Muss der Landtag fallen?

 

Huch, will man nun den Bayerischen Landtag abschaffen? Nun, ganz so schlimm ist es vorerst noch nicht:

Ein „Bündnis Landtag abberufen“ darf nun laut Bekanntmachung des Innenministeriums ein Volksbegehren durchführen – mit dem Ziel, dass sich das bayerische Landesparlament per Volksentscheid auflösen muss und es Neuwahlen gibt.  

Plebiszitäre Elemente sind unserer Landespolitik nichts Neues. Mit der Gründung des Freistaats Bayern 1919 wurden bereits in der Bamberger Verfassung auf Landesebene die direkt-demokratischen Instrumente Volksbegehren und Volksentscheid eingeführt. Auch die Verfassung des Freistaates Bayern von 1946 sah von Anfang an die Volksgesetzgebung als Ergänzung zur repräsentativen Demokratie vor.

Zur Zulassung eines Volksbegehrens sind 25000 Unterschriften Wahlberechtigter erforderlich. Es wird dann eine Frist von 14 Tagen festgesetzt, in der die Wähler sich in entsprechende Listen ihrer Gemeinde eintragen können. Für den Erfolg eines Volksbegehrens müssen es mehr als 10 Prozent der Wahlberechtigten unterstützen (derzeit ca. 950000 Bürger). Dann muss die Staatsregierung dazu eine Stellungnahme abgeben und es dem Landtag unterbreiten. Lehnt dieser die Gesetzesvorlage des Volksbegehrens ab, findet innerhalb von 3 Monaten ein Volksentscheid statt. Erreicht das vorgeschlagene Gesetz dort eine Mehrheit, ist es beschlossen.

Die Auflösung des bayerischen Landtags ist ebenfalls durch ein Volksbegehren möglich, jedoch mit diesen Besonderheiten:

Nach Art. 18 (3) der Bayerischen Verfassung kann der Landtag auf Antrag von einer Million (also derzeit 10,5 Prozent) wahlberechtigter Staatsbürger durch Volksentscheid abberufen werden. Im Erfolgsfall finden Neuwahlen spätestens am 6. Sonntag nach der Auflösung statt.

https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayVerf-18

https://de.wikipedia.org/wiki/Direkte_Demokratie_in_Bayern

https://de.wikipedia.org/wiki/Volksgesetzgebung_in_Bayern

Wie wird das neue Volksbegehren nun begründet? Interviews geben die Initiatoren bislang nicht. Aber man kann sich auf ihrer Website informieren:

„Der Landtag muss fallen!!!“ liest man dort in Großbuchstaben, denn am „Parteienwesen“ könne „kein ehrlicher Bürger genesen“. Wir seien „auf dem direkten Weg aus der Demokratie in die Diktatur“. Ob durch solche Volksbegehren, wird nicht verraten…

Das Vertrauen der Bürger sei „schamlos missbraucht“ worden. Man habe es heute mit Berufspolitikern zu tun, deren Arbeit ausschließlich von ihrer Partei bestimmt werde. „Der Fraktionszwang ist Religion.“ Kritiker würden denunziert und diskreditiert. In Deutschland werde jetzt „über Ermächtigungen und Verordnungen durchregiert“. Der Landtag habe „momentan keine Gesetzgebungskompetenz mehr“. Es stelle sich die Frage, ob man nicht „den Landtag ganz abschaffen“ solle.

Politisch habe Deutschland „so gar nichts mehr mit einer Demokratie zu tun“. Das Volk im eigenen Land habe „hinter dem Wohl Europas, ja der ganzen Welt zu stehen“.

https://buendnis-landtag-abberufen.de/

Es wäre nicht das erste Mal, dass zugestandene Schwächen der repräsentativen Demokratie von totalitär Gesonnenen dazu missbraucht werden, um gnadenlosen Populismus zu verbreiten: Die dumpfe Idee, „das Volk“ wisse es besser als seine korrupten Vertreter in der „Quasselbude Parlament“, muss alles rechtfertigen. Wer wissen möchte, wie ein wirkliches Scheinparlament aussieht, sollte sich historisch über den Deutschen Reichstag zwischen 1933 und 1945 informieren:

Nach dem 17. Mai 1933 trat der lediglich aus Abgeordneten der NSDAP bestehende Reichstag nur noch zu 18 Sitzungen zusammen. Zwar besaß er formal noch ein Gesetzgebungsrecht, doch wurden nach der Verabschiedung des „Ermächtigungsgesetzes“ von den annähernd 1000 Reichsgesetzen nur noch sieben Gesetze vom Reichstag beschlossen. Die letzte Sitzung des nationalsozialistischen Reichstages fand am 26. April 1942 statt. Alle Abstimmungen im nationalsozialistischen Reichstag fanden einstimmig und ohne Aussprachen statt. Ausschüsse und Fraktionen existierten nicht. Die wenigen Sitzungen des Parlaments dienten neben der Verabschiedung von Gesetzen der Verkündigung von Hitlers Regierungserklärungen.

https://www.bundestag.de/resource/blob/190458/e8f380a84d78d9ad730377ad9320285f/scheinparlament-data.pdf

Wer einem solchen Volksbegehren zustimmen möchte, sollte sich auch damit beschäftigen, wer es veranstaltet. Im Bescheid des Innenministeriums und im Impressum der „Bewegung“ (man nennt sich tatsächlich so) werden Joachim Layer und Karl Hilz genannt.

Layer wird auch als 1. Vorstand der „WirPartei“ bezeichnet – nicht zu verwechseln mit der Partei „WiR2020“, die vor etwa einem Jahr von Bodo Schiffmann mitgegründet – und dann wieder verlassen – wurde. Daneben macht im Querdenker-Zusammenhang die hier ebenfalls beteiligte Partei „dieBasis“ von sich reden.

Layers Organisation dagegen wird noch nicht einmal von Wikipedia als Partei geführt – außer ihrer Website gibt es kaum Informationen über diese „Gemeinschaft der Bürger“.

https://wirpartei.online/

Über den Parteichef selber weiß das Internet nichts – kein Bild, keine Personenbeschreibung. Ich stieß lediglich auf die Website eines Reptilienhändlers:

http://www.big-snake.de/

Desto mehr ist über den pensionierten Polizeibeamten Karl Hilz bekannt, welcher im Impressum als Vertreter von „Querdenken-089“ geführt wird.   

Er war Mitglied bei den Freien Wählern, die ihn 2012 rausschmissen. Wegen seiner Äußerungen auf Corona-Demos wird er vom Verfassungsschutz beobachtet, gegen ihn läuft ein Disziplinarverfahren.

Er bezeichnet gewählte Politiker als „Hochverräter“, die „Krieg gegen die eigene Bevölkerung führen – einen Vernichtungskrieg“ und damit für einen der „größten Genozide der Menschheitsgeschichte“ verantwortlich seien. Hilz rief Polizeikräfte und Staatsanwaltschaften dazu auf, gegen Politikerinnen und Politiker vorzugehen. Den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder bezeichnete er als „Katastrophe“ und forderte, dieser müsse „schnellstmöglich aus dem Amt gejagt, festgenommen, eingesperrt und vor das Kriegsverbrechertribunal geschickt werden“.

https://www.br.de/nachrichten/bayern/corona-demos-polizist-im-fokus-des-verfassungsschutzes,STobDCT

Da ich mich auch zum „Volk“ zähle, lege ich Wert auf die Feststellung, dass ich bitteschön nicht von Leuten vertreten werden möchte, welche die Sprache der Unmenschen pflegen.

Dabei bin ich der Letzte, welcher es gut findet, dass unser Freistaat seit 1957 von der CSU dominiert wird. Dass sich dabei ein „Filz“ bildet, ist klar – und deshalb habe ich diese Partei in meinem Leben noch nie gewählt. Dennoch muss ich akzeptieren, dass ihre Regierungsarbeit immer wieder große Teile der Wähler überzeugt.

Dies zeigen auch die bislang stattgefundenen Volksbegehren: Seit 1946, also in 75 Jahren, gab es gerade einmal 21 davon – und nur 9 waren mit mehr als 10 Prozent der Unterschriften erfolgreich. Ganze 6 konnten sich weitgehend als entsprechendes Gesetz etablieren.

Viel mehr scheint die Wähler zu interessieren, was in ihrer Kommune vor sich geht: Solche Bürgerbegehren und Bürgerentscheide sind seit 1995 möglich – übrigens als Ergebnis eines Volksbegehrens. Bis 2010 gab es knapp 1000 solcher lokaler Abstimmungen – zirka die Hälfte davon war erfolgreich.

Nehmen wir einmal an, dieses abstruse Volksbegehren käme durch und würde sogar per Volksabstimmung bestätigt – ja, und dann? Es gäbe Neuwahlen mit einem wahrscheinlich höheren CSU-Anteil. Schließlich hat sich Söder als Krisenmanager durchaus Pluspunkte verschafft. Und glaubt man ernsthaft, eine der immer wieder wechselnden Kleinparteien der Querdenker käme in den Landtag?

Aber darum geht es den Initiatoren wohl gar nicht. Man sucht schlicht ein Mittel, unser parlamentarisches System zu destabilisieren. Diese „Bewegung“ nutzt exzessiv alle Rechte unseres freiheitlichen Staates, ist aber zu einer wichtigen Konsequenz nicht bereit: Mehrheiten und Niederlagen anzuerkennen. Man sieht es an ihren Demos: Man geht notfalls bis zum Verfassungsgericht – aber wenn man dort verliert, rennt man trotzdem auf die Straße.

Diese Leute sind alles Mögliche – aber keine Demokraten. Das sollte man bei diesem Volksbegehren wissen.

Was sind sie dann? Erich Kästner schrieb mit Blick auf die Antidemokraten seiner Zeit: „dumm und nicht auserwählt“. Wahrlich: Mit solchen Leuten ist kein Staat zu machen.


https://www.youtube.com/watch?v=gIJHCpq7ccE

Kommentare

Hinweis zum Kommentieren:

Bitte geben Sie im Kommentar Ihren vollen (und wahren) Namen an und beziehen Sie sich ausschließlich auf den Inhalt des jeweiligen Artikels. Unterlassen Sie herabsetzende persönliche Angriffe, gegen wen auch immer. Beiträge, welche diesen Vorgaben nicht entsprechen, werden – ohne Löschungsvermerk – nicht hochgeladen.
Sie können mir Ihre Anmerkungen gerne auch per Mail schicken: mamuta-kg(at)web.de – ich stelle sie dann für Sie ein.