Gerhards Tandas 1

 

Ich möchte die momentan wieder einmal tobende Schlacht um die Encuentros kurz verlassen und eine neue Reihe beginnen. Die soll daran erinnern, dass es manchen beim Tango ja doch um Musik und Tanz geht.

Wegen der Entspannung im Corona-Bereich dürften bald die Freiluft-Milongas beginnen, und da wäre es ja nicht schlecht, sich schon mal ein wenig einzutanzen. Welche Musik ich dazu vorschlage, könnte man ja den derzeit 68 Playlists entnehmen, die sich auf meinem Blog befinden:

https://milongafuehrer.blogspot.com/search/label/Playlists

Man sieht dort lange Listen von Musiktiteln, nach denen man allerdings auf YouTube oder Musikportalen erst suchen müsste, was vielen sicherlich zu umständlich ist. Daher möchte ich unter dem Label „Gerhards Tandas“ von Zeit zu Zeit je vier Titel vorstellen und jeweils mit einem YouTube-Video verlinken. Und etwas dazu erzählen.

Man könnte also in einer freien Viertelstunde einfach mal den Teppich wegrollen und per Mausklick die Musikfolge tanzen – gerne auch auf Socken und ohne Partner(in).

Der Begriff „Tanda“ ist nicht im konservativen Sinn zu verstehen, da mir die komplizierten Zusammenstellungs-Regeln wurst sind. Allerdings werde ich dabei schon einen bestimmten Künstler präsentieren – ob nun einen Orchesterchef, Instrumentalisten oder Sänger. Ich werde versuchen, ein möglichst breites Musikspektrum darzustellen – zumeist allerdings klaren Tango.

Beginnen möchte ich mit einem Komponisten, Bandoneonspieler und Orchesterchef, bei dem ich mich schon lange frage, warum er von „Experten“ nicht zu den „Großen Vier“ (oder Fünf) der EdO gezählt wird: Osvaldo Nicolás Fresedo (1897-1984):

Schon 1913  begannen seine musikalischen Auftritte, zunächst mit seinem Bruder Emilio an der Violine. Bereits Anfang der 20-er Jahre hatte er ein eigenes Orchester – bis 1980 produzierte er über 1250 Aufnahmen. Fresedos „Sound“ erkennt man leicht an der grandiosen Eleganz und Gebundenheit seiner Interpretation – wunderschön zu vertanzen! Er komponierte Tango-Welterfolge wie „Vida mía“, „Sollozos“ und „Arrabalero“. Unvergesslich sind auch seine Ausflüge in den Jazz, beispielsweise mit dem Trompeter Dizzy Gillespie. Mit einer Spielzeit von 63 Jahren ist sein Orchester das am längsten aktive unter den Künstlern der „Goldenen Ära“.

Nach meinen Erfahrungen ist eine Fresedo-Schnulze das probate Mittel, um sofort das Parkett zu füllen. Nummer eins in dieser Kategorie ist sicherlich der Hit „Vida mía“ („Mein Leben“) – 1933 von Osvaldo Fresedo selber komponiert und von Bruder Emilio getextet. Meine favorisierte Aufnahme stammt aus dem Jahr 1952, als Fresedo für 5 Jahre mit meinem Lieblingssänger Héctor Pacheco (1918-2003) zusammenarbeitete. Ich kenne keinen anderen Tangotenor mit einem solch polierten Schmelz.

Teppich zurückgerollt? Socken oder Tanzschuhe an? Dann los:

https://www.youtube.com/watch?v=JPpaz-6rNIQ

Da zu viel Süßes auf einmal ungesund ist, wechseln wir nun zu einer Fresedo-Milonga mit deutlichen Anklängen des schwarzen Candombe-Rhythmus:  El Tamborilero“ (Der Trommler) nannte der Komponist Roberto Pérez Prechi sein Stück, das 1959 aufgenommen wurde. Passend zum Titel, aber untypisch im Tango sind die Percussion und kurze Chor-Einwürfe:

https://www.youtube.com/watch?v=KnlxT7_aIiQ

Das Angebot an süßen Melodien ist bei Fresedo riesig. Ich habe mich für den Titel „Única“ („Einzige“) von Eugenio Majul (Text) und Roberto Pérez Prechi (Musik) entschieden, den Fresedo 1961 mit dem Schauspieler und Sänger Hugo Marcel (geb. 1942) aufgenommen hat. Eine nähere Besprechung mit dem spanischen Text und einer deutschen Übersetzung findet man auf meinem Blog:

https://milongafuehrer.blogspot.com/2019/10/unica.html


https://www.youtube.com/watch?v=4Pt2za5Mdzg

Zum Schluss geht es nochmal in die Vollen: Ebenfalls 1961 hat Fresedo die Milonga „Capicúa“ (katalanisch für „Kopf und Schwanz” - im Sinne von "Palindrom") von Roberto Nievas Blanco aufgenommen. Man muss es den „alten Säcken“ schon lassen: Mit welcher Energie die das Parkett geflutet haben, ist fallweise sensationell. Wieso viele konservative  DJs stets die langweiligeren Titel spielen, bleibt deren Geheimnis…

Vorab die Warnung: Das Stück enthält rhythmisch etliche ziemlich verzinkte Stellen. Wer also vorwiegend auf Encuentros tanzt, sollte vielleicht erstmal zuhören!

https://www.youtube.com/watch?v=7EJHE9LahL0

Liebe Leserinnen und Leser,

hoffentlich konnte ich einige von Ihnen zum Tanzen animieren – und nicht etwa zum Abspulen ideologischer Textbausteine. Auf jeden Fall wird es eine Fortsetzung geben – stay tuned!

Kommentare

  1. Johanna de Fries21. Mai 2021 um 12:12

    Du schreibst :„Vida mía“ („Mein Leben“)

    Das ist die wortwörtliche Übersetzung, aber leider nicht korrekt.
    Macht aber nichts, weil ja viele Tango-Blogger ja kein Spanisch können.
    Wenn man sich mal die Letra durchliest, kommt man zur richtigen Übersetzung:

    vida mía! : mein Liebling!, mein Schatz!

    Findet übrigens auch der Unkundige des Spanischen mit Hang zur oberlehrerhaften Belehrung in Langenscheidt's Wörterbuch, Bedeutungsebene Nr. 6 .
    Wenn er sich Mühe gibt.

    Bis zum nächsten Mal
    Johanna de Fries

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  2. Liebe Johanna de Fries,

    besten Dank für die Belehrung. In einer mir bekannten Übersetzung steht als Titel "Du, mein Leben". Na ja, wie der einzelne Mann seine Partnerin anspricht, ist halt ein weites Feld...
    http://www.tango-rosetta.com/canciones/vida_mia.htm

    Dass meine Spanischkenntnisse auf mein Schullatein und einige Wörterbücher zurückgehen, habe ich schon 2010 in der ersten Fassung meines Tangobuches gestanden.

    Sinn meiner neuen Reihe ist allerdings, dass sich die Leser anschließend aufs Parkett stürzen und nicht in Lexika kramen.

    Beste Grüße
    Gerhard Riedl

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