Muss ich jetzt performen?

 

Satire-Anlässe überrollen mich manchmal schon vor dem Frühstück! Auf einem Tangoblog las ich folgende „Kurznotiz“:

„Stell Dir vor, Du bist auf einem Neotango Marathon. Es ist 2 Uhr morgens. Du tanzt schon seit sechs Stunden, mit nur wenigen Pausen. Sowohl Dein Kopf als auch Dein Körper sagen Dir, dass Du sowohl mental als auch physisch am Ende Deiner Kräfte angekommen bist. Aber dann ertönt diese Musik. Und Du weißt sofort, dass Du auf die Tanzfläche musst und noch nicht ins Bett gehen kannst.“

Quelle: https://helgestangoblog.blogspot.com/2024/07/kurznotiz-15-babel.html

Nun fällt mir schon die Vorstellung schwer, mich überhaupt auf einem Neotango-Marathon zu befinden – gar nach Mitternacht. Dass ich dabei mental wie auch physisch am Ende meiner Kräfte angekommen wäre, kann ich mir dagegen ohne Weiteres ausmalen. Auch, wenn ich noch keine sechs Stunden getanzt hätte (was ich für sehr wahrscheinlich halte).

Neugierig klickte ich die empfohlene Musik an:

https://www.youtube.com/watch?v=8BphNy9ZQMU

Das sind so die Situationen, wo in der „Micky Maus“ meiner Kinderjahre Oma Duck (in der herrlichen Bearbeitung von Erika Fuchs) der Ausruf „Herr du meine Güte“ entfahren wäre. Na schön, wurde vom Verfasser auch als „Non Tango“ klassifiziert. Tango wäre mir lieber…

Aber man kann noch einen draufsetzen! Auf Facebook schrieb ein Kommentator dazu:

„manchmal geht es mir beim vjing so, dass ich gerade mal eine pause machen muss, um mir etwas zu trinken zu holen, zu rauchen oder auf die toilette zu gehen, und dann kommt ein derartiges musikstück, dass ich umdrehen muss und unbedingt darauf performen muss!“

Echt jetzt: Was muss er da „performen“? Meint er die Rorschach-Tests, welche man beim Neotango an die Wand projiziert? Oder gar den eigenen Tanz?

Also mal „Performance“ nachschlagen:

Verstehen wir darunter nun eine „Form der Aktionskunst“, das „Leistungsverhalten von Soft- und Hardware in der Informatik“ oder gar ein „Maß für das Risiko-Ertrags-Verhältnis einer Kapitalanlage“?

https://de.wikipedia.org/wiki/Performance

Im Neo-Denglisch fehlt mir einfach die Erfahrung. Blöd wie ich bin, tanze ich einfach, wenn ich schöne Musik höre. Wenn nicht, dann nicht.

Nach Beispielen solcher Musik gefragt, muss der Kommentator freilich passen:

„ich erkenne zwar sehr viele songs, die bei neotango-events gespielt werden, schon an den ersten tönen, manchmal auch stücke, die ich zum ersten mal bei neotango-events höre, aber mir fehlt die fähigkeit, titel und künstler zu nennen. alle achtung habe ich vor der fähigkeit der djs, in ihrem pool die stücke zu finden, die sie spielen. manche tun dies ja auch live ohne vorgefertigte playlist.

sorry also, dass ich dir da keine stücke nennen kann.“

Quelle: https://www.facebook.com/helge.schutt.7 (Post vom 6.7.24)

Mir geht es sogar noch schlimmer: Viele Stücke dieses Lounge-Gedudels will ich mir gar nicht merken…

Immerhin weiß ich nun, was ich in vielen Jahren bei meinen Vorstellungen getrieben habe: Nicht gezaubert oder moderiert, nicht mal vorgetanzt, sondern „performt“. Muss mir doch mal gesagt werden, wie ich es zu nennen habe!

Wenigstens habe ich jetzt eine Ahnung, was oft passiert, wenn ich bei Milongas die Menschen auf der Tanzfläche beobachte:

Die tanzen gar nicht – sie performen!