Gemein gemeint?
„Tua res agitur.“
(„Es
geht um deine Sache.“)
(nach
Horaz; 65-8 v. Chr.)
Obwohl
man mir immer wieder diesen Vorwurf macht, bildet die Kritik an realen, namentlich genannten Personen auf diesem Blog
eher die Ausnahme – und je negativer meine Wertung ausfällt, desto genauer
überlege ich mir, ob die direkte Nennung wirklich nötig ist.
Allerdings
sind dem Grenzen gesetzt: Um nicht des „unkorrekten Zitierens“ geziehen zu werden,
möchte ich meine Quellen (ob nun
Texte oder YouTube-Videos) offenbaren – und da steht halt oft der Name.
Andererseits: Ich bin ja nicht schuld, wenn jemand angreifbare Dinge ins
Internet stellt…
Weiterhin
lässt es sich nicht ganz vermeiden, dass mein persönliches Umfeld manchmal ahnt (oder sogar ganz genau sieht),
wer oder was gemeint ist: Wer weiß, welche Milongas ich besucht habe, ja
sogar die eine oder andere private Bemerkung von mir gehört hat, dem ist
natürlich das persönliche Ziel mancher meiner Anmerkungen klar.
Ich
gestehe, dass ich in solchen Fällen gelegentlich ins Schwitzen kam: Würden
derart „gemeinte“ Leute sich ärgern, mir gar böse Antworten zukommen lassen?
Dies ist jedoch so gut wie nie der Fall – schlimmer noch: Öfters schon erhielt
ich von genau diesen Personen viel
Lob, ja begeisterte Reaktionen auf einen Artikel, in dem ihr Handeln ziemlich
negativ bewertet wurde!
Es
scheint hier einen sehr interessanten Verdrängungsmechanismus
zu geben: Lesen oder hören wir unfreundliche Einschätzungen unseres Tuns, so
blendet das hauseigene Hirn offenbar solche Sinneseindrücke aus: Man nimmt also
alles Erfreuliche zur Kenntnis, den Rest nicht. Ich meine, dies betrifft vor
allem Menschen, denen es an Selbstsicherheit
gebricht: Sie nehmen vorsichtshalber nur das Positive wahr – alles andere würde
sie in schwerste Krisen stürzen.
„Mach es wie die
Sonnenuhr – zähl die heit‘ren Stunden nur“ (oder für uns Intellektuelle das
lateinische Original „Horas non numero
nisi serenas") schont selbstredend unser Nervenkostüm, hat jedoch evolutionsbiologisch den Nachteil, dass
wir zwar den bunten Schmetterling sehen, nicht jedoch den Säbelzahntiger daneben…
Um
die Frage vorwegzunehmen, ob ich nicht lieber mit solchen Personen sprechen als sie in einem Text kritisieren sollte:
Das tue ich selbstverständlich in manchen Fällen – jedoch mit noch weniger Erfolg. Die Reaktion ist
meist genau jener Selbstschutz: Wie ich überhaupt darauf käme – das habe man
nie so gesagt oder getan! Erschwerend kommt dann hinzu, dass ihr Großhirn die
Tatsache einer negativen Einschätzung nun nicht mehr ausblenden kann: Also ist
man mir zum Dank für meine Offenheit endgültig beleidigt…
Personen,
welche im Tango etwas verkaufen (ob
nun Milonga-Eintrittskarten, Tanzschritte oder modisches Schuhwerk) reagieren
öffentlich so gut wie nie auf meine Texte, ob sie nun namentlich genannt sind
oder nicht. Gelegentlich erhalte ich Mails mit entsprechenden Rechtfertigungen,
welche ich sofort und ausführlich beantworte. Ein längerer Dialog ergibt sich hieraus
nie – und schon gar nicht so, dass alle mitlesen können. Klar, dies würde die offizielle „Parteilinie“ beeinträchtigen,
nach der man ausschließlich begeisterte Gäste, Schüler oder Schuhkäufer hat –
und sich bekanntlich alle im Tango rückhaltlos lieb haben. Also lieber totschweigen! Das Problem bleibt
allerdings, dass ich immer noch lebe…
Ein
weiterer, noch verrückterer Effekt fasziniert mich umso mehr: Menschen, die ich definitiv nicht meine,
fühlen sich getroffen. Warum? Offenbar aus Angst,
es könne so sein! Hintergrund scheint mir ein noch geringeres Selbstvertrauen
als im anderen Fall zu sein.
Erst
kürzlich schrieb (in unserer geschlossenen FB-Gruppe) ein Tänzer, dessen entsprechende Fähigkeiten ich überhaupt nicht kenne
und daher in keinster Weise kritisieren wollte, von meinem „Dauerfeuer auf die große Tangogemeinde“ und legte kurz darauf noch nach: „Du prügelst doch mit Ausnahme deiner Wohnzimmermilonga Jünger auf
alles ein, was hier nicht deiner verqueren Meinung vom Tango entspricht.“
Meinen Tanzstil (im
Video des vorigen Artikels) kritisierte er wie folgt: „Erst dachte ich an einen schlecht programmierten Roboter, dann
erkannte ich doch noch, in den Hosenbeienen steckt ein Mensch, der staccatohaft
fast exakt den vorgegebenen Takt in den Boden nagelt, ohne zu tanzen und ohne
Rücksichtnahme auf sein Gegenüber, mit schlechter Körperhaltung und fehlendem
Gespür für die Musik.“
Auch eine Verheißung
hatte er für mich parat: „Ich filme mich
nicht beim Tangotanzen, heute Abend werd ich eine Ausnahme machen und dir dann
morgen zeigen, wie s geht. Guck dir das Video einfach mehrmals an und versuche
mich nachzumachen, dann klappt s auch bei dir vielleicht noch mit dem
Tangotanzen.“
Bislang steht dieses Video
noch aus – und ich glaube auch nicht, dass es je kommen wird…
(Oder jemand glaubt, ein „Silberrücken“
müsse unbedingt ein Affe sein – und im Zweifel speziell er selber!)
Welcher
psychologische Mechanismus steckt
hier dahinter? Ich veröffentlichte unseren Tanz ja nur, weil eine andere Person
behauptet hatte, ich könne ein Tangostück wie dieses musikalisch nicht
interpretieren. Also wollte ich das Gegenteil beweisen – und nicht, dass ich
über eine enorme Tanztechnik oder sonstige professionelle Fähigkeiten dieser
Art verfüge. Was las der Kollege in
meiner Ankündigung? „Jetzt zeig ich dir
mal, dass ich viel besser tanze als du – und der Rest der Tangoszene.“ Genau
hierauf passen nämlich seine Antworten!
Und
wenn im Tango ich auf praktisch „alle einprügle“, bin ich natürlich ein einzelner Abweichler, welcher gegen den
Rest null Chancen hat. Auch solche sozialen Ausgrenzungs-Argumente lese ich seit
Jahren in unzähligen Varianten. Übersetzt: „Allein
fühle ich mich dir zwar unterlegen, aber zum Glück sind ja alle gegen dich,
also werden wir gewinnen.“
Mit
den Tatsachen hat dies alles somit
kaum etwas zu tun, sondern eher mit Verdrängungsmechanismen und Angstkomplexen.
Hinsichtlich des „Dauerfeuers auf die
große Tangogemeinde“ habe ich mir einmal meine letzten zehn Artikel
angesehen:
Einladung zur Wohnzimmer-Milonga (20.6.17):
Kann ich nichts davon entdecken…
Der Versuch ist
strafbar
(21.6.17):
Besprechung
des Blogartikels eines anderen Autors, in dem es um den psychologischen
Mechanismus des „Wollens“ geht. Keine Spur des vorgeworfenen Tuns!
Umme Engarmung (25.6.17):
Warnung
vor dem Marketing-Phänomen der „engen Umarmung“ – nun gut, da könnte sich ein
größerer Teil der Szene angesprochen fühlen. Einbeziehung der Mail einer
Tänzerin an mich. Allerdings fehlt komplett ein „Niedermachen“ von Tanzenden,
welche diesen Stil pflegen – im Gegenteil: So tanzen diese Dame und ich ja
öfters auch!
Smile (27.6.17):
Sehr
persönlicher Beitrag, in dem es um „Absagen“ und ähnliche „soziale
Verhaltensweisen“ geht – und um die Frage, wie egoistisch es ist, sich um das
eigene Glück zu kümmern. Kaum ein Bezug zum obigen Vorwurf!
Umme Engarmung II (29.6.17):
Zitate
einiger sehr scharfer Reaktionen größtenteils anonymer Kommentatoren auf den
obigen Artikel inklusive meiner Anmerkungen dazu. Von einem Angriff auf „weite
Teile der Tangoszene“ keine Rede!
Der Spruch des Monats
(30.6.17):
Zitat
des Spruches einer einzelnen, anonymen Person – plus bildlicher Aussage, dass
dies lächerlich sei.
Der Rezensor hat
gesprochen
(3.7.17):
längeres
Zitat des Textes dieser Person plus zweier eher informativer Anmerkungen dazu
Nahfeld-Mirada und Cabeceo-Stalking (5.7.17):
Weiteres
ausführliches Zitat der Anmerkungen dieses Kritikers plus satirische
Anmerkungen meinerseits – keinerlei Angriffe auf andere
Stets auf, der Hut! (6.7.17):
Objekt
dieser Satire war die Szene der Verschwörungstheoretiker und
Pseudowissenschaftler. In Andeutungen Parallelen zur Tangoszene – die Mehrheit
dort ist jedoch hoffentlich anders gestrickt!
Gerhards Tanz für
Cassiel
(7.7.17):
Im
Wesentlichen ein Video, in dem ich einen traditionellen Tango tanze.
Lustigerweise hat dieser Beitrag bei Weitem die meiste Kritik ausgelöst!
Fazit:
Zwischen
den Gemeinten und denen, die sich gemeint fühlen, liegen Lichtjahre. Die Psychostrukturen, welche dies bewirken,
kann man mit Tatsachen nicht durchbrechen. Oft schon habe ich kraftwortstarke
Kritiker zu einer sachlichen Diskussion (z.B. mit Zitaten aus meinen Texten)
aufgefordert. Dies ist das sicherste Mittel, einen Gedankenaustausch zu beenden!
Aber
weil ich es gerade mit den Lateinern habe: Vielleicht hilft hierbei ja
gelegentlich und in homöopathischem Maß die (übersetzte) Inschrift am
Apollotempel des Heiligtums von Delphi:
Nosce te ipsum!
(Erkenne dich selbst!)
Ich lese deinen Blog sehr gerne und finde, dass etwas Anecken durchaus die Würze ausmacht/ Denkanstöße für jederman gibt.
AntwortenLöschenWeiter so 😊
Lieber Josi, vielen Dank!
LöschenIch bitte allerdings bei weiteren Beiträgen um den vollen Namen - siehe Kommentarhinweise!