Rezeptblock contra Globuli
„Wer kein Künstler
ist, ist auch kein Arzt.“
(Curt
Goetz: „Frauenarzt Dr. Prätorius“)
Kürzlich veröffentlichte Manuela Bößel auf ihrem
Blog die Besprechung des Buches „Unheilpraktiker“ der Journalistin Anousch
Mueller, welche sich sehr kritisch damit beschäftigt, „wie Heilpraktiker mit unserer Gesundheit
spielen“. Obwohl Manuela ja selbst zur attackierten Spezies gehört, fand ich ihre
Rezension zurückhaltend und differenziert:
Sehr interessant wurden die Reaktionen
hierauf: Als die Bloggerin einen Link auf die Facebook-Seite „Heilpraktiker“ setzte, bestieg der
dortige Administrator schon ein ziemlich hochstehendes Rednerpult: „Liebe Manuela, ich weiß
nicht, ob und wieviel HP-Kongresse Du bis dato besucht hast. Diese Frage wird
immer wieder beantwortet - es macht keinen Sinn über ‚ungelegte Eier‘ sich
aufzuregen oder zu diskutieren.“
Auch die Gegenseite war nicht untätig:
Bei Amazon hagelte es positive Buch-Bewertungen
inklusive vernichtende Urteile zu den Heilpraktikern:
„Viele
Menschen wollen irrational behandelt werden, sie pfeifen auf wissenschaftliche
Erklärungen, sie wollen Mystik atmen und Alternatives, sie wollen ‚anders‘
behandelt werden, weil alles schon zu etabliert ist.“
„Sie
können gestern noch Auto repariert haben, egal. Bisschen lernen und dann Test,
ob man die ‚Volksgesundheit‘ gefährdet, wenn nein, dann dürfen Heilpraktiker
auf Menschen losgelassen werden“.
„Es
wird an Leuten manipuliert und sie durch Paranoia, Verschwörungstheorien und
übersinnlichen Hokuspokus abhängig gemacht. Erkennt man übrigens ganz gut an
dem Dschihad, den manche Anwender ausrufen, wenn man diese Anwendungen
kritisiert. (…) Aber jemand mit ein paar Esoterik-Kursen auf ‚Patienten‘
loszulassen ist ein krasses Unding, dass es in dieser Form nur in Deutschland
gibt.“
Hier wiederholen sich (wie nicht anders zu
erwarten) die Hauptargumente, welche auch Anousch
Mueller gegen die
Heilpraktiker in Petto hat.
Zur Qualifikation: Es ist richtig, dass ein
bestandener Hauptschulabschluss für die Zulassung zur amtsärztlichen
Überprüfung reicht. Allerdings kenne ich durch Manuelas Vorbereitung die Fragenkataloge ziemlich gut und kann den
Sprücheklopfern nur raten, es mal „mit
bisschen lernen“ zu probieren. Die (geschätzte) Durchfallquote von zirka 80
bis 90 Prozent spricht eine deutliche Sprache – und als studierter Biologe und
Chemiker muss ich neidlos bekennen: Ich hätte zum Bestehen ebenfalls über ein
Jahr lang pauken müssen! Und es geht da nicht um Globuli oder Pendel, sondern
um knallharte Schulmedizin. (War das der Grund, warum Frau Mueller die Prüfung trotz zweijähriger Ausbildung dann offenbar
nicht ablegte?)
Weiterhin beklagt sie sich über die
esoterische Ausrichtung der Heilpraktiker-Schulen. Abgesehen davon, dass man
sich auf das Examen auch im Privatstudium vorbereiten kann: Dies alles
lediglich von dem Institut abzuleiten, welches sie kennengelernt hat, ist
journalistisch dürftig. Ich kenne zumindest die Webseiten vieler derartiger
Einrichtungen, welche solche Schlüsse nicht nahelegen. Und die drei
Heilpraktikerinnen, welche mich bisher behandelten, agieren auf
naturwissenschaftlicher Basis, meilenweit entfernt von Paranoia,
Verschwörungstheorien und Hokuspokus.
Als ich vor etlichen Jahren die komplementäre
Medizin kennenlernte, war ich nicht auf der Suche nach Irrationalität und
Mystik. Ich hatte nur gerade eine Krebsdiagnose erhalten und suchte eine
begleitende Behandlung zur Antikörper- und Chemotherapie. Ich glaube, dies kann
man verallgemeinern: Für viele Patienten bedeutet der Besuch beim Heilpraktiker
keine Abkehr von der Schulmedizin, sondern eine zusätzliche Option, um deren
Schwächen und Lücken auszugleichen. Ich wäre jedenfalls sofort geflüchtet, hätte
man mir von einer medizinischen Tumorbehandlung abgeraten, ein (gesetzlich
verbotenes) Heilungsversprechen gegeben oder gar kultische Schamanentänze
aufgeführt.
Was mich aber ebenso wenig überzeugt: Eine
Krebsdiagnose bedeutet für den Betroffenen einen gewaltigen seelischen Absturz
– gar nicht gut für das dringend benötigte Immunsystem! Dass es die
Schulmedizin bis heute kaum fertig bringt, den Kranken sofort auf die Optionen
von Psychoonkologie und komplementärer Naturheilkunde hinzuweisen, halte ich
für skandalös. Nein, man nimmt hin, dass es ihm zunächst einmal scheiße geht,
schleust ihn durch ein Nummernprogramm der üblichen belastenden Therapien und
hält die damit einhergehenden Nebenwirkungen und seelischen Abstürze für
unvermeidlich.
Ich hatte damals das Glück, sofort
aufgefangen zu werden (wen es interessiert, hier die ganze Geschichte: http://www.krebsheilpfad.de/826-2/).
Die Chemo- und Antikörpertherapie bewältigte ich weitgehend ohne große Probleme,
und inzwischen bin ich sieben Jahre ohne Rezidiv und gelte somit – nach
schulmedizinischem Standard – als „geheilt“.
Wer oder was hat diese Effekte bewirkt?
Ausschließlich meine – sicherlich höchst professionellen – Onkologen? Klar,
deren Methoden sind ja „evidenzbasiert“, im Gegensatz zu vielen Verfahren der
Naturheilkunde. Anousch Mueller würde
meine Krankengeschichte als „anekdotischen
Beweis“ abtun. Wir wollen einmal davon absehen, ob die Studien der
Pharmaindustrie verlässlicher sind als die Abgaswerte diverser Automobilfirmen,
ob da nicht doch - statistisch nicht ganz unüblich – manchmal das herauskommt, was
herauskommen soll, und man alternative Verfahren mit dem gleichen Interesse,
Material- und Finanzaufwand testet. Übergehen wir auch das Problem, die Effekte
individueller Zuwendung auf Psyche und körpereigene Abwehr zu quantifizieren. Was ich sicher sagen
kann: Die „alternative“ Begleittherapie hat mich seelisch stabilisiert – von
vorherein fühlte ich, dass diese Krankheit mich nicht umbringen würde. Falls es
so etwas wie „Selbstheilungskräfte“ geben sollte: Bei mir haben sie gewirkt!
Half hier der „Placebo-Effekt“ mit? Ich hoffe
es sehr – nur verwendet den der Herr Chefarzt mit gestärktem weißen Kittel und
Goldbrille ebenso wie der Heilpraktiker. Zudem beweist auch der beste
„randomisierte Doppelblindversuch“ zwar einen statistischen Therapieerfolg –
nur weiß jeder Mathematiker: Im individuellen Fall kann man dann zwar
Wahrscheinlichkeiten zuordnen, ein fester Beweis, was nun im Einzelfall wie stark wirkte, ist
allerdings nicht zu erbringen. „Wer
heilt, hat recht“ ist daher schon insofern Unsinn, da bereits der erste
Teil dieser Feststellung sich einer Verifizierung entzieht. Gute Medizin ist
eine Kunst, ist sie aber auch eine „exakte Wissenschaft“? Es gibt vertrauenswürdige
Quellen, welche dies ernsthaft bezweifeln: http://www.welt.de/print-welt/article407431/Medizin-als-exakte-Wissenschaft-ist-ein-Mythos.html
Weiterhin sollte man die ach so „güldenen
Therapie-Standards“ in ihrem realen Kontext betrachten: Die
„Drei-Minuten-Medizin“, ausufernde Spezialisierungen und Budget-Orientierung
sind heute wie geschaffen dafür, den Patienten seelisch herunterzufahren (siehe
Wartezimmer) und Symptome zu übersehen. Befunde sind halt nur dann
aussagekräftig, wenn man sie auch erhebt! Medizin und Pflege unterliegen einem
immensen Zeit- und Kostendruck. Die Folgen sind schlampige Anamnesen, der
Verzicht darauf, sich den Kranken wirklich einmal genau anzusehen (statt ihn
nur durch die Röntgen- und MRT-Röhre zu schieben und Laborbefunde zu lesen), mit
ihm zu reden oder ihn gar (horribile dictu) einmal anzufassen. Evidenzbasierte
Verfahren und Pflege-Algorithmen sind die Theorie – was allerdings unter den
praktischen Bedingungen oft genug versaubeutelt wird, ist enorm.
Dies sollte man zumindest auch sehen, wenn
man sich über die unwissenschaftlich arbeitenden, halbgebildeten Heilpraktiker
echauffiert: Da sie im Normalfall weder einen Porsche noch ein Ferienhaus in
Spanien finanzieren müssen, nehmen sie sich jedenfalls etwas, das ich in der
Heilkunde für essenziell halte und das die Schulmedizin sträflich
vernachlässigt: Zeit und Zuwendung (oft schon dafür, dem Patienten das
Medizinerlatein seines Arztes zu übersetzen). Und sie reißen keine Sprüche, wie
sie mir von Kollegen aus der „Krebs-Fraktion“ schon öfters kolportiert wurden: „Ich gebe Ihnen noch maximal ein Jahr.“ Aha,
der Herr Doktor verwaltet ein Kontingent an Lebenszeit, welches er rationiert
vergibt – wie wissenschaftlich ist das denn – von der menschlichen Monstrosität
ganz zu schweigen?
Daher würde ich beiden Seiten raten, den Ball
deutlich flacher zu halten und vom unsäglichen „Standesvertreter-Gezänk“
wegzukommen. Weder stellt es einen unsittlichen Antrag dar, esoterisches
Brimborium zu hinterfragen, noch die Mediziner zu bitten, Unfehlbarkeit und
Nagen am Hungertuch nicht zum hundertsten Mal pressewirksam zu inszenieren. In
der Realität sind beide Sparten der Heilkunde dringend erforderlich – schon, da
sie ganz unterschiedliche Aufgaben erfüllen. Weder Rezeptblock noch Globuli
stellen eine Heilungsgarantie dar – mit dem Unterschied, dass die Kügelchen als
Todesursache entfallen.
Ich kann jedenfalls mit den beiden Bereichen
gut auskommen: Zum Arzt gehe ich, wenn ich ernsthaft krank bin – zu meinen
Heilpraktikerinnen, wenn ich mich gesund fühle und möchte, dass es so bleibt.
P.S. Wer sich für eine Empfehlung
interessiert:
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