Manuela Bößel: meine Tanzografie
Das Thema ergab sich heute Mittag völlig spontan und gesprächsweise: Meine Blogger-Kollegin Manuela Bößel erzählte von ihrer tänzerischen Biografie – und das derartig interessant, dass ich kurzerhand zur Tastatur griff und mitschrieb. Für heutige Tanzende, welche sich streng an Kursen und Regeln orientieren, wird manches ziemlich fremd klingen – und ist es gerade deshalb wert, der Nachwelt erhalten zu bleiben.
Daher nun „Bühne frei" für die Autorin:
Daher nun „Bühne frei" für die Autorin:
Ab meinem vierten Lebensjahr lernte ich
Ballett, einmal die Woche in einem Studio bei einer tschechischen
„Lährärin" – streng, aber bodenständig. Die Aufführungen, die
jeweils in der Weihnachtszeit stattfanden, waren toll. Die
Kostümierungen, speziell rosa Tutus, nervten mich allerdings
gewaltig. Aber ab einer gewissen Kursstufe durfte man Weiß tragen
und Spitze tanzen! Mit vierzehn wechselte ich pubertätsbedingt zum
Judo (beim Fußballverein wurde ich als Mädchen nicht aufgenommen).
Meinen ersten Tanzkurs habe ich in der
8. Klasse gemacht – mit fünfzehn und der ganzen Klasse. Ich hatte
mich soo aufs Tanzen gefreut – Bigband Swing, Rumba, Samba, Wiener
Walzer – auf alles, was ich als „Erwachsenen-Tanzmusik“ kannte.
Allerdings sollten wir dann eher zu
80-er Jahre-Discoklängen umeinandertappen: eins, zwei, tapp. eins,
zwei, tapp... Das sollte dann Rumba oder was auch immer sein!
Auf den „Nachmittags-Parties“
durfte man auch nicht einfach „nur so“ tanzen: Zu Popmusik hat
ein anwesender Tanzlehrer-Azubi dann angesagt, welcher Tanz das sein
sollte. Der Tanzpartner fragte dann immer, in welchem Kurs man sei –
mit der Antwort: Aha, dann kann ich ja nur die oder die Folge tanzen!
Merksatz: „Gebrezelt wird viermal“.
Meine Eltern haben in ihrer Jugend
getanzt „wie der Lump am Stecken“ – und früher viele
Veranstaltungen besucht. Einmal habe ich meinem Vater nach der
Tanzstunde eine „tolle, neue Figur“ beschrieben und gehofft, dass
er sie tanzen kann (im Kurs konnte das nämlich keiner). Seine
Antwort war nur: „Muss ich das wissen?“
Es war aber nicht gesagt, ob einen
überhaupt einer der damals total verbreiteten „Popper“
aufgefordert hat, wenn man als „Hippie-Mädchen“ barfuß oder mit
„Birkenstöckern“ erschien – Tanzschuhe waren damals überhaupt
kein Thema! Immerhin hatte ich mir als Zugeständnis extra einen Rock
angezogen (lila, aus Seide, selber genäht), aber damit konnte man
kaum gegen die „höheren Töchter“ anstinken...
Mein Tanzpartner war ein guter Freund,
der gutmütig alles mitmachte, was man halt sollte – ein
sonderlicher „Tanzdruck“ war bei ihm nicht vorhanden – und nach
zweieinhalb Kursen brach er sich dann den Fuß und war tänzerisch
nicht mehr einsetzbar. Mir wurde ein „Springer“ zugewiesen –
vom Typus „holdes Bürschlein“, inklusive der entsprechenden
Starallüren.
Bis dahin hatte ich begriffen, dass es in dieser Tanzschule sicher nicht irgendwann mit „richtigem Tanzen“ losging,
sondern immer so weiter. Was ich von meinen Eltern als „Tanzen“
kennengelernt hatte, war dort nicht zu lernen: Sich lässig in die
Musik hineinzulegen, übers Parkett zu fetzen und Spaß zu haben. Dass dabei das meiste
improvisiert war, wurde mir damals überhaupt noch nicht klar.
Geahnt habe ich es dann auf dem
Abschlussball, als bei der „Väter-Töchter-Runde“ bei den
Mädchen Angstschweiß und panische Blicke um sich griffen, weil die
Väter natürlich überhaupt keine Schritte aus dem Kurs führten,
sondern irgendwas tanzten – und das häufig sicher, ja souverän.
Auch bei mir war die Nervosität groß, aber zunehmend ließ ich
locker und spürte plötzlich: So ähnlich könnte Tanzen sein!
Übrigens war in dieser Runde auch ein Tango dabei – neben Rock'n
Roll und Pasodoble (bei welchem mein Vater seinen „Stierkämpferblick“
aufsetzte und so den Tanz interpretierte). „Gockeln“ war
natürlich bei seiner Tänzergeneration inklusive (ob man nun tanzen
konnte oder nicht...).
Da das, was ich unter „so tanzen“
verstand, in meiner Tanzschule nicht gelehrt wurde, habe ich dann
aufgehört: keine wirklich motivierende Musik, glatt, lackiert und
total spießig.
Nach längerer Zeit kam ich über
Jazzdance zum Steptanz. Diesen betrieb ich sehr intensiv, aber
einfach so „mal tanzen gehen“ war da auch nicht möglich. Doch
wenigstens gab es dabei gute Musik! Über den Swing kam ich auf
den Tango. Irgendwann war mir dann klar: Auf diese Musik will ich
tanzen! Ich besaß damals zwei CDs: Tangos aus den 20-er Jahren und
Piazzolla.
Vor fast zwanzig Jahren war es gar
nicht leicht, überhaupt einen Tangokurs zu finden! Nach einem
Wochenend-Workshop besuchte ich (trotz Verbot des Tangolehrers und
allein!) sofort eine Milonga und wusste schlagartig: Da bin ich
daheim! Eigenartige, freundliche Menschen, viel Gelächter,
verschiedenste Tanzstile, kaum erkennbare Schrittfolgen, unterschiedlichste
Musik zwischen Gardel und Narcotango. Und ich traf dort viele aus
meinem Kurs, die das Verbot des sofortigen Milongabesuchs ebenfalls
ignorierten! Man forderte (ungeachtet irgendwelcher Levels) auf –
und wer als Frau dabei nicht die Initiative ergriff, fiel direkt auf!
Manche hatten Tanzschuhe, manche nicht – ob Cargohose oder
geschlitzter Rock: völlig egal!
Zum Tangotanzen nutzte ich jede Gelegenheit und nahm in den ersten Jahren in meiner Heimatstadt sogar Kurse, Workshops und Practica in Kauf. Inzwischen sind es fast 20 Jahre - und immer noch kann man mich auf Veranstaltungen treffen, die möglichst nahe an die Eindrücke meiner Anfängerzeit heranreichen.
Wäre ich nach meinem Anfängerkurs
(und bei meinem inneren Tanzdruck) damals auf eine Milonga des heute
üblichen Zuschnitts geraten, hätte ich sofort wieder aufgehört.
Nicht mal die Rentner bei dem Tanztreff der Arbeiterwohlfahrt, wo
meine Oma auflegte, schafften es, so ein fade Stimmung zu
verbreiten...
Und mein Vater hätte bei einem solchen
Anblick einen seiner Lieblingssprüche gebracht:
„Sagt der Scheich zum Emir: Etz
zahl'n mir und dann geh mir.“
Und ich hätte ihm
geantwortet:
„Sagt der Emir zu dem Scheich:
Zahl' mer gar net, geh' ma gleich.“
www.tangofish.de |
Der Verfasserin herzlichen Dank!
Das T-Shirt stammt übrigens aus Manuelas Kollektion. Die Idee entstand durch die Frage einer nahestehenden Person an sie, als sie in einem ähnlichen Outfit zum Tango fuhr:
"So gehst du zum Tanzen?"
P.S. Als Gemeinschaftsproduktion erscheint dieser Artikel auf beiden Blogs:
http://im-prinzip-tango.blogspot.de/2017/07/meine-tanzografie.html
Das T-Shirt stammt übrigens aus Manuelas Kollektion. Die Idee entstand durch die Frage einer nahestehenden Person an sie, als sie in einem ähnlichen Outfit zum Tango fuhr:
"So gehst du zum Tanzen?"
P.S. Als Gemeinschaftsproduktion erscheint dieser Artikel auf beiden Blogs:
http://im-prinzip-tango.blogspot.de/2017/07/meine-tanzografie.html
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