Hacke Spitze

 

Ein Hut, ein Stock, ein Regenschirm
Vorwärts, rückwärts, seitwärts, ran
Hacke, Spitze, hoch das Bein

(Kinderlied)

Disclaimer:

Da ich mich strikt weigere, meine geliebte Muttersprache im Gender-Sumpf zu versenken, verwende ich für die Begriffe „der/die/das Führende(r)“ bzw. „der/die/das Folgende(r)“ die Ausdrücke „Mann“ und „Frau“ – gleichgültig, ob es sich bei der/dem Betreffenden bio- oder soziologisch um eine männliche, weibliche oder irgendwo dazwischen angesiedelte Existenz handelt!

 

In der bewussten Tango-Facebookgruppe, aus der man nicht zitieren darf, tauchte in den letzten Tagen eine interessante Erkundigung auf:

„Ich habe eine Frage zu Setzen der Füße der Folgenden. Wie seht ihr es? Soll die Folgende verspätet die Füße setzen oder genau im Tempo des Führenden?“

Wenn der Deutsche sich bemüßigt sieht, emotionale Tätigkeiten rational zu beschreiben, verspricht das meist eine satirische Fallhöhe – so auch in diesem Fall.

Was ich bereits an der Frage lustig finde: Dass die Frau die Füße eher setzt als der Mann, wird von vornherein ausgeschlossen.

Der Philosoph ist gut beraten, sich zunächst der körperlichen Besitzverhältnisse und der statischen Grundlagen zu versichern:

„Das ist nicht nur eine technische Frage, sondern eine philosophische! Technisch gesehen gehören die Beine dir und du solltest dich so bewegen dass du nicht stürtzt sondern immer balanciert bist!“

In der Liebe wie beim Tango ist das Zählen anzuraten:

„Ich kann z.B. jeden zweiten Takt nehmen“ (Gut, dann fehlt halt die Hälfte!)

„Die oder Der Folgende sollte so geführt werden, dass das Bein auf 1 und 3 gestreckt wird und auf 2 und 4 belastet wird, alles klar?“

„Eher andersrum. Vieles funktioniert sonst gar nicht. Sacadas z.b. Ist aber generell gut, man weiss ja doch nicht so ganz genau, wo die folgende ihren fuss hinsetzt. Und wenn du dir videos in zeitlupe anschaust : das ist der Trick.“

„Wenn man nicht weiß, wo die Folgende ihre Füße hinsetzt, liegt das entweder an mangelnden Tanzkenntnissen der/des Führenden, der/des Folgenden oder beiden. Ich bitte um Verzeihung, wenn das harsch klingt, aber es ist so.“

Letzterer Beitrag darf bei einer technisch geprägten Diskussion hierzulande nicht fehlen: das Kompetenz-Argument!

Was bei vielen Antworten durchschimmert, ist die bewährte Vorstellung, dass der Mann beim Tango letztlich das Sagen hat. Die Frau hat das Gewünschte halt auszuführen, und zwar zackig:

„In meiner Welt bietet die/der Führende genau den gewünschten Platz an, den wiederum die/der Folgende genau einnimmt.“

„Einer meiner Lehrer sagte, der/die Führende setzt den Fuß der/des Folgenden. (…) Aber es gibt natürlich auch Folgende, die die Führung hin und wieder ‚ausbremsen‘, weil sie denken, es soll da oder dort hingehen und dadurch nicht auf das Geführte achten.“

„Der Führende führt den Schritt und setzt dann mit(!) der Folgenden den Fuß. Sofern es das ist, was er wünscht.“

„Ich habe immer gedacht, ich müsste den Schritt ganz genau zeitgleich mit dem Führenden gehen. Hatte zur Folge, dass ich oft eher zu früh war und auch Signale missverstanden habe. Meine Lehrer haben mir beigebracht, zu warten.“

„Der/Die Folgende(r) setzt den Fuß kurz nach dem Führenden auf um bei jeder musikalischen Interpretation und bei jeder Schrittlänge dazu zu passen.“

Und „Hacke Spitze“ ist ja bei jedem Tanz von zentraler Bedeutung:

„führender beim vorwärts lauf und rückwärts für die folgende: seine Hacke und ihre Spitze zeitgleich und seine Spitze und ihre Hacke zeitgleich..  Wenn beide Haken gleichzeitig auftreffen wird die Dame bereits den nächsten Schritt initiiert haben. Gründe muss man auf beiden Parteien suchen.“

Mindestens. Vielleicht auch beim Urheber solcher Äußerungen. Karl Kraus hatte dazu schon 1925 eine Erklärung:

„Es genügt nicht, keinen Gedanken zu haben: Man muss ihn auch ausdrücken können."  ( „Die Fackel", 697-705)

Immerhin kommt auch der Tango-Softie zu Wort:

„Ich gebe meiner partnerin damit das gefühl, ich hätte ihren fuss genau dahin geführt, wo sie ihn hingesetzt hat. Gut für die stimmung.“

Das kommt immerhin in die Nähe eines Satzes, den man auch in meinem Tangobuch findet: „Führen heißt, dass der Mann das mittanzt, was er nach Ansicht der Frau geführt hat.“

Eine lustige Debatte – schon weil in guter Facebook-Tradition kaum jemand auf die gestellte Frage eingeht. Einem Scheiber schwant das nach einem längelangen Beitrag sogar:

„Oh man, mir fällt immer mehr und mehr ein, was ich noch alles schreiben könnte. Ich weiß nicht mal, ob ich wirklich DIE Frage beantwortet habe, die du gestellt hast.“

Nein, wäre ja noch schöner!

Aber wer setzt denn nun seine Hufe als Erster auf? Glücklicherweise äußert sich auch ein Tangolehrer:

„Führende wie Folgende bringen zum Zeitpunkt des Taktschlages die Füße (und in der Regel auch das Gewicht) auf den Boden. Und das gleichzeitig, wobei das andere Bein in der Regel entlastet ist.“

Ja, das kann schon sein, wenn man die Schuhe von Mann und Frau aneinander tackert. Oder völlig auswendig gelernte Folgen tanzt. Vielleicht auch, wenn sie eine Katze und er eine Kristallkugel mitbringt…

Aber wie denn dann? Sehen wir nun betroffen die Beine hoch und alle Schritte offen?

Ich gestehe, dass mich das Problem noch nie umgetrieben hat. Mir kommt es so vor, als wenn man sich den Werken Picassos mit der Frage nähert, wie oft der pro Quadratmeter Gemälde den Pinsel eingetunkt hat.

Mein Ansatz ist halt, dass Paartanz ein Dialog ist, bei dem einer oder eine agiert und der oder die andere reagiert, die Führungsrollen" sich abwechseln. Und da die menschliche Reaktionszeit zwischen 0,2 und 0,3 Sekunden liegt, wird der Reagierende stets etwas später kommen. Oder so.

Aber glücklicherweise haben wir ja Tangolehrer, welche uns die Synchronisation der Bewegungen perfekt vorführen. Und das geht zumindest so lange gut, wie man uninspiriert voreinander her latscht. Aber ein wenig Hacke und Spitze ist sogar in diesem Video zu sehen:


https://www.youtube.com/watch?v=7CYdgmkJwJE

Quelle: https://www.facebook.com/groups/tangoforum/ (1.8.21)

Kommentare

  1. ich hatte mal eine Reitlehrerin, mit der ich einen Kurs bei ihrem Ausbilder besuchte. Als es bei Ihr nicht so gut klappte, sie hat bei dem Kurs als Assistentin geholfen, meinte der Ausbilder zur ihr: „Du musst in das Pferd fühlen…..“ Daraufhin nahm sie ihren Notizblock und schrieb sich auf: „Ich muß in das Pferd fühlen!“ Ich habe mir darauf hin eine andere Reitlehrerin gesucht.
    Mich würde mal interessieren wieviele der oben genannten bei dem Satz. „Ihr müßt euren Partner fühlen.“ auch ihen Notitzblock zücken würden!?

    Thomas Claussen

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    1. Meine Schwägerin war lange Jahre eine passionierte Reiterin. Als sie mein Tangobuch las, fielen ihr Parallelen zwischen unserem Tanz und dem Reitsport auf: Dort gebe es auch solche, die dem Pferd ihren Willen aufzwingen wollten und andere, welche mit dem Tier gemeinsam arbeiteten.

      Aber ein Notizblock? Heute gibt es doch Smartphones - siehe Video...

      Danke für die schöne Geschichte und beste Grüße!

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  2. Robert Wachinger30. August 2021 um 19:32

    Zum Thema "Führen" fällt mir immer eine Bemerkung meiner allerersten Tangopartnerin ein (die mich damals zum ersten Anfängerkurs gebracht hat):
    "Führ halt das, was ich gerne tanzen will!"
    eine auf den ersten Blick recht widersprüchliche Ansage.

    Aber sie hatte sowas von recht.

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    1. Allerdings! Ich finde das eine sehr vernünftige Ansage.

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