Gerlinde übt jetzt Tango



Bekanntlich achtet man im traditionellen Tango streng darauf, dass die ausgewählte Musik ja nicht zu schwülstig, dynamisch oder gar sinnlich daherkommt. So legt man, wenn überhaupt, von sehr gefühlvollen Tangos stets die bravste Version auf.

Ein Problem, dem man sich allerdings dringend einmal stellen müsste, sind die Texte. Es hilft ja nichts, wenn das EdO-Orchester wunderbar dramatische Titel in einen konstant dudelden (und damit „tanzbaren“) Vierviertelrhythmus zwingt und der Sänger in ja nicht abweichender Metrik dazu seinen Text knödelt – genau der enthält ja meist Aussagen, welche alles andere als nett und spießig sind: Da wird von Armut, Verzweiflung, Eifersucht, Mord und Totschlag erzählt, dass es eine wahre Freude ist!

Somit eröffnet sich die große Aufgabe, die Worte der Tangos der heutigen, konservativen Szene anzupassen.

Im Bewusstsein meiner Gesamtverantwortung habe ich nun den ersten Schritt dazu getan und den allseits bekannten Tango „Malena“ (von Lucio Demare und Homero Manzi) aus dem Jahr 1942 (also sowas von EdO) bearbeitet.

Zum Hintergrund:

Die „Malena“ des Stückes hieß in Wirklichkeit Elena Tortolero und machte unter dem Namen „Helena de Toledo“ in Brasilien Karriere als Unterhaltungssängerin. Neben anderen Genres nahm sie auch Tango in ihr Repertoire auf. Auf einer Reise hörte Homero Manzi sie in einem Nachtclub und war so fasziniert von ihrer Ausstrahlung, dass er umgehend den Text verfasste und ihn an den Komponisten Lucio Demare schickte. Das fertige Produkt erhielt dann der Orchesterchef Aníbal Troilo, der das Stück zur Karnevalssaison (gesungen von Francisco Fiorentino) herausbrachte. Angeblich erfuhr Elena Tortolero von ihrer Beziehung zu dem Titel, machte davon aber nie werbungsmäßig Gebrauch.


Zunächst nun der Originaltext:   

Malena canta el tango como ninguna                  
y en cada verso pone su corazon.                         
A yuyo del suburbio su voz perfuma,                   
Malena tiene pena de bandoneon.

Tal vez, alla en la infancia, su voz de alondra    
tomo ese tono oscuro del callejon,                     
o acaso aquel romance que solo nombra          
cuando se pone triste con el alcohol.
                
Malena canta el tango con voz de sombra;
Malena tiene pena de bandoneón.
                   
Tu cancion
tiene el frio del ultimo encuentro,
tu cancion
se hace amarga en la sal del recuerdo.

Yo no se                                                                  
si tu voz es la flor de una pena,
solo se que al rumor de tus tangos, Malena,
te siento mas buena,
mas buena que yo.
                                                
Tus ojos son oscuros como el olvido,               
tus labios, apretados como el rencor,
tus manos, dos palomas que sienten frio,
tus venas tienen sangre de bandoneon.

Tus tangos son criaturas abandonadas
que cruzan sobre el barro del callejon,
cuando todas las puertas estan cerradas
y ladran los fantasmas de la cancion.

Malena canta el tango con voz quebrada;
Malena tiene pena de bandoneon.

Nun die von mir bearbeitete deutsche Übersetzung (wegen der Metrik mit einigen kleinen „dichterischen Freiheiten“):

Malena singt den Tango wie keine andere,
in jeden Vers legt sie ihr Herz hinein.
Nach Unkraut in der Vorstadt duftet ihre Stimme,
Malena hat den Schmerz des Bandoneóns.
  
Vielleicht in ihrer Kindheit nahm ihre Lerchenstimme
den dunklen Ton der Gasse auf einmal an,
oder war es die Romanze, die wir nur hören,
wenn Alkohol sie wieder ganz traurig macht.

Malena singt den Tango mit Schattenstimme,
Malena hat den Schmerz des Bandoneóns.

Dein Gesang
hält die Kälte der letzten Begegnung,
dein Gesang
schmeckt das bittere Salz der Erinn’rung.


Ich weiß nicht,
ist deine Stimme nur Blume des Unglücks,
ich weiß nur, bei dem Klang deiner Tangos, Malena,
fühl ich, du bist besser,
viel besser als ich.

Deine Augen sind so dunkel wie das Vergessen,
deine Lippen eng und hart wie ein Groll.
deine Hände wie zwei Tauben, kalt und frierend,
in deinen Adern fließt das Blut des Bandoneón.

Deine Tangos sind verlass’ne Kreaturen,
kreuzen im Schlamm der Gasse deinen Weg,
wenn alle Türen versperrt dir bleiben,
und die Gespenster bellen in deinem Lied.

Malena singt den Tango in gebroch’nen Tönen,
Malena hat den Schmerz des Bandoneóns.


Es ist demnach klar erkennbar, dass dieser hitzige, exhibitionistische Text rein gar nichts auf einer traditionellen Milonga verloren hat. Daher nun meine für die heutige Tangoszene viel passendere Version:

Gerlinde übt jetzt Tango in der Volkshochschule,
und sie macht nun gar schon den zweiten Kurs.
Nach Seife duften sie, die dort’gen Räume,
bei grellem Neonlicht und Schrammelklang.

Gerlinde wollt schon immer das Tanzen lernen,
doch das mit dem Ballett ging früher schief,
und auch vom blöden Tanzkurs in ihrer alten Schule
erzählt sie nur beim Pegel ab zwei Promille.

Gerlinde übt den Tango mit viel Verspannung,
Gerlinde hat’s im Kreuz, wenn sie es tanzt.

O, dein Tanz
ist ein Aufguss von vielen Figuren,
o, dein Tanz
klappt halt nur, wenn man dich führt zu jedem Schrott.

Ich weiß nicht, ob der Kurs wirklich so einen Sinn macht,
ich weiß nur, beim dem Gestolper deiner Tangos, Gerlinde,
fühlst du dich weit besser,
viel besser als ich.

Deine Augen sind so leer, bist nicht musikalisch,
die Lippen eng und hart so wie ein Groll.
deine Hände wie zwei Tauben, kalt und frierend,
ich kriege einen Herzschlag, wenn du so tanzt.

Deine Tangos sind blutleere Kreaturen,
die dir dein Lehrer hat so beigebracht.
So ist er mit schuld an deinen Tänzen,
ich fürchte leider schon, er hat’s vergeigt.

Gerlinde tanzt den Tango mit viel Gestolper,
ich glaub‘, ich meld mich ab jetzt von diesem Kurs!

Abschließend noch ein Vergleich der historischen Version von „Malena“ mit einer modernen (welche man selbstredend auf deutschen Milongas kaum hört):


Kommentare

  1. Hallo Gerhard,

    wie schön, mit "Malena" beschäftige ich mich auch! Habe ein Version für Klavier und Gesang arrangiert, erst mal zum selber singen, mit deutschem Text. Das ist eine Arbeit, dass die Silben auf die Noten passen. Deine neue Version habe ich diesbezüglich noch nicht getestet, aber sie ist sehr lustig. Singen werde ich aber doch wohl meine. Wahrscheinlich werde ich auch ein Arrangement für Tango Waggong machen. Unsere Sängerin Dorina singt natürlich auf Spanisch.

    Immer, wenn ich mich mit einem Titel intensiver beschäftige, gibt es bei Tango Diavolo eine Tanda dazu: Siehe meine Playlist vom 13. April: http://tango-diavolo.de/Playlisten.html#130416. Wie Du siehst, sind zwei Versionen dabei, auf die Du mich gebracht hast, von Anja Stöhr und von Martin Dausch. Die Version von Silvana Luigi ist auch toll. Hier ein Auftritt:
    https://www.youtube.com/watch?v=s2r3aQ7m3E8

    Grüße von Annette

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    1. Ich bin zuversichtlich, dass die Damen vom "Duo Tango Varieté" demnächst "Malena" in ihr Repertoire aufnehmen - dann natürlich in allen drei Versionen!

      Silvana Luigi: Schöne Stimme - zum Tanzen aber find ich's ein bisschen langweilig.

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  2. Habe mal meine Version von Malena hier hochgeladen:

    http://tango-diavolo.de/Malena.pdf

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    1. Toll, da steckt eine Menge Arbeit drin - Kompliment!

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    2. Hallo Annette , kann ich das schon wo hören ???
      Liebe Grüße aus Wien
      Alessandra

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  3. Alessandra: Mal sehen, wenn ich aus dem Urlaub zurück bin, werde ich das noch mal üben. Wenn es gut genug wird, lade ich vielleicht eine mp3 hoch.

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  4. Hallo,

    beim Üben fällt ja immer noch viel auf, am Arrangement und Layout, daher hier noch mal eine neue Version:
    http://tango-diavolo.de/Malena.pdf.

    Jetzt habe ich auch meinen Lieblingsreim Herz-Schmerz untergebracht.

    Hier eine vorläufige Version zum Anhören, daran müsste ich noch feilen, aber zur Zeit übe ich anderes: http://tango-diavolo.de/Malena.mp3

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    1. Liebe Annette,

      Karin hat den Text beim Üben jetzt auch noch etwas angepasst - habe es im obigen Beitrag korrigiert. "Premiere" wird auf unserer Wohnzimmer-Milonga im September sein.

      Liebe Grüße
      Gerhard

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  5. Ach, zum Thema "neue Texte für bekannte Tangos" fällt mir ein, dass ich mal einen Text zu Desde el alma gemacht habe, der die Szene und die Männer bei Tango Diavolo auf Korn nimmt. Habe ich sogar mal aufgeführt:

    http://tango-diavolo.de/TextGrandeOpera.jpg

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    1. Sehr schön!
      Müssten wir für unsere Verhältnisse allerdings etwas umdichten...

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