Braucht’s das – oder kann das weg?

Der Tangolehrer Klaus Wendel betreibt derzeit eine Massenproduktion von Texten – und mit dem 9. Teil seiner „Gedanken zum Tango-Unterricht“ gerät er schon wieder in Gefahr, von mir gelobt zu werden:

Boleos, Ganchos, Llevadas – braucht man das eigentlich? Über den Spaß an der Bewegung…“

Allerdings kommen die genannten drei Tangofiguren im Text gar nicht vor – und vom Spaß am Tanzen ist ebenfalls weniger die Rede.

Dafür stellt Wendel gleich zu Beginn eine provokante Frage, die mir gefällt: Warum entstanden die meisten dieser Tanzfiguren in Buenos Aires und kaum im Rest der Welt? Alles, was er von einheimischen Tangopaaren erlebe, sei eher Reproduktion als Innovation. Ist das, so fragt er, Ausdruck von „Ideenlosigkeit“ oder fehle es schlicht an der Fähigkeit oder dem Mut, neue Bewegungsmöglichkeiten zu erforschen?

Mich erinnert das an eine Kursstunde, bei der ich eine Milonga-Bewegung tanzte, die ich mir irgendwo abgeguckt hatte. Kommentar der gestrengen Tangolehrerin: „Diese Figur gibt es nicht." Das macht doch Mut zu eigener Initiative! Ich habe daraufhin den Unterricht verlassen und bin nie mehr wiedergekommen. 

Ich kann nur bestätigen: In unserer Tango-Anfangszeit sahen wir immer wieder Paare, die in einem ganz eigenen – manchmal ziemlich verrückten Stil tanzten. Inzwischen geht der Trend zu immer größerer Konformität – Ziel ist es, so zu tanzen wie alle anderen. Wer davon abweicht – und davon kann ich wahrlich ein Lied singen – wird teilweise mit Hohn und Spott überschüttet. Oder, schlimmer noch, des „rücksichtslosen Tanzens“ geziehen.

Einige Zeilen weiter läutet der Autor schon mal probeweise diese Glocke: „Stil wird oft mit der persönlichen Handschrift des Unvermögens verwechselt.“

Na, das ermutigt doch jeden, seine persönliche Art des Tanzens zu entwickeln…

Einige Zeilen weiter sausen dann Wertungen wie diese herunter:

„Wer Chicho und Juana nicht versteht, hat den Tango nicht verstanden.“

Aber klar, das sei nur Wendels „persönliche Meinung“ – wie gnädig! Die Experten-Guillotine bleibt jedoch stets einsatzbereit.

Wenig Positives fällt Wendel zum Unterrichten von „Figuren“ ein: Das einheimische Lehrpersonal beherrsche sie selber kaum – und argentinische Gastlehrer können sie nicht gut vermitteln. Das macht doch Mut!

Und ja: Prácticas sind kein Milonga-Ersatz. Man müsste dort wirklich herumprobieren und üben. Machen wir in Pörnbach immer wieder – aber das gilt ja nicht.

Lustigerweise beschreibt Wendel einen Mechanismus, der auch mir bei der Entwicklung meines Tangos viel geholfen hat:

Denn auf der Tanzfläche geschieht Erstaunliches oft ganz nebenbei – durch ungeplante, fehlerhafte oder missverständliche Führungsimpulse innerhalb des Paares. Plötzlich entstehen Bewegungen, die so gar nicht vorgesehen waren. Und doch – oder gerade deshalb – faszinieren sie.

Wenn der Führende dann im entscheidenden Moment souverän reagiert – sei es aus einer gewissen Eitelkeit heraus, um Coolness zu demonstrieren, oder schlicht aus Spaß an der Situation – wird dieser Fehler plötzlich zur Figur. Und nicht selten bleibt es nicht bei diesem einen Mal. (…)

Diese gezielte Wiederholung eines kleinen Tanz-Malheurs, das in einem kurzen, vielleicht sogar chaotischen Moment entstanden ist, zeigt eine bemerkenswerte kreative Fähigkeit: den Zufall in eine bewusste Form zu überführen.“

Ja, so könnte sich der Tango weiterentwickeln! Aber kaum jemand traut sich das  könnte zu böser Kritik führen!

Und natürlich - wie wahr – ist die Musik natürlich viel mehr als die Begleitung technischer Spielereien: „Zu oft lassen wir uns verführen, komplizierte Figuren zum Selbstzweck zu tanzen – völlig losgelöst von der Musik. Wir ‚kaufen‘ sie als Tango, obwohl sie nichts weiter sind als leere Bewegungshülsen.“

Ist das der Grund, wieso im Tangounterricht so wenig Musik erklingt – und wenn, dann immer dieselbe – oder jedenfalls die gleiche?

Der Autor benennt diese beiden Fehler:

    • „Tango-Sequenzen müssten nicht an die Musik angepasst werden.
    • Gekaufte Figuren sollten eins zu eins beibehalten werden – ohne eigene Anpassung oder Weiterentwicklung.“

Und richtig: Nicht das „Was“ macht einen guten Tango aus, sondern das „Wie“.

„Wild herumwuseln“ könne jeder. Na, ich fürchte, nicht mal das!

Apropos: In einem Video zeigt der Autor einen seiner Lehrmeister, Antonio Todaro, in einem Tanz mit der bekannten Milena Plebs:

https://www.youtube.com/watch?v=hQebV70cDn0

Ich male mir aus, wieviel Geifer tropfen würde, wenn ein Paar heute einen solchen Tanz zeigte! Da wäre sicher von „hektischem Herumgehüpfe“ und Schlimmerem die Rede. Und die Partnerin sei zum bedingungslosen Hinterherrennen verurteilt.

Okay, so hat man halt vor 30 und mehr Jahren Tango getanzt. Die beiden hatten aber ihren eigenen, unverwechselbaren Stil. Und jedenfalls schlafe ich beim Zusehen nicht ein.

„Am Ende bleibt die Frage: Was wollen wir wirklich vom Tango?“

Tja, gute Frage – nächste Frage!

Ich kann Klaus Wendels Artikel wirklich zur Lektüre empfehlen. Er enthält Passagen, die andere in der heutigen Szene nicht ungestraft verkünden dürften. Seien wir froh, dass einer wie er es selbst heute ohne Shitstorm unternehmen kann!

Quelle: https://www.tangocompas.co/gedanken-ueber-tango-unterricht-9-teil/

Kommentare

  1. Mein herzallerliebster Riedl: Habe Sie sich schon überlegt, warum ausgerechnet SIE den Shitstorm ernten und nicht Herr Wendel? Wie auch immer: SIE werden es nie kapieren ....

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    1. Na, wenn ich es eh nie kapiere, bringt es ja auch nichts, wenn ich es mir überlege…
      Shitstorm? Sorry, aber es stürmt nicht, wenn sich ein halbes Dutzend trauriger Figuren an meinem Blog permanent das Maul abwischt. Eher erscheint mir das windig.
      Was Sie betrifft, ist es noch schlimmer: Seit Jahren betätigen Sie sich als Intrigant, der stets wenige bösartige Zeilen absondert, wenn er meint, ein Sturm gegen mich ziehe auf.
      Eigene, längere Texte haben Sie bislang noch nie geliefert.
      Sorry, Sie sind einfach nicht relevant!

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