Digital Naive

Als digital native (deutsch: „digitaler Eingeborener“) wird eine Person der gesellschaftlichen Generation bezeichnet, die in der digitalen Welt aufgewachsen ist.

https://de.wikipedia.org/wiki/Digital_Native

Am letzten Wochenende erschien in unserem Lokalblatt ein bemerkenswerter Artikel: Unter dem Titel „Mehr Kritiker als Influencer“ berichtet es über einen erfolglosen Versuch, junge Menschen für eine Corona-Impfkampagne zu gewinnen:

Eine Werbeagentur sei beauftragt worden, jugendliche, lokale „Influencer“ für ein Werbevideo zu finden. Hierzu fanden angekündigte Drehtermine an verschiedenen Orten des Landkreises statt. Schon beim ersten Versuch wurde das Werbeteam allerdings von einer Gruppe weiblicher Impfgegner von der Arbeit abgehalten. Immerhin fand sich dann eine einzige „Influencerin“. Am Folgetag waren es dann andernorts zwei junge Fußballerinnen, welche die gewünschten Statements abgaben. In der Kreisstadt Pfaffenhofen hingegen erschien zum angekündigten Termin überhaupt niemand. Dennoch, so versicherte eine Sprecherin des Landratsamts tapfer, werde das Video fertiggestellt.

Noch schlechter war wohl die Idee der Behörde, auf ihrer Facebookseite mittels flippigem Text und Foto die Kampagne zu bewerben. Zitat: „Abende, die viel zu schnell vorbei sind, durchgetanzte Nächte, das Glücksgefühl, mit den Freunden von Bar zu Bar zu ziehen und das Leben zu genießen… wer vermisst das nicht? Lass dich impfen, damit das schnell wieder möglich wird und die Gastronomie offen bleiben kann!“

Es hagelte negative Kommentare in bekannter Querdenker-Art – einen mit Nazi-Vergleichen habe man sogar gelöscht.

Kostproben:

„Das ist einfach nur krank. Schwere Nebenwirkungen , vielleicht irreparabel, für einen Abend an der Bar. Leute lasst euch Psychiatrisch behandeln.“

„Genau deshalb hassen diese Impflinge uns jetzt dermaßen, weil die wissen, dass sie verarscht wurden und wir standhalten“

„Ich kenne selbst drei Fälle aus meinem Umfeld. Alle 2x geimpft, einer liegt in der Reha nach einem schweren Schlaganfall, eine im Krankenhaus kann weder stehen noch gehen, hat Ausschlag am ganzen Körper usw, die dritte mit einem ganz schweren Verlauf in der Klinik. Das sind nur die die ich kenne. Zufall?????“

Es äußern sich aber auch Befürworter des Impfens – in lokal angemessenen Formulierungen:

„Beim Lesen der meisten Kommentare hier (eh ein Fehler) muss ich mich fragen, was erschreckender ist - das unglaubliche Ausmaß an Dummheit oder die Aggressionen.“

„das Wort eh … hat mit der Bayerischen Mundart zu tun !! man sagt oft, des woas ii eh, oder du bist eh a Depp“

Apropos: Auch die AfD-Kreistagsfraktion hat den Artikel mit einer Ansicht dazu geteilt:

„Die Impf-Propaganda des Landkreises Pfaffenhofen an der Ilm ist qualitativ hochwertig.

Lass dich impfen! Nicht aus gesundheitlichen Gründen, nein. Lass dich impfen, damit du wieder ‚durchtanzte Nächte‘ erlebst und von ‚Bar zu Bar ziehen‘ kannst. Mit oder ohne Bratwurst!“

Quelle: https://www.facebook.com/landkreispfaffenhofen (Post vom 12.8.21)

Der Schlag ins Wasser veranlasste den „Pfaffenhofener Kurier“ zu einem Zusatztext: Die Grenzen auf Facebook seien überschritten, das sei „aus dem Ruder gelaufen“. Grenzverletzende Kommentare würden gelöscht oder gemeldet. Das Landratsamt wolle sich mit seiner Kampagne aus Facebook zurückziehen – auch, weil junge Menschen andere Medien bevorzugten. Na gut, konnte man ja nicht gleich drauf kommen...

Als ich am Samstagmorgen die Zeitung aufschlug, musste ich über diese Naivität schallend lachen: „Was haben die denn erwartet?“ Auf Anregung meiner Frau verfasste ich dazu einen Beitrag, den sie – verbunden mit einer eigenen Stellungnahme – an den Redaktionsleiter des „Pfaffenhofener Kuriers“ mailte. Ich schrieb unter anderem:  

„Ich habe mir heute den FB-Post des Landratsamts Pfaffenhofen angesehen und muss sagen: Für die Verhältnisse auf diesem sozialen Medium ist die Debatte noch relativ sanft. Es äußern sich auch viele Befürworter des Impfens.

Das Erstaunen, welches solche Reaktionen wohl bei der Behörde und auch der Zeitung ausgelöst haben, finde ich bemerkenswert.

Ich blogge nun seit acht Jahren und war auch dankenswerterweise Gegenstand einiger Artikel im Pfaffenhofener Kurier. Dabei – und auch sonst in der Presse – habe ich immer wieder festgestellt, dass die Zeitungen der Meinungsbildung im Internet viel zu wenig Beachtung schenken. Es hat beispielsweise keinen Sinn, einem Journalisten mitzuteilen, man betreibe Blogs, es wird ignoriert – mutmaßlich, um die Konkurrenz nicht bekannter zu machen.

Leider rächen sich diese Defizite, siehe aktuelles Beispiel: Was erwartet man eigentlich, wenn man auf Facebook eine Impfaktion für Jugendliche bewirbt? Ein Shitstorm ist doch dann vorprogrammiert – von Leuten, welche diese Klaviatur perfekt beherrschen!

Ich habe als Blogger solche und weit schlimmere Attacken reichlich kennenlernen dürfen und kann aus Erfahrung nur sagen: Man hat als Betroffener stets die Möglichkeit, Kommentare zu löschen oder sogar den Urheber zu sperren bzw. bei FB zu melden, im Extremfall auch Anzeige zu erstatten.

Wie ich oft genug erfahren habe, ärgert das die Betreffenden maßlos – und natürlich wird dann ‚Zensur‘ gerufen. Lässt man sich davon nicht beeindrucken, führt das nicht zu weniger Lesenden, sondern zu anderen. Ich kann auf meinem Blog inzwischen kritische Artikel über die Querdenker-Szene veröffentlichen, ohne ständig beschimpft zu werden – und habe dennoch zwischen 10000 und 20000 Zugriffe im Monat.

Ich halte es jedenfalls für einen großen Fehler, wenn das Landratsamt sich nun bei dem Thema von Facebook zurückzieht. Das wird von der anderen Seite sicherlich als großer Erfolg verbucht.“

Ich weiß auch nicht, ob es eine gute Idee war, die Jugendlichen nur als „feierwütig“ und nicht als verantwortungsbewusst hinzustellen. So oder so aber hätte man sich die Reaktion denken können. Das muss man aber aushalten, statt sich wegzuducken. Und die Pöbler halt konsequent löschen bzw. sperren. Warum schafft eine große Behörde nicht, was ich immer wieder im Alleingang hinbekomme?

Was ich aber noch schlimmer finde: Seit Jahren mache ich die Erfahrung, dass normale Journalisten Augen und Ohren zukneifen, wenn es um Blogs und andere soziale Medien geht. Offenbar fürchtet man die Konkurrenz derart, dass man diese Entwicklungen schlicht verdrängt. So ist der nächste Reinfall vorprogrammiert.

Diese Strategie verfolgt man offenbar auch weiterhin: Außer einer automatisierten Empfangsbestätigung gab es auf unsere Mail keinerlei Reaktionen.

Daher gestehe ich offen: Ich vermag in das Gejammer zum „Zeitungssterben“ nicht einzustimmen!     

Quelle: „Mehr Kritiker als Influencer“ (Pfaffenhofener Kurier, 14./15.8.21, S. 23)

P.S. Liebes Landratsamt, so könnte ein Werbevideo fürs Impfen aussehen:

https://www.youtube.com/watch?v=cy9ZbqgwyRQ

Update 21.8.21: Nun hat die Lokalzeitung doch tatsächlich bei uns angerufen und heute den Leserbrief meiner Frau in gekürzter Form veröffentlicht (S. 24). Was mich noch mehr wundert: Die Stellen, in denen von meinen Blogger-Aktivitäten die Rede ist, blieben stehen! Offenbar lernt man doch dazu, wenn die Not groß ist...

Ich bin sehr gespannt, ob man sich querdenkerseits nun zu Kommentaren auf meiner Seite aufschwingt. Schon mal der Hinweis: Dann bitte in halbwegs höflicher Form, gell? Jedenfalls, wenn man auf eine Veröffentlichung Wert legt!

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