Das „Ach“ der Alkmene



Jener literaturhistorische Seufzer stammt bekanntlich von der Gattin des siegreichen griechischen Feldherrn Amphitryon in der gleichnamigen Tragikomödie des Heinrich von Kleist. Dazu hat die Dame auch allen Grund: Jupiter persönlich hat sich in Alkmenes Mann verwandelt und ihr dergestalt eine Liebesnacht beschert. Was der Getäuschten bleibt, ist dieser berühmte Kommentar: Wer ist der andere – und wer ist man selbst?

Womit wir beim Tango wären: Nicht eine, sondern sogar drei Berliner Tangueras (Stefanie, Laura und Anke) haben vor einigen Wochen ein neues deutschsprachiges Tangoblog ins Leben gerufen, das ich mit Interesse und Vergnügen verfolge:


„Berlin Tango Vibes“ (also „Berliner Tango-Schwingungen“) nennen die drei in bestem Szene-Denglisch (wenigstens nicht Spanisch) ihr Forum. Und um Gefühle geht es (wen würde das bei Tangoblogger*innen wundern) in den bereits zahlreichen Texten vorwiegend. Das „Ach“ der Alkmene ist in vielen Beiträgen nicht weit – manchmal kommt es mir sogar wie ein „Hach“ vor…

Eine größere Zahl der Artikel liest sich wie eine To Do-Liste für Männer:

Beispielsweise das wagnereske „Nie sollst du mich befragen“, hier Milonga Smalltalk No-Gos“ genannt: „Wie heißt Du?“ und „Wo kommst Du her?“ und „Was machst du so?“ Na, da bleiben dann kaum noch Kommunikationsmöglichkeiten offen…

Beinhakeleien“ werden ebenfalls nicht geliked, desgleichen Schwitzen („Verföhn mich“ und „Wasser-Tango“) und natürlich die (offenbar in der Bundeshauptstadt häufigen) Rempeleien: „Ein bisschen Wein spritzt auf mein Kleid. Auf dem Seitenhighway ist inzwischen die Hölle los.“

Ach ja, ein bisschen „metoo“ darf natürlich nicht fehlen:  „Tango ist doch was für Abschlepper und Aufreißer“

Dem entgegengestellt werden selbstredend positive Männerbilder wie das von dem Südländer mit der bimmelnden Hose in „Heiß begehrt“: „Er ist Italiener, sieht gut aus, tanzt schön leidenschaftlich, ist charmant und begehrt. (…) Da erklingt plötzlich eine schwungvolle Melodie aus seiner Hosentasche und es vibriert dort ein bisschen. (…) ‚Francesca‘, lese ich auf dem Display“.

Natürlich muss Mann gut riechen, wenn auch vielleicht nicht unbedingt wie beim folgenden stilistischen Absturz: „Der Tanz, die Umarmung die Musikalität und – sein Duft! Ein sehr dezentes aber sehr angenehmes, frisch-warmes Herrenparfum das wahrscheinlich schon ein wenig verflogen war aber optimal mit seinen Pheromonen harmonierte.“ („Dufte Typen“)

Gipfelpunkt dieses Themenbereichs ist bisher die Ode „Mein Lieblingstänzer“, in welcher das Traumbild (wie  bei Wachsfiguren üblich) absolut stationär erscheint: „Er sitzt oder steht meistens in der selben Ecke und alle Damen wissen, wenn er da ist.“

Da kann man dann schon mal Gnade vor Korb walten lassen: „‚Okay‘, denke ich mir, ‚eine Tanda gegen den miesen Ruf Berlins‘“

Traditionell ist die weibliche Eigenansicht von Selbstkritik durchzogen wie beim Frisurenthema („Schüttel dein Haar“) oder bei der Not von Anfängerinnen: „Da gehen die Knie noch mehr durch, das Selbstbewusstsein neigt sich dem Tiefpunkt.“ („Bambi geht tanzen“)      

Gleich in zwei Artikel wird die allfällige Klage darüber angestimmt, dass sich der Scheich mal wieder die andere Haremsdame aussucht („Er tanzt mit der Falschen“ und „Ich BIN die Falsche“): „Ich, ja ich bin die hässliche Verliererin, die dumme naive Kuh, die lieber sitzen geblieben wäre. Aber zu spät. Dies ist die verlorene Ehre der Tanguera Blum!“ Ein bisschen weniger Heinrich Böll hätte es bei diesem Wortspiel auch getan – man muss den Typen ja nicht gleich erschießen…

Und Frau müht sich im Tango heftigst, ausgerüstet mit einer Unmenge nicht immer geglückter Metaphern: „‚Ich stelle mir meine Beine wie zwei Würste vor, die aus meiner Hüfte heraushängen und um meine Hüfte ist ein schwerer Kartoffelsack gebunden.‘ Gemeinsam mit zwanzig anderen Frauen, lausche ich den Worten der Lehrerin. Ich muss gestehen, ich liebe Frauentechnikstunden.“

Ich nicht – mir reicht es völlig, mich mit den einschlägigen Realitäten abzufinden!

Vielleicht schon mal ein stilistischer Tipp: Man kann selbstverfasste Texte hinterher auch noch ein paar Mal durchlesen, Korrekturen anbringen und so Formulierungen wie diese eliminieren: „Wir stehen im Tango nicht nur permanent quasi auf einem Bein, wir machen auf diesem einen Beinen auch die verrücktesten Dinge“

Das hierzu Nötige hat bereits der bayerische Troubadour Fredl Fesl gesagt:
„Ein Pferd hat vier Beiner,
an jeder Ecken einer,
drei Beiner hätt,
umfallen tät!“

Genug der Kleinlichkeiten: Schreiben lernt man nicht von heute auf morgen – und mir hat die Rundreise durch das gerade entstehende Tangoblog viel Spaß bereitet. Den Kolleginnen vielleicht noch zwei Aspekte – nur mal so zum Überlegen:

Frauen müssen sich nicht unbedingt nur auf die „weichen“ Themen beschränken – wagt euch doch mehr an die „hohe Tangopolitik“! Ansätze sind ja vorhanden wie in dem Text „Tango tanzen lernen lernen – oder ein Hoch auf die Vielfalt“: „Ich finde durchaus nicht jeden Stil schön und habe Vorlieben und Abneigungen. Aber ich begrüße, dass sich aus diesen verschiedenen Angeboten ein eigener Stil entwickeln kann und viele Lehrer*innen einen dabei unterstützen.“

Ebenfalls hochinteressant – gerade aus weiblicher Sicht: „Frauen, die führen, beißen nicht“. Solche Ansätze hätten es aber verdient, mit mehr als 479 respektive gar 164 Wörtern abgehandelt zu werden. Ich finde, viele Artikel in diesem Blog geben einfach zu früh auf!

Dass es jedoch kurz und trotzdem höchst treffend werden kann, beweist ein Beitrag, den ich für den bislang gelungensten halte: „Fitness first“

Wahrlich, es gibt in dem jungen Blog viel versprechende Ansätze. Also, liebe Kolleginnen, strengt euch an – das tun manche Männer auch!

Und die Sache mit „Amphitryon“ war ja gar nicht so ernst gemeint: Da erscheint einer Ehefrau plötzlich der eigene Mann als Gott – und der zeugt auch noch einen Herkules…

Dürfte im Tango, ach, nur selten vorkommen!

P.S. Wem das Kleist-Stück nicht mehr ganz geläufig ist:

Kommentare

  1. Vielen Dank für die ausführliche Besprechung unseres Tango-Blogs.

    Viele Grüße aus Berlin,
    Laura

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    1. Ebenfalls vielen Dank dafür, dass ihr meine Kritik positiv auffasst. So war sie auch gemeint!

      Beste Grüße aus Pörnbach
      Gerhard

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