Stets auf, der Hut!
Ein
Aluminium-Folienhut, kurz Aluhut, ist eine Kopfbedeckung, die aus einer oder
mehreren Lagen Alufolie oder vergleichbarem Material hergestellt ist. Das
Konzept wurde zuerst in der 1927 veröffentlichten Science-Fiction-Geschichte „The
Tissue-Culture King“ von Julian Huxley erwähnt. Darin entdeckt der Protagonist,
dass Kappen aus Metallfolie benutzt werden können, um die Effekte von
Telepathie zu blockieren. Obwohl es einzelne Sichtungen gibt, wird der Begriff
Aluhut oder Aluhutträger metaphorisch verwendet, um Anhänger von
Verschwörungstheorien, generell paranoide oder einfach nur sehr anstrengende
Menschen zu bezeichnen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Aluhuto: |
Foto: www.tangofish.de |
Der
Begriff „Aluhut“ war mir bislang
völlig unbekannt. Den Tipp erhielt ich (mal wieder) von Manuela Bößel, die kürzlich einen viel beachteten Beitrag über
Homöopathie sowie die Verschwörungstheorien verfasste, welche auf Skeptiker
(sprich: „Ungläubige“) der Globuli-Schluckerei niedergehen. Bekanntlich sind
die alle „von der Pharmaindustrie gekauft“:
Den abgebildeten Aluhut hat sie mir gebastelt. Vielen Dank!
Der
Biologe, Philosoph und Autor Julian
Huxley, der Bruder des berühmten Aldous
Huxley („Brave New World“), war übrigens alles andere als ein Spinner:
Unter anderem legte er die Grundlagen der Verhaltensbiologie sowie Eugenik und
war der erste Generalsekretär der UNESCO. Aber er schrieb halt auch die obige,
folgenschwere Geschichte.
Zwar
ähnelt eine Alufolie auf der Birne einem Faradayschen
Käfig und kann so elektrische Felder und Radiowellen abschwächen, der
weitere daran geknüpfte Humbug allerdings ist nicht von dieser Welt. Daher
fasste der New York Times-Autor Tobin
Harshaw die Gruppe der halbwegs rational
denkenden Menschen als diejenigen zusammen, die keinen Aluhut tragen. Das Sprachbild braucht dabei nicht auf
Personen festgelegt zu sein. Auch einzelne Argumente einer längeren
Argumentationskette werden als „sehr aluhut-artig“ bezeichnet.
An
dieser Stelle ergriff mich doch die Parallele zur heutigen Tangoszene,
insbesondere zu einer Person, welche mich nun schon seit Tagen mit
abenteuerlichen Deduktionsketten als tänzerisch völlig unfähig hinzustellen
versucht. Und das geht so weiter und weiter…
2015
wurde in Berlin erstmals der „Goldene
Aluhut“ für besonders wirre Vertreter und Profiteure von
Verschwörungstheorien und Pseudo-Wissenschaft verliehen. Zu den Preisträgern
gehörten Xavier Naidoo, der Kopp-Verlag (Herausgeber reißerischer
Weltuntergangsschinken), die Kampagne „Impfen
– nein danke“ und das Esoterik-Unternehmen Wrage GmbH mit seinem Seminar „Heilarbeit
mit der Lichtenergie der Einhörner".
Leider
sind solche Spinnereien nicht so harmlos, wie es scheinen könnte: Nazi-Nostalgie,
Rechtspopulismus und Nähe zur „Reichsbürger-Bewegung“ sind in vielen Fällen mit
dabei. Und schließlich glauben nach einer Umfrage bereits 40 Prozent der
Bundesbürger, die Medien in Deutschland würden „von ganz oben gesteuert".
Eine
vor allem durch seine YouTube-Videos bekannt gewordene Szene-Größe war der Geologe Dr. Axel Stoll.
Bei seinen „Neuschwabenland-Treffen“ verbreitete er die krude Mixtur einer
angeblich „neuen Physik“, fantastischen Geschichten über die angebliche
technologische Überlegenheit der Nazis und der Abstammung der weißen Rasse vom
Planetensystem Aldebaran. Bekanntlich sei man schon in den 30-er Jahren mit „Reichsflugscheiben“
durchs All gedüst, und zum Kontakt mit den Außerirdischen reiche als Sender und
Empfänger bereits langes Frauenhaar.
Näheres dazu:
https://www.youtube.com/watch?v=V3HIXBaAVoc
Die Psychologen Alexander
Waschkau und Sebastian Bartoschek
führten ein langes Interview mit Stoll.
Ergebnis: Psychisch krank sei er wohl nicht. „Allerdings erfüllt er
die Kriterien einer ehemals relevanten Störung: der Pseudologie. (…) Es ist das
quasi zwangshafte Lügen und Verdrehen der Realität zur Aufwertung der eigenen
Person.“ Der
Pankower verlor offenbar nach der Wende seinen staatlichen Arbeitsplatz und
schlug sich als Versicherungsvertreter und Verlagsgründer durch: „Stoll hat schon einige Brüche in seiner
Biografie, die durch den Wechsel von der Diktatur zur Demokratie entstanden
sind. In solchen Umbruchssituationen fühlen sich ja oft Menschen als Verlierer,
und suchen nach neuen Sicherheiten – und finden sie mitunter in seltsamen
Überzeugungen.“
Das
Erfolgsrezept solcher Propheten ist
für mich der völlige Verzicht auf
Relativierungen: Unbewiesene Behauptungen werden als zweifellos richtig dargestellt
und bieten sodann die Basis für immer abenteuerlichere Schlussfolgerungen – und
das alles wird mit einer Verve herausgehauen, die einen schwindlig macht.
Zwischen „vollkommen wahr“ und „totaler Quatsch“ gibt es da nichts: „Muss man wissen“ oder „weiß ja heute kaum einer“ sind die
Lieblingsphrasen des Protagonisten.
Ich
habe es bereits in meiner Kritik zu Michael Lavocahs Tangobuch anklingen lassen: Man muss halt glauben, dass die „EdO“
genau 1935 (oder doch 1938?) begann und 1955 endete – oder es exakt vier „gran
orquestas“ dieser Epoche gab. Beweisen lässt sich das ebenso wenig wie das
Bekenntnis des Dr. Stoll:
„Der Mensch ist eine energetische Matrix. Laut Einheitlicher Feldthorie
bestehend aus? Wer weiß das? Wieder keiner? Elektrische Energie, magnetische
Energie, informetrische Energie, gravimetrische Energie.“
D’Arienzo, Di Sarli,
Troilo, Pugliese – muss man wissen.
Da
passt einiges zusammen…
Und
bekanntlich ist moderne Tangomusik „untanzbar“, ist deren traditionelle
Variante in Tandas zu je drei bis vier Stücken des gleichen Orchesters in
derselben Schaffensperiode darzubieten – und, was ich auch schon von einem
Veranstalter gehört habe: Der Abstand zwischen den einzelnen Musikstücken habe
genau sechs Sekunden zu betragen – nicht etwa ungefähr…
Und
wer wäre – selbst zu den Tanzstundenzeiten der moralpusseligen 50-er Jahre –
auf die Idee gekommen, ein Diener plus dem Satz „Darf ich bitten?“ grenze an
sexuelle Nötigung? Seit zirka zehn Jahren gilt dies nun in einer bestimmten Tangopopulation als absolut und
unverbrüchlich wahr.
Völlig
„unsexy“ dagegen wäre es zu betonen, das alles möge man persönlich so am liebsten (oder manche glaubten halt lediglich, die Erde sei hohl
und werde im Inneren von diversen menschlichen Zivilisationen bewohnt wie im
Fall des Dr. Stoll). Da würde das Leuchten in den Augen der Anhängerschaft
deutlich gedimmt… Nein, das alles ist absolut
so – und wer’s nicht glaubt, ist halt mangels Aluhut durch telepathische
Strahlen manipuliert!
Übrigens hätte ich auch als Zauberer viel höhere Honorare erhalten, wenn ich mich als tatsächlich „magisch-übernatürlich begabt" verkauft hätte...
Übrigens hätte ich auch als Zauberer viel höhere Honorare erhalten, wenn ich mich als tatsächlich „magisch-übernatürlich begabt" verkauft hätte...
Was
meine Gegner mir am meisten verübeln, ist offenbar meine Weigerung, mich als „Experte“
zu bezeichnen und im Gegenteil immer wieder zu betonen, lediglich meine
persönliche Sichtweise zum Nachdenken anzubieten. Dies ist dann immer der
Moment, an dem Gurus ganze Schimpfkanonaden gegen mich ablassen, so wie in der
aktuellen Debatte – und selbstverständlich alles ausgraben, was sich scheinbar
gegen mich verwenden lässt.
Das
Kantsche „sapere aude“ – also der
Appell zur Eigenhirnnutzung – ist irgendwie unmodern geworden. Daher nochmal:
Wer beim Tango nach eigener, begründeter Überzeugung das ganze Código-Regelwerk
möchte, dem sei es unbenommen. Wer dagegen nur gläubig irgendwelche Gesetzlein
nachbetet oder fürchtet, durch deren Nichtbeachtung der sozialen Ausgrenzung
anheimzufallen, wird sich weiterhin über meine Satire ärgern müssen.
Zum Schutz kann er sich ja einen Aluhut aufsetzen – so wie ich gestern. Und… ich hatte schon das Gefühl, dass es was bringt, irgendwie wird man ruhiger. Ich bin ja nicht abergläubisch – aber angeblich hilft es ja auch, wenn man nicht dran glaubt!
P.S.
Wer sich selber einen Aluhut bauen möchte:
https://praxistipps.focus.de/aluhut-selber-basteln-so-klappts_58535
https://praxistipps.focus.de/aluhut-selber-basteln-so-klappts_58535
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