Finger weg von den DJs!



Damit für Schnell-Leser die Kernbotschaft gleich zu Beginn verfügbar ist:

Derzeit höre ich in immer kürzeren Abständen von DJs, die man unter Druck setzt, wenn sie nicht ausschließlich EdO-Musik auflegen.
Wenn das jetzt nicht bald aufhört, werde ich richtig sauer!

Und nun weiter für diejenigen, welche auch an Zusammenhängen interessiert sind:

Natürlich ist es Sache des Veranstalters, die Person zu bestimmen, welche das Musikprogramm liefert. Repräsentiert er eine Gruppe, zum Beispiel einen Tangoverein, ist es an den Mitgliedern, ihre diesbezüglichen Wünsche im Sinne der internen Demokratie zu äußern, bis hin zur Möglichkeit, einen allzu autokratisch bzw. ideologisch regierenden Vereinsvorstand abzuwählen.

Dem DJ bleibt es überlassen, inwieweit er sich auf Vorgaben einlässt, also beispielsweise ausschließlich traditionelle Titel aufzulegen oder irgendeinen komischen Verteilungsschlüssel zwischen altbacken und modern einzuhalten. Persönlich rate ich da zu großer Vorsicht: Jeder Kuhhandel fällt im Zweifel auf den „Plattenreiter“ zurück!

Welcher Fraktion sind moderne Orchester, welche klassische Arrangements spielen, zuzuordnen? Viele Gäste kriegen es wahrscheinlich gar nicht mit, dass sie hier nicht mit EdO-Einspielungen bedient werden! Was, wenn sich im Verlauf des Abends herausstellt, dass die Fläche bummvoll bei Otros Aires und halbleer bei Biagi ist? Weiter stur an den Aufteilungsschlüssel halten?

Ich habe schon etliche Male Gast-DJs engagiert, diese aber noch nie mit irgendwelchen Aufträgen eingeschränkt. Stets kannte ich die Personen, wusste, was sie können, und habe ihnen völlig freie Hand gelassen. War ich selber zum Auflegen eingeladen, ließ ich mir in früheren Zeiten Vorgaben gefallen – und habe es hinterher stets bereut. Später ließ ich mich nicht mehr steuern, und inzwischen lege ich (außer bei guten Freunden) nur noch auf der häuslichen „Wohnzimmer-Milonga“ auf. Andere Anfragen lehne ich ab – meine Musik gibt es eben exklusiv nur noch in Pörnbach, basta – und man kann sie ja nachspielen, da ich (als einer von ganz wenigen DJs im Bundesgebiet) meine Playlists stets veröffentliche.

Wie gesagt, nach meinen Erfahrungen machen Einschränkungen niemanden glücklich – aber das muss jeder DJ selber entscheiden. An nackten Wahnsinn grenzt es für mich jedoch, wenn (was keine Erfindung ist) einem Dateien überreicht werden mit dem Auftrag: „Die spielst du beim nächsten Mal.“ Sollen sich solche Veranstalter doch einen Schimpansen engagieren, der drauf dressiert ist, im richtigen Moment auf die Enter-Taste zu drücken (aber der käme wahrscheinlich teurer)!

Selbstverständlich ist es das Recht des Gastgebers, einen DJ, welcher seine Erwartungen nicht erfüllt hat, nicht mehr einzuladen. Was da allerdings oft hinter den Kulissen abgeht, ist mit „Mobbing“ noch sanft umschrieben. Das Grundproblem ist halt, dass Neo-Fans meist sehr tolerant sind – wenn da ein Plattendreher mal ein ziemlich konservatives Programm abliefert, wird das (eventuell mit leichtem Augenverdrehen) hingenommen. Andersherum ist die Hölle los: „Sag mir, wenn der nochmal auflegt, dann komm ich erst gar nicht!“ (ebenfalls kein erfundenes Zitat).
Beliebt sind auch „Einnordungen“ unerfahrener DJs, worum es sich bei „richtiger Tangomusik" handle…

Aber solange die Mehrheit schweigt, sehe ich keine Patentlösung dieses Problems. Ich kann daher nur jedem raten, den Veranstaltern ein Feedback zukommen zu lassen – aber bitte nicht im Gewühl der Milonga, sondern nachher in einem ruhigen Gespräch oder per Mail. Oder, was ich versuche, im Internet für eine fantasievollere und buntere Musikauswahl zu werben – beziehungsweise überhaupt darüber zu informieren, was es an moderner Tangomusik gibt. Nochmal: Ein Vereinsvorsitzender hat nicht das Recht, über den musikalischen Geschmack aller Mitglieder zu entscheiden. Das sollte man ihm notfalls in der nächsten Versammlung einmal klar machen!

In der jetzigen Phase der Fraktionierung und Zersplitterung der Tangoszene mag es sinnvoll sein, den DJ und dessen grundsätzliche Musikausrichtung (sowie die lebenswichtige Information, ob in Tandas und mit Cortinas musiziert wird) in der Einladung anzukündigen. Die geradezu inquisitorischen Forderungen aus der Tradi-Szene, dass dies gefälligst zu geschehen habe, sind allerdings völlig daneben. Milongas sind keine rezeptpflichtigen Medikamente mit obligatorisch zu druckendem Beipackzettel! Was der Gastgeber von seinem Event als mitteilungswert ansieht, muss er selber entscheiden. Und was die Gäste betrifft: Ihr Eintrittsgeld kriegen sie zurück, falls der Veranstaltung eine „zugesicherte Eigenschaft“ fehlt – schon von daher würde ich die Finger von irgendwelchen musikalischen Prozentangaben lassen…

Und der DJ ist nun garantiert nicht der Watschenmann, an dem man seinen Frust über eine nicht konvenierende Musikauswahl auslassen sollte. Ich habe mich jedenfalls auf fast 3000 Milongas noch nie beim Aufleger beschwert (einen Sonderfall schildere ich hier: http://milongafuehrer.blogspot.de/2015/01/das-hort-ja-gut-auf.html).

Für mich gilt: Was auf den Tisch kommt, wird gegessen (oder notfalls stehen gelassen). Wie bei Restaurantkritikern erlaube ich mir allerdings, gelegentlich über meine Eindrücke zu berichten – meist anonymisiert, da es mir in der Regel nicht um die Austragung persönlicher Animositäten geht, sondern um die Sache, also die Musik.

Für mich ist Auflegen keine technische, sondern eine emotionale Aufgabe: Ich muss mich in den Charakter einer Veranstaltung, die Bedürfnisse und Emotionen der Gäste (wohlgemerkt: nicht einzelner Meckerfritzen) hineinversetzen – und lege dann spontan aus einer vorbereiteten Musikauswahl auf.

In diesem Zustand bin ich nicht in der Lage, für irgendeinen Hansel noch seinen Lieblingstango herauszusuchen (am besten von ihm vorgesungen, weil er den Titel nicht kennt). Wenn dann jedoch am DJ-Pult Sätze fallen, die ich selber schon erlebt habe („Warum spielst du so einen aggressiven Scheiß?“) oder vor einiger Zeit von einem sehr erfahrenen DJ hörte („Wenn du es wagst, noch einmal so ein Stück zu spielen, dann…“) möchte ich am liebsten einpacken und gehen. Die Stimmung ist mir anschließend jedenfalls versaut. Die einzig adäquate Antwort auf solche Drohungen ist für mich: „Na, dann hau du doch ab!“

Benehmen sich solche Charaktere, die offenbar das Hobby des Aufschreibens von Falschparkern gegen den Tango eingetauscht haben, eigentlich als Gäste einer Party ebenso daneben? „Wenn Sie mir noch einmal so einen Wein einschenken, gehe ich!“ Wohl nicht – aber offenbar fühlen sie sich auf einer Milonga durch die Entrichtung einer kaum kostendeckenden, einstelligen Eurogebühr berechtigt, ihren kläglichen Rest an Kinderstube auch noch über Bord zu werfen. Dass sie eine Person anranzen, die für wenig bis gar kein Geld stundenlang daran gearbeitet hat, den Tanzenden (nach seinem Geschmack) schöne Musik zu liefern, dringt wohl nicht bis zu der Stelle, wo Anatomen das Großhirn vermuten - vom Zwischenhirn und seinen Gefühlszentren ganz zu schweigen.

Und wenn ich bedenke, dass solche Naturen oft in Personalunion mit denen identisch sind, welche die Umwelt mit Sprüchen vom „sozialen Tango“ und seiner „einzigartigen Verinnerlichung“ verschmutzen, kann ich gar nicht so viel essen, wie ich kotzen möchte.

Daher nun meine ernst gemeinte Warnung:

Liebe Kämpfer für einen reinrassigen, unentarteten Tango,

sucht euch die langweilige Musik, welche eure tänzerische Überforderung zumindest nicht allzu offensichtlich werden lässt, gerne, wo ihr wollt und sie euch angeboten wird – und dazu gibt es ja hierzulande eine reiche Auswahl.

Sollte jedoch ein DJ, trotz strengster Vorab-Kontrollen und „schwarzer Listen“, es schaffen, auf einer von euch besuchten Milonga auch einmal Moderneres aufzulegen, rate ich euch dringend, ihm gegenüber und während der Veranstaltung die Klappe zu halten. Beschweren dürft ihr euch später und andernorts – und Drohungen lasst bitte ganz! Und an Säuberungsaktionen kann man sich derzeit in anderen Ländern kostengünstig beteiligen.

Wenn jedoch dieses Mobbing, vor und hinter den Kulissen, so weitergeht, werde ich es mir – in bewusster Missachtung der Prinzipien dieses Blogs – überlegen, einmal Ross und Reiter zu nennen. Ihr dürft dann hier unter voller Nennung von Namen, Datum, Anlass und Zitat lesen, was ihr euch wieder geleistet habt. Ich fühle mich schon deshalb dazu verpflichtet, da von konservativer Seite bislang heftig bestritten wird, dass es solche Tendenzen überhaupt gibt. Selbstverständlich habt ihr dann das Recht auf eine Gegendarstellung – per Kommentar und selbstredend unanonym.

Und ich würde an eurer Stelle nicht damit rechnen, dass sich meine schlechte Laune bald wieder legt…

P.S. Ein schöner Spruch zum Thema, den ich beim Kollegen Yokoito gelesen habe:
Der Klügere gibt so lange nach, bis er der Dumme ist."

P.P.S. Und, liebe Leute, es ist ja interessant, immer wieder Informationen zum Ellbogeneinsatz in der ehrenwerten Gesellschaft der Traditionsjünger zu erhalten natürlich stets hinter vorgehaltener Hand: Bloß nicht veröffentlichen...
Ich bitte allerdings zu bedenken, dass solche Verhaltensweisen nur so lange funktionieren, wie die Betreffenden sich in der Sicherheit wähnen können, nicht öffentlich Verantwortung für ihr Tun übernehmen zu müssen. Angst sollte man nicht haben – wir leben doch noch in einer relativ offenen und demokratischen Gesellschaft. Ich vertrete nun schon seit Jahren und mit persönlichen Daten meine Ansichten zum Tango. Geschadet hat mir das bislang nicht, eher im Gegenteil – und anderen wie Manuela Bößel oder Alessandra Seitz ebenso wenig.
  
Also, vielleicht lohnt sich ja mal das Nachdenken über den Begriff Zivilcourage"...

Dudlometer * www.tangofish.de

Kommentare

  1. Der Blogeintrag trifft mitten ins Schwarze. Du hast da den Finger in eine offene Wunde gelegt. Ich kann Dir nur beipflichten, der Druck auf einen DJ ist schon sehr groß, schade dass nicht alle so wie Du über den DJ denken und ihn schützen.

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    1. Lieber Christoph,

      Deine Zustimmung freut mich ganz besonders!

      Wie immer bei solchen Themen entdeckt man dann, dass es Kurt Tucholsky vor nicht ganz hundert Jahren schon viel treffender beschrieben hat.

      Ein kleiner Textauszug:

      „Zehn Gebote für den Geschäftsmann, der einen Künstler engagiert

      3. Wenn ein Künstler anständig ist und etwas taugt, ändert er sich dir zuliebe nicht, nur weil du mit ihm einen Vertrag gemacht hast – ändert er sich aber, hast du nur einen Namen bezahlt, also einen Mann überzahlt.
      4. Lass ihn in Ruhe.
      7. Wenn der Künstler, den du engagiert hast, am Werk ist, halte ihm täglich fremde Arbeiten vor die Nase und fordere ihn, in anerkennenden Worten für den andern, auf, dergleichen ›auch mal‹ zu machen. Das ermuntert ungemein.
      9. Höre auf die Stimme des Publikums, aber überschätze sie nicht – in dir selbst muss eine Kompassnadel die Richtung anzeigen. Zwanzig Briefe aus dem Publikum sind noch nicht die Volksstimmung – vergiss dies nicht, und lass die Dummheit der Leute den Künstler nicht entgelten.
      10. Lass ihn in Ruhe.“

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