Von der hohen Kunst der Debatte

 

„Das Ziel einer Auseinandersetzung sollte nicht der Sieg sein, sondern der Fortschritt“ (Zitat im Vorspann des Films „Contra“)

Die Handlung ist sehr einfach: Die marokkanischstämmige Studienanfängerin Naima (Nilam Farooq), die mit ihrer Familie in den beengten Verhältnissen einer Mietskaserne lebt, plagen zahlreiche Probleme – von Geldnot bis zu ihrem Bruder, der mit der Polizei Bekanntschaft macht.

Daher kommt die Jurastudentin zu spät zur Vorlesung des sarkastischen Professors Pohl (Christoph Maria Herbst), der sie rassistisch heruntermacht. Das schweißt die beiden ungewollt zusammen: Um einem Disziplinarverfahren zu entgehen, soll der ehemals exzellente Strafverteidiger die junge Migrantin für einen Debattierwettbewerb fitmachen, an dem sich die Universität beteiligt und der dem Rektor überaus wichtig ist. Es folgt eine atemberaubende Rundreise durch Literatur und Geistesgeschichte von Goethe bis Schopenhauer – und die Studentin gewinnt eine Vorausscheidung nach der anderen.

Die beiden kommen einander näher und beginnen Verständnis für den jeweils anderen zu entwickeln. Aber wir ahnen natürlich die bevorstehende Krise, sollte Naima erfahren, warum der Professor sie eigentlich fördert.

Ein großes Lob gilt den Schauspielern, die bis in die Nebenrollen hervorragend besetzt sind. Christoph Maria Herbst gibt die bebrillte intellektuelle Bestie mit sichtlichem Vergnügen, ebenso Nilam Farooq die eloquente junge Wilde – „Pygmalion“ und „My Fair Lady“ lassen grüßen. Am Ende legt die Studentin, wie in jedem guten Drama, einen Monolog hin, dass es rappelt.

Weiterhin ist der Film ein Remake der französischen Komödie „Die brillante Mademoiselle Neïla“.

Dennoch: Was der Regisseur Sönke Wortmann hier zum wiederholten Mal abliefert, sind Filme, wie ich ihn im deutschen Kino seit langer Zeit schmerzlich vermisse: Produktionen, die den geistreichen Dialog in den Vordergrund stellen und nicht das emotionale Augenrollen plus Mord und Totschlag, Darsteller, welche unterspielen statt versuchen, mir Gefühle aufzudrücken. Stattdessen darf ich sie selber entwickeln – wie schön! Daher auch ein großes Lob an das Drehbuch (Doron Wisotzky). Es ist nicht einfach, derartig leichte und dennoch kluge sowie treffsichere Dialoge zu schreiben!

Leider scheinen viele zu glauben, „Contra“ beschäftige sich vor allem mit den Themen Migration und Integration. Das tut Wortmann erklärtermaßen nicht. Klar, ein Film mit Debattier-Wettbewerben benötigt aktuelle Themen, die sich ja auch aus der Herkunft der Hauptdarstellerin ergeben.

Ich meine aber, Sönke Wortmanns Werk ist vor allem eine Liebeserklärung an die Bildung und vor allem die Sprache. In ihrer kraftvollsten Form, der Rhetorik, kann sie die Welt verändern. Und Aufstiege ermöglichen, welche Herkunft und soziale Schicht eher unwahrscheinlich machen.

Das dem Film vorangestellte Zitat von Joseph Joubert sagt ja schon alles. Sprechen sei Malerei fürs Ohr – auch dieses Zitat des französischen Essayisten hätte man verwenden können.

Daher ist „Contra“ ein flammendes Plädoyer für die Debatte, die Kunst der Gegenrede. Nicht, um den anderen niederzumachen, zu siegen, sondern um des gemeinsamen geistigen Fortschritts willen. Nur ein Contra ermöglicht es, Dinge von unterschiedlichen Perspektiven aus zu betrachten und so neue Erkenntnisse zu gewinnen.

Leider ist vor allem das Internet zu einem Raum geworden, wo man sich im persönlichen Angriff übt, der natürlich nichts von alledem bewirkt. Daher sind Filme wie „Contra“ heute derart wichtig! Schön, dass man mit Nilams Freund, einem Taxifahrer, eine Figur schafft, die zwei seltene Eigenschaften aufweist: praktische Vernunft und Herzensbildung. Er sei ein Prinz, sagt sie einmal über ihn – er wisse es nur nicht.    

Ich empfehle dringend, sich den Film (gerne auch ein zweites Mal) anzusehen. Bis zum 22.7.24 ist es in der ARD-Mediathek noch möglich:      

https://www.ardmediathek.de/video/contra/contra/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL2NvbnRyYS8yMDI0LTA3LTE1XzIwLTE1LU1FU1o

Hier vielleicht sogar noch etwas länger:

https://www.youtube.com/watch?v=_CT5a2eJOZM

P.S. Und was diese Besprechung auf einem Tangoblog endgültig rechtfertigt: Professor Pohl bringt seiner Studentin ein wichtiges Mittel bei, um die Nervosität vor wichtigen Auftritten abzubauen: Tanzen!

Hier zum Reinschmecken der Trailer:


https://www.youtube.com/watch?v=MMntdoWEJSY

 

Kommentare

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