Als man sich beim Tango noch bewegte
Das
Rezept für den Autorenerfolg, so
habe ich als Blogger gelernt, ist sehr einfach: Ohne viel nachzudenken und in
aller Eile etwas aus der Abteilung „Menschen,Tiere, Sensationen“ heraushauen! So geschehen beispielsweise bei meinem
Post „Wie Códigos in die Hose gehen können“. Zwar glaubten einige wenige, mich
der Geschmacklosigkeit zeihen zu können wie mein Leser Bruno Rogalla, welcher auf Facebook attestierte, das zugrunde
liegende Video sei „einfach nur blöd“
– aber der Beitrag schlug höchste Wellen: 890 Zugriffe in diesem Forum, und auf
meinem Blog ist er – nach erst knapp einem Monat – der am dritthäufigsten
angeklickte Artikel aller Zeiten!
Als
ich dagegen vor fünf Tagen den wunderschönen Tango „Por la vuelta“ erstmals
im Internet mit einer selbstgefertigten Textübersetzung (und der gefühlvollen
Interpretation von María Graña)
vorstellte, blieb das Leserinteresse im zweistelligen Bereich – und so eine
Übertragung ins Deutsche ist, wenn man nur rudimentäre Spanischkenntnisse besitzt,
eine Heidenarbeit!
Aha,
man sollte anscheinend lieber statt einer aufwendig recherchierten Arbeit einen
Spanier mit einer waffenscheinpflichtigen Lache veröffentlichen – oder einen
Showtänzer mit massivem Übergewicht, der mit einer nicht mal halb so schweren,
filigranen Schönheit mit zierlichen Trippelschrittchen übers Parkett bohnert!
Für Leute, die schon „seit dem letzten
Jahrhundert“ tanzen, ist ein solcher Stil zwar äußerst sehenswert, aber nicht
außergewöhnlich: In der Zeit, als wir uns beim Tango noch bewegen durften, fanden
wir solche Rennen im Zweivierteltakt cool. Nicht, dass wir die ganze Zeit so
tanzen wollten, aber wenn es mal passte, war es ein Riesenspaß – Rumgealber inbegriffen.
Die Begriffe „Rennen“,
„Spaß“ und gar noch „Rumgealber“ stehen heute natürlich auf
dem Index des ernsthaften Tangofreunds. Man sieht es auch bei YouTube: Das
Video erntete zwar fast 4 Millionen Aufrufe und über 9000 „Gefällt mir“-Angaben,
allerdings auch den relativ hohen Wert von fast 800 Missfallensanzeigen. Das
ist eher eine Tangoparodie – so kann man doch nicht tanzen…
Kann man auch kaum noch: Wenn ich mal bei einer Milonga
ein ähnlich hohes Tempo anschlagen will, geht das nur bei fast leerer
Tanzfläche, ansonsten gleicht das dem Vorhaben, im Porsche an einer
Rollator-Pilgergruppe vorbeizukommen…
Ich frage mich schon ernsthaft, ob es nicht eher eine
Tanzparodie darstellt, konsequent die perlenden Sechzehntelläufe sowie Synkopen
einer dynamischen Milonga zu überhören und brav im Viertelrhythmus
einherzustapfen. Wenn ich traditionelle Milongas besuche, mache ich in dieser
Hinsicht oft drei Beobachtungen: Man spielt immer weniger Milongas, der Rest hat
ein eher langsames Tempo – und dennoch leert sich das Parkett während solcher
Tandas auffällig.
Auch Showtänzer machen bei Tangoveranstaltungen inzwischen
vorwiegend einen Bogen um die schnelle Tangovariante – selbst wenn sie mehr als
drei Tänze bieten (und das ist leider der Normalfall), finden sich im Programm
neben dem obligatorischen Vals öfters nur langsame bis sehr langsame Tangos.
Neben dem Zeitgeschmack dürfte das auch daran liegen, dass man ganz schön viel
können muss, um derartige Stunts auf die Bretter zu legen. Zweifellos bewegen
sich Quiroga und die bekannte
Showtänzerin Alejandra
Mantiñan in der „Don’t try this at home“-Liga…
Wer Aoniken
Quiroga Bujan (so der volle Name) nicht kennt, dem kann ich auch nur
bedingt weiterhelfen. Im Internet ist (neben zahlreichen Vortanzvideos und
Veranstaltungsankündigungen) nicht eben viel über ihn bekannt. Er ist wohl
Anfang Dreißig, tanzt seit seiner Kindheit und stammt aus der Tangoschule von Carlos Copello. Er tanzte in etlichen
Shows mit und wurde 2006 Vizeweltmeister im Tango de Salón. Derzeit lebt er in
Italien, unterrichtet in Neapel sowie auf diversen Tourneen. Und er erinnert mich von Statur und Tanzweise an meinen einstigen Lehrer Andi - den besten, den ich je hatte!
Gerne
lässt man sich im Internet mehr oder weniger ernsthaft besorgt über Quirogas Gesundheitszustand aus. Ich finde, das
geht nur ihn und sein persönliches nahes Umfeld etwas an. Für mich sind hier
zwei andere Botschaften bedeutsam:
Erstens
sind die meisten körperlichen Handicaps
kein Grund, im Tango nicht nach den Sternen greifen zu sollen: Ob alt, jung,
dick, dünn, groß oder klein – dieser Tanz ist für alle da! Und zweitens: Es
gibt so viele Tangostile, wie es
Menschen gibt, die Tango tanzen – und jeder soll persönlich urteilen, ob ihm
eine spezielle Art mehr oder weniger gefällt. Oder noch besser: seine eigene entwickeln. Sollte Aoniken Quiroga bei Carlos Copello gelernt
haben, würde dies gut passen. Ich habe schon einmal berichtet, was dieser
erfahrene Milonguero und Showtänzer von der Diskussion um „Tangostile“ hält:
Die
wenigsten Tangolehrer tanzen heute in einer Art, wie sie früher, als man sich
beim Tango noch bewegen durfte, sehr verbreitet war. Und viele ihrer Schüler
halten das heute unterrichtete gravitätische Herumgeschleiche für die einzige
Version dieses Tanzes. Daher ist es vielleicht ganz gut, diese anderen
Varianten zu veröffentlichen!
Oder mittelschnell…
Und Rock’n Roll hat er auch drauf:
Selten so einen beweglichen Tänzer mit dieser Figur gesehen, wow, was für ein Talent!!! Ich bin echt neidisch!
AntwortenLöschenLG Petra Moldenhauer, die nur mal durch Zufall hier hereingeschaut hat :-). Eigentlich, um mehr über Quiroga zu erfahren.