich auf Deutsch kaum noch jemand auszusprechen wagt, nämlich Anstand und Pflichtgefühl, vielleicht sogar Ehrgefühl.

Seltsamerweise finde ich eine solche Einstellung im Tango eher bei Amateuren als bei sogenannten „Profis“…

Merke aber: Nicht das Parkett allein – die ganze Welt ist eine Bühne!

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