Der Rezensor hat gesprochen



Irgendwie muss sich mein Kollege Cassiel gerade furchtbar ärgern – kann ich gar nicht verstehen – er ist doch sonst so gegen „unentspanntes Verhalten“ beim Tango…

Auf jeden Fall bemüht er sich nun heftig, anhand eines Tanzvideos von mir zu beweisen, dass ich’s nun wirklich nicht kann und mir daher meine Tanzpartnerinnen unter Umgehung des Cabeceo ausschließlich durch direkte Nötigung holen muss. Den folgenden Text veröffentlichte er gerade auf dem Forum „tanzmitmir“:
(Anm.: Dieses Forum gibt es schon lange nicht mehr.)

Gerhard Riedl zog es vor, einen Satz aus meinem letzten Beitrag zu isolieren und ihn in einem neuen Beitrag (Spruch des Monats) in einer Koproduktion mit seiner Grafikerin und Tanzpartnerin in seinem Blog zu veröffentlichen. Auf eine sachliche Antwort in dieser Diskussion wartet man vergeblich.

Nachdem aber Gerhard als Initiator dieser Diskussion inhaltlich etliche Antworten schuldig geblieben ist, sollte man vielleicht einmal das tun, was er in seinem ursprünglichen Artikel getan hat: Ein Video verlinken und dieses dann besprechen. In seinem Urspungsbeitrag kanzelt Gerhard das Lehrvideo von Sebastian Arce and Mariana Montes kurzerhand als „Sabbel-Marathon“ ab. Nun kann man die Beiden mögen oder auch nicht. Ich finde das zu kurz gedacht. Gerhard kritisiert in seinem ursprünglichen Arikel und in einem Folgeartikel die geschlosse Umarmung. Dabei wird er nicht müde zu betonen, die Anhänger der geschlossenen Umarmung würden diese als „höchste Stufe tangomäßiger Vollendung preisen“, sie würden gleichsam die Umarmung wahlweise als „ideologische Abgrenzung“ bzw. als „Heilslehre“ instrumentalisieren. Belege hierfür bleibt er schuldig.

Ich denke, es ist das Beste, wenn wir uns das von Gerhard bereits vor einiger Zeit veröffentlichte Tanzvideo des Autors anschauen und einmal seine „Umarmung“ analysieren. Vielleicht ermöglicht ein genauerer Blick ein besseres Verständnis für Gerhards Motivation, gegen die geschlossene Umarmung anzuschreiben. Was präsentiert uns Gerhard da als „Umarmung“? Seine Partnerin steht fast durchgängig mit mindestens einer halben Körperbreite Versatz in starker V-Form vor ihm. Ihr Sternum befindet sich also gegenüber dem unteren äußeren rechten Rippenbogen von Gerhard. Diese „Umarmung“ schränkt natürlich stark ein (und zwar viel stärker als die geschlossene Umarmung). Ein Gehen im Paar auf zwei Spuren ist faktisch unmöglich. Das geht biomechanisch überhaupt nicht. Was möglich ist, ist ein Gehen auf drei Spuren im gekreuzten System (das wird sogar vergleichsweise einfach) und beim Gehen auf vier Spuren (er geht links an ihr vorbei) wird es wiederum zu Problemen kommen, weil – bedingt durch die starke V-Form – ein lineares Gehen beinahe unmöglich wird. Und vom Gehen auf drei oder vier Spuren rechts an ihr vorbei wollen wir jetzt gar nicht reden. Das geht so überhaupt nicht.

Bei der Suche nach den Ursachen fällt auf, dass Gerhard fast durchgängig während des Tanzens leicht in die Knie geht. Das hängt sicherlich mit seiner Körpergröße bzw. dem Größenunterschied zu seiner Partnerin zusammen. Wenn man aber in die Knie geht, dann raubt man den Füßen den Platz, sich zu bewegen. Das ist m.E. der tiefere Grund für den Versatz in der Umarmung und die starke V-Form.

Jetzt ergeben sich in der Folge m.E. gravierende Konsequenzen für den gemeinsamen Tanz. Eine solche Verbindung im Paar verhindert nach meiner Einschätzung, dass sich ein Paar linear quasi „in einer Spur“ bewegen kann. Damit wird das Tanzen in der Ronda schwierig bis unmöglich. Deshalb ist es nur natürlich, dass Gerhard in der Vergangenheit regelmäßig gegen die Ronda gewettert hat. Es kann nämlich höchstwahrscheinlich aufgrund seiner besonderen Form der „Umarmung“ nicht teilnehmen.

Mir ist auch rätselhaft, wie man in einer derartig gestalteten „Umarmung“ eine Führung mit dem Oberkörper vermitteln will. Das geht nach meiner Einschätzung gar nicht. Damit ist ein akzentuiertes Tanzen (inkl. Pausen, Stopps, Synkopen, OffBeats usw.) unmöglich. Ich wage zu behaupten, dass man in einer solchen „Umarmung“ keinen Tango z.B. von Biagi musikalisch interpretieren kann. Man ist – bis auf wenige Ausnahmen (z.B. die Hebefiguren, für die man eigentlich keine musikalische Entsprechung sehen kann) – auf einen recht regelmäßigen Rhythmus angewiesen, es fehlen die Kommunikations- bzw. Führungskanäle im Oberkörper. In der Folge ergibt sich, dass man die traditionelle und komplexe Tangomusik der 30er und 40er Jahre auch ablehnen muss. Das hat ja nun Gerhard in der Vergangenheit ebenfalls mehrfach kundgetan.
 
Anmerkung: Wir haben dann per Video zu besagtem Biagi-Titel getanzt:
 

https://www.youtube.com/watch?v=gWMf_1AXvvw

Und schließlich gibt es Milongas, da wird man mit einer derart „speziellen“ Tanztechnik gewaltige Probleme bekommen, eine Tanguera mittels Mirada und Cabeceo zu einer gemeinsamen Tanda einzuladen. Die Technik von Gerhard beansprucht derartig viel Raum, dass es in einer vollen Milonga unmöglich wird, mit ihm zu tanzen (und ich rede hier noch nicht einmal von den Figuren, in denen die Tanguera aus ihrer Achse gehoben wird). Deswegen vermute ich dass ein Großteil der Damen seinem Blick ausweichen wird. Aus diesem Grund muss Gerhard beinahe zwangsläufig gegen Mirada und Cabeceo sein; er wird nämlich in der traditionellen Milonga nach meiner Einschätzung massive Schwierigkeiten haben, eine Tanzpartnerin (jenseits seiner Bekannten) zu finden. Deshalb ist es logisch konsequent, dass Gerhard regelmäßig gegen die Verabredung zur gemeinsamen Tanda per Mirada und Cabeceo anschreibt.

Ich habe jetzt ein wenig bei Youtube gesucht um ein Video zu finden, in dem ein großer Tanguero mit einer deutlich keineren Tangueara in einer besseren Umarmung tanzt (ohne angewinkelte Knie). Fündig wurde ich bei Gustavo und Maria. So kann sich ein Tanguero jenseits der 1,90 mit einer deutlich kleineren Tanzpartnerin auch bewegen.

So, und um nun Missverständnisse vorzubeugen: Niemand wird von Gerhard Riedl erwarten, dass er Tango wie ein Profi tanzt. Man darf allerdings von dem Autor eines Tangobuchs und Blogger erwarten, dass er sich zumindest ernsthaft mit dem Tango auseinandersetzt, der von großen Teilen der Tangotanzenden praktiziert wird. Er darf ja selbst tanzen wie er will, auch das ist Teil der Subkultur Tango. Wenn er aber – wie er selbst schreibt – seit zig Jahren keinen Unterricht mehr genommen hat (wohl weil es seines Erachtens keine guten Tangolehrer gibt), dann sollte er sich überlegen, ob es nur an nicht geeigneten Lehrern liegt, oder die Gründe für seine hartnäckige Weigerung Unterricht zu nehmen, nicht doch bei ihm liegen. Jedenfalls sieht man m.E. in dem Video sehr genau, warum er den Tango, gegen den er so heftig polemisiert, offensichtlich so nicht tanzen kann.

Und um die Frage vorweg zu beantworten: Auch ich habe noch immer erheblich Baustellen in meinem eigenen Tango. Deswegen gibt es aber auch von mir kein Video von einem solistischen Tango, das ich dann noch veröffentliche und ich schreibe nicht von einem „Sabbel-Marathon“ über ein Lehrvideo mit Erläuterungen zur Umarmung bei Youtube. Man muss nicht alle Ausführungen von Sebastian Arce and Mariana Montes teilen, aber sie haben sich zumindest grundsätzlich Gedanken zur Haltung und Umarmung gemacht, damit wird es bewusster und wabert nicht in irgendeiner Beliebigkeit herum. Ich finde das sieht man auch.

Nix für ungut …

Ach, i wo... Im Gegenteil bedanke mich sehr herzlich dafür, dass sich der Autor nun zunehmend selber um Kopf und Kragen redet, anstatt mir diese harte Arbeit aufzuhalsen!

Daher nur zwei informative Anmerkungen:

Das Video entstand damals in den 30 Minuten vor unserer „Wohnzimmer-Milonga“. Es gab zwei Takes, von denen wir den ersten ungeschnitten übernahmen. Eigentlich wollten wir dabei nur unsere Füße zeigen (um uns nicht dem Vorwurf der „Eitelkeit“ auszusetzen), was der Videofilmer aber leider nicht kapierte. Als wir dann nach einigen Wochen das Resultat sahen, war es nicht mehr zu ändern. Dass bei dieser Produktion auf „YouTube“ die Kommentarfunktion gesperrt ist, liegt übrigens weder an Manuela noch an mir, sondern an einer anderen Mitwirkenden, deren entsprechenden Wunsch wir respektieren mussten.
Für Cassiel daher eine Anregung: Sollte er sich dereinst entschließen, doch auch ein Tanzvideo von sich zu veröffentlichen, dann zur Wahrung der Pseudonymität ausschließlich die Füße! 

Und dass ich auch kleinräumig tanzen und per Cabeceo auffordern kann, habe ich doch ebenso mit einem Video (zur selben Musik!) bewiesen:
https://www.youtube.com/watch?v=GbSEuNbnWlE
 
Mehrfach bezeichnete ich Sebastián Arce und Mariana Montes als eines der besten Profitanzpaare im Tango. Leider haben sie sich inzwischen dem Trend zum „Zeitlupentango“ angepasst. Dass ich jenes Lehrvideo von ihnen für völlig daneben halte, steht auf einem anderen Blatt. Aber die beiden können es richtig gut – insbesondere, wenn man sich frühere Auftritte wie den folgenden ansieht. Ob dieses dynamische Tanzen allerdings Herrn Cassiel gefallen würde, bezweifle ich:

https://www.youtube.com/watch?v=2u5Q5vrZPnc

P.S. „Wenn man aber in die Knie geht, dann raubt man den Füßen den Platz, sich zu bewegen.“ Ich hab vorhin versucht, das unserer Katze zu erklären: Sie hat es nicht verstanden.
 
 

Kommentare

  1. Markus Betz, WI3. Juli 2017 um 15:47

    Hihi, Satire funktioniert halt doch ;-)

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  2. Soweit ich weiss ist das hier auch Arce/Montes...langsam aber voller Energie und Eleganz...probier das mal, Cassiel. https://m.youtube.com/watch?v=iYXtBG1u_HY

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    1. Dankeschön, tolles Video! 2007, die guten alten Zeiten, wo man für Tangofestivals noch mit „Paris Texas“ von Gotan Project warb…
      Laut Abspann tanzen allerdings Barbara Campino und Claudio Fonte.
      Und Cassiel kann das gar nicht probieren, da es sich definitionsgemäß um „untanzbare Musik“ handelt…

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    2. uiii...
      Aus Sicht der Frau finde ich es am interessantesten, dass hier das Bikini-Oberteil immer schön am Platz bleibt :-) :-)
      Ob das wohl was mit der Umarmung zu tun hat? (LoL)

      Ich würde mal sagen, erschwerte Bedingungen für den Führenden - RESPEKT!

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    3. Wo Du wieder hinschaust... Ist mir noch gar nicht aufgefallen, ehrlich!

      Wenn ich mich richtig erinnere, hatte ich im ersten Milonga-Führer mal den männlichen Tänzertypus des "einhändigen Häkchenöffners" beschrieben...

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  3. Oje. Schlamperei. Ich dachte noch, na, keine Namen, okay...Aber wer kommt denn auch auf sowas, im Abspann...Aber es gibt tatsächlich eine Paris, Texas Version von Montes/Arce, sogar auch aus 2007: https://youtu.be/2gs2sI52T_Y

    Wobei ich finde, der Eyecandy- Faktor ist bei Campino/Fonte noch größer. Und ich denke auch, sowas auf Stein durchzuziehen ist nochmal extra beeindruckend.

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    1. Auf den Abspann kommt man am einfachsten, wenn man ein Video bis zum Schluss anschaut...

      Ich finde auch, der Tanz von Campino/Fonte strahlt mehr aus - und als Urlaubswerbung ist das Ganze sowieso genial.

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  4. Nachtrag: Carpino/Forte. Hab für den Text faulerweise die Namen aus dem Kommentar übernommen. Als ich beim Nochmal Googeln aber dann nur Tote Hose(n) hatte, hab ichs dann doch nochmal gecheckt.

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  5. "P.S. „Wenn man aber in die Knie geht, dann raubt man den Füßen den Platz, sich zu bewegen.“ Ich hab vorhin versucht, das unserer Katze zu erklären: Sie hat es nicht verstanden""

    Den Satz habe ich auch nicht verstanden. Um den Füßen den Bewegungsspielraum zu nehmen, müsste man schon so weit in die Knie gehen, dass der Po fast am Boden ist...so tanzt aber ja niemand.
    Das Einzige was man bei (immer) gebeugten Knien bemängeln kann, ist, dass es nicht sonderlich elegant aussieht. Aber solange es nicht auf einer Bühne zu sehen ist, wen interessiert 's. Dem Tanzgenuss nimmt es jedenfalls nichts. Und die haltungsbedingten körperlichen, eventuell auch schmerzhaften Probleme sind persönlich, also nicht mein Problem.
    Da tut mir beim Zuschauen bei vielen anderen Tänzern und Tänzerinnen mehr weh. Stichwort Hohlkreuz.

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    1. Die Knie sind ja nur leicht gebeugt. Wären die Beine völlig gestreckt, sähen die Bewegungen ziemlich abgehackt aus - nicht schön.

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    2. Gesund wäre das für die Knie auch nicht und außerdem blockiert man damit die Hüfte

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