Manuela Bößel: Das Konzept Fuß


Unter diesem Titel hat kürzlich die Tangofreundin und Autorin ein sehr bemerkenswertes Buch herausgebracht. Der Untertitel umschreibt einen hohen Anspruch: „Fußprobleme verstehen, bearbeiten und lösen“.



In diesem Fall muss ich zugeben, bei der Verfasserin in mindestens doppelter Hinsicht voreingenommen zu sein: Erstens hat die „Lektoratsfirma Riedl“ an der Endbearbeitung des Textes mitgewirkt, und zweitens ist es fraglich, ob ich heute noch (in meinem Stil!) Tango tanzen könnte, wenn es Manuela nicht gäbe.

Während meine Altersgenossen mehrheitlich schon ziemlich lendenlahm herumschleichen, mute ich meinem Gestellt ja im Durchschnitt drei Milongas pro Woche zu – im Alter von 66 durchaus nicht üblich.

Vor etwa drei Jahren beschlossen meine Füße daher, dauerhaft und schwerstens beleidigt" zu sein: Oft war ich nach dem Anmarsch vom Auto zum Tangolokal schon ziemlich geschafft – insbesondere der linke Mittelfuß machte sich durch stechende Schmerzen bemerkbar. Der Umstieg in die Tanzschuhe verringerte die Beschwerden zwar etwas, aber nach einer Stunde Tango wurde es zunehmend weniger lustig…

Daher kam es mir wie gerufen, dass Manuela Bößel nicht lange vorher ihre Heilpraktikerprüfung abgelegt hatte und auf der Suche nach Therapien war, die sie und ihre Patienten überzeugen konnten. Die „klassische Schiene“ (Akupunktur, Homöopathie, Darmsanierung…) war ihre Sache nicht – und wer sie kennt, der weiß, dass Esoterik mit ihrer bodenständigen Persönlichkeit unvereinbar ist.

Allmählich kristallisierte sich heraus, was sie auch bei ihrer Arbeit als Krankenschwester bei chronisch bettlägerigen Patienten als äußerst hilfreich erlebt hatte: die Therapie des Bewegungsapparats in Form von Massagen, Muskeldehn- und Bewegungsübungen. Nicht nur werden hierbei Langzeitfolgen wie Dekubitus, Kontrakturen und Infektionen vermieden – auch Sauerstoffsättigung, Verdauung und sogar Stimmungslage verbessern sich auffallend. Warum dies alles nicht an Patienten ausprobieren, die noch nicht wegen einer hohen Querschnittslähmung beatmungspflichtig sind?

Daher gab ich meine Füße vertrauensvoll in die Hände meiner Therapeutin – und der Erfolg verblüfft mich noch heute: Bereits nach wenigen Fußmassagen bildeten sich die Beschwerden deutlich zurück, und nach einigen Monaten konnte ich wieder völlig schmerzfrei gehen und tanzen. Diese Behandlungstechnik bildet nun das Zentrum ihres Buches: „Jeweils einen Tango lang“ werden mittels gekonnter Illustrationen die einzelnen Massageschritte dargestellt und erklärt – geeignet sowohl zur „Verwöhnung“ der eigenen Füße wie auch der Dritter. Ein Video bei YouTube zeigt die Abfolge in Bewegung:


Was findet man noch im Buch? Ein erstes Kapitel beschreibt genügend exakt, aber nicht wissenschaftlich-hochtrabend den anatomischen Aufbau der Füße – und trotz meines Biologiestudiums war ich erstaunt, wie viele Bauteile hier in höchst ausgetüftelter Weise zusammenspielen, was man da in welcher Weise bewegen kann – wenn denn alles verspannungsfrei wieder am richtigen Platz liegt. Darüber hinaus bietet die Autorin eine Gesamtsicht: Fehlstellungen ganz unten wirken sich nämlich bis hin zu Schultern und Kopf aus!

Daher widmet die Verfasserin einen ganzen Abschnitt dem „Wohlstand“, sprich der aufrechten Haltung – also dem, was wir Tangotänzer als „Mitte“ und „Achse“ kennen. Ausgehend von den gewohnten Bewegungsmustern und automatischen Steuerungen unseres Nervensystems werden wir angeregt, durch differenziertes „Spüren“ mehr und geeignetere Optionen zu entwickeln. Dies entspannt unser gesamtes „Gstell“ bis hin zu einer effektiveren Atmung. Natürlich dürfen gerade für Tänzer Ratschläge zu geeigneten Schuhen nicht fehlen. Übrigens trage ich seither beim Tango Sneakers und nicht mehr die von Manuela liebevoll so bezeichneten „Ledersärge“

Im Schlusskapitel beschreibt sie das Ziel ihres Buches, das „Wohlergehen“: Ihr Appell, bei Bewegungen dem Herzen und nicht dem „Pflichtgefühl“ zu folgen, ist sicherlich nicht nur für Tänzer bedeutsam – lass es „durchlaufen“! Im Tango wie im Seniorenbereich gilt es, den Teufelskreis zwischen Angst und Verspannung zu durchbrechen.

Immer wieder regt die Verfasserin den Leser dazu an, zum jeweiligen Thema Verschiedenes auszuprobieren und daraus eigene Schlüsse zu ziehen. Erst dann weiß man, was im konkreten Fall hilft.

Viele Probleme des Bewegungsapparats kann man nicht mit dem Verstand, sondern nur über Bilder und Gefühle lösen. Daher bietet das Buch nicht nur selbstgefertigte, sehr anschauliche anatomische Skizzen, sondern auch köstliche Illustrationen zu skurrilen Geschichten, mit denen sie unser Unterbewusstsein anregt:

Wieso hat der Yeti kein Fußweh?
Was können wir von Ackergäulen und Miezekatzen lernen?
Wie findet man sich in einem unbekannten, schlecht beleuchteten Schloss zurecht?
Lassen Sie sich überraschen!

Manuela Bößel nennt ihr Werk ein „unideologisches Buch für normale Fuß-Benutzer“. Ihr ist nämlich ziemlich egal, ob die Behandlungserfolge schulmedizinisch (z.B. über Reflexketten), mittels der Fußreflexzonenlehren oder „chinesisch“ über die Meridiane zustande kommen. Das Resultat zählt. Und ihren „theoretischen Überbau“ beschreibt sie sehr klar und eingängig:

„Du bewegst nur, was du spürst. Denn du spürst nur, was du bewegst. Und was du bewegst und spürst, entspannt sich. Was sich entspannt, tut weniger weh. Und heilt besser.“

Ich muss gestehen, als gelernter Naturwissenschaftler nicht von vornherein von der „Komplementärmedizin“ überzeugt gewesen zu sein. Im Endeffekt hat mich meine Therapeutin aber stets überzeugt – auch hinsichtlich eines wichtigen Vorzugs ihrer Behandlungsmethode: „Sturzprophylaxe für Senioren“. Auf dem Höhepunkt meiner Beschwerden schaffte ich es einmal, die halbe Länge der schlecht beleuchteten Treppe im einstigen „Premiere Étage“ im Sturzflug zu nehmen. Glücklicherweise blieb es bei einem verstauchten Sprunggelenk. In vielen Fällen bildet jedoch in unserem Alter der berühmte Oberschenkelhalsbruch nach einem solchen Stunt den entscheidenden Schwenk zur Immobilität. Seit der erfolgreichen Fußmassage nehme ich die Tango-Showtreppen wieder in gewohnter Eleganz!

Wenn ich aber mit anderen über Naturheilkunde spreche, mache ich oft die betrübliche Feststellung: Gesundheit darf bei uns nichts kosten. Daher bleibt festzustellen: Das Buch gibt es nicht auf Rezept – im Gegensatz zur üblichen Cortison-Verschreibung des Orthopäden. Und während dieses Medikament oft schnell hilft, auf Dauer aber Probleme bereitet, ist es bei jenen physikalischen Therapien umgekehrt. Daher gönne ich mir von Zeit zu Zeit immer wieder eine Fußmassage - und tanze weiter!

P.S. Das Buch gibt es außer bei den üblichen Bezugsquellen (Buchhandel, Onlineversand) auch beim Verlag oder direkt bei der Autorin:

http://www.tangofish.de/_das-konzept-fuss.htm

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