Liebes Tagebuch… 86

Neulich auf einer Milonga hatte ich zwei Erlebnisse, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun hatten:

Dort tauchte ein Paar auf, das mir schon einige Male aufgefallen war:

Geschätzt sind die beiden in den Vierzigern – und sehen berückend aus: Die Anzüge und Kleider haben sicherlich viel Geld gekostet und verleihen ihnen den Flair von Unnahbarkeit. Selbstverständlich sitzen sie an einem separaten Zweiertisch und tanzen nur miteinander.

Man sieht sofort: Nicht nur die Kleidungsstücke, sondern auch ihr Tango war nicht billig. Ich tippe mal auf zirka hundert Privatstunden bei einem argentinischen Meisterpaar.

Die tänzerischen Bewegungen, natürlich nur in der aktuellen engen Haltung, sind technisch ausgefeilt, das Figuren-Repertoire ist anspruchsvoll und tausendmal geübt. An der Musikinterpretation gibt es ebenfalls nichts auszusetzen.     

Sie machen eine „Bella Figura“, und das wissen sie auch.

Kurz gesagt: Sie tanzten besser Tango als die übrigen Anwesenden zusammen. Und ich genieße es durchaus, ausnahmsweise mal perfekte Technik bewundern zu dürfen.

Mein Problem ist nur: Wahrscheinlich kann man solche Tanzpaare inzwischen auch KI-gestützt darstellen.

Was ich überhaupt nicht sah: Emotionen, Freude am gemeinsamen Tanz, Leidenschaft – eine Beziehung im Paar, Spaß, auch wenn mal was schiefgeht, Neugier, Vergnügen am Experiment. Vielleicht sogar mal Herumgeblödel auf dem Parkett.

Kurz gesagt: Das, was mich am Tango anfixt. Selber tanze ich nicht halb so gut. Dennoch würde ich den beiden die Empfindungen wünschen, die ich schon auf dem Parkett erlebt habe – und meine Partnerinnen wohl auch.

Als ich mich heute mit einer Tangofreundin darüber unterhielt, meinte sie: „Man darf halt beim Tango keine Angst davor haben, auch mal scheiße auszusehen.“ Eben das ist es: Man muss sich von der Furcht befreien, wie es Beobachtenden gefällt. Dennoch – erst neulich – kriegen wir von Außenstehenden immer wieder mal Komplimente für unser Tanzen. Meist von Leuten außerhalb der Tangoszene. Klar, die wissen ja nicht, wie es „richtig“ ist…

Auf den ersten Blick überhaupt nicht passt dazu diese Geschichte:

Kürzlich wurde ich auf einer Milonga von einer Tangobekannten auf meine Smartphone-Hülle angesprochen, die ziemlich ungewöhnlich und auffallend gestaltet ist: rote Glitzerfolie mit silbernen Sternchen. Ob die mal unsere Enkel für mich gebastelt hätten?

Nein, so antwortete ich, den Zierrat habe meine Illustratorin auf meinen Wunsch hin gestaltet. Der Hintergrund: Nachdem ich altersbedingt sensorisch ein wenig eingeschränkt bin, war ich schon öfters auf der verzweifelten Suche nach meinem Mobiltelefon. Eine schwarze Hülle vor dunklem Hintergrund ist da nicht optimal. Zur auffallenden Gestaltung stellte ich Glitzerfolie aus meinen alten Zauber-Beständen zur Verfügung. Seither finde ich mein Kommunikationsgerät auf einen Blick!

Ich weiß nicht, ob unsere Bekannte mir die Geschichte geglaubt hat. Aber sie ist tatsächlich wahr! Schon, da wir keine Enkel haben…

Sicherlich hätte ich ein edel gestaltetes Teil auch beispielsweise von Gucci für eine dreistellige Euro-Summe erwerben können:

https://www.youtube.com/watch?v=bZaz0rpEW6U

Oder wir hätten in ein paar hundert Privatstunden Mustertänzer werden können.

Nur: Wo bliebe ich dann selber? Mein eigener Stil? Und der meiner Partnerin?

Und ich werde nicht aufhören, Osvaldo Cartery zu zitieren, der mit seiner Frau Coca 2004 die Weltmeisterschaft im Tango de Salón gewann:

„Du kannst jemand Schritte vermitteln, aber nicht die innere Haltung, das Gefühl und die Liebe für das, was du tust. Nicht ‚deinen‘ Tango. Tango ist persönlich – manchmal schmerzhaft persönlich.“

Zum Weiterlesen:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2019/07/legenden-des-tangotanzes.html

Kommentare

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