Ein Hoch auf's Diskutieren!

 

Mein Artikel „Wir da oben, ihr da unten“, in dem ich mich kritisch mit dem Verein „proTango“ auseinandersetzte, hat rekordverdächtiges Interesse gefunden: Meine Blog-Statistik verzeichnet derzeit 899 Direktzugriffe. Selbst das Berliner „Tango Radio Babylon“ wurde darauf aufmerksam und bat mich um eine Stellungnahme, die gestern im Programm lief. Auf meinem Blog gibt es 21 Kommentare dazu.

Die meisten stammen von dem Essener Tangolehrer Klaus Wendel, der sich seit langer Zeit immer wieder zu meinen Aktivitäten äußert. Manchmal lobt er mich sogar, meist aber schickt er mir lange und ziemlich vernichtende Beurteilungen.

Meiner armen Frau fällt dann der Part zu, diese unbedingt lesen zu müssen, da mir ihre Sichtweise stets sehr wichtig ist. Vorgestern verschwand sie schließlich für etliche Stunden in ihrem Arbeitszimmer, um mir anschließend den folgenden Text zu schicken. Ich bin ihr für die Zusammenfassung sehr dankbar. Daher nun der Gastbeitrag von Karin Law Robinson-Riedl

  

Ein Hoch auf’s Diskutieren!

Zu der ellenlangen Auseinandersetzung zwischen Gerhard Riedl und Klaus Wendel ein paar Gedanken:

Ein gewisser Konsens zwischen Gerhard Riedl (GR) und Klaus Wendel (KW) besteht offenbar hierin: Die Verwendung der BegriffeWeltkulturerbe Tango, Tangokulturschaffende und Tango-Professionals“ sei diskutabel und „die Forderungen der Petition im Speziellen“ ebenfalls (KW, 3.5.). Das lässt hoffen, wird jedoch bei KW nicht vertieft.

Kommunikation mit proTango e.V.:

KW beanstandet stattdessen, dass GR sich mit seiner Kritik nicht, wie er selbst, direkt an den Verein gewandt habe. Dies wäre sinnvoll gewesen, denn, so KW, er „hatte dort mit kompetenten Leuten zu tun, die durchaus reflektieren können, was sie schreiben und veröffentlichen.“ (KW, 3.5.)

GR begründet sein Vorgehen: „Ich sehe auch keinen Anlass, mich persönlich an Leute zu wenden, die meine Ansichten als dumm hinstellen und ankündigen, mich hinfort zu ignorieren. Oder die mich jahrelang beschimpft haben, weil ich es wagte, ein Tangobuch zu schreiben.“ (GR, 4.5.)

KW liefert leider keinen Beleg für die positiven Reaktionen seiner Ansprechpartner, wohingegen für GRs gegenteilige Aussage eine Fülle von wörtlichen Zitaten verschiedenster Diskutanten im Netz zu finden sind und auf Wunsch geliefert werden könnten.

Ein Beispiel für dieses Phänomen gibt KW jedoch selbst:

Ich hatte mir ernsthaft eine Zeit lang vorgenommen, Ihre Beiträge zu ignorieren, wie es mir etliche Freunde geraten haben. (KW, 3.5.)

Hierarchische Verhältnisse im Tango

KW hält GRs These, es verstehe sich der „Verein proTango als ‚Obrigkeit‘ der Tangoszene“, für ein Fantasieprodukt (KW, 3.5.). Er betont, dass es jedem völlig frei stehe, seine Milonga individuell zu gestalten.

GR hält dem entgegen, dass sehr viele Milonga-Veranstalter dem „traditionell“ geprägten Mainstream folgten (mit den üblichen Versatzstücken wie Ronda, EdO-Musik, Códigos). Man gebe sich hier meist nicht die geringste Mühe, auch anderem, moderner ausgerichtetem Musikgeschmack Rechnung zu tragen. (GR, 4.5.)

Warum ist dies so? Im Gegensatz zu den Jahren, in denen wir anfingen Tango zu tanzen, hat sich die letztgenannte Richtung immer mehr durchgesetzt. Das wäre grundsätzlich als (traurige) Entwicklung hinzunehmen, wenn nicht eine unselige Spaltung damit einhergegangen wäre.

Der Mainstream gerierte sich zunehmend als regel- und tonangebend. Davon abweichende Musik, Tanz- und Verhaltensweisen (siehe Aufforderungsriten) auf Milongas (wiewohl im mitteleuropäischen üblichen Rahmen!) wurden mehr und mehr kritisiert, als „ungültig“ abgetan, mit dem Makel des Tango-Untypischen stigmatisiert und schließlich in eine Außenseiterecke zurückgedrängt.

Als eine interessante Vorform dieser Erscheinung sehe ich die durchaus nett gemeinte (!) Geste einiger Milonga-TJs, die mit deutlichem Blick auf GR verkündeten, sie würden jetzt gleich einen Piazzolla-Titel spielen!

Bestenfalls mitleidig belächelt werden heute diejenigen, die musikalische Vielfalt im Tango schätzen, ihre Tanzweise frei und individuell gestalten wollen, schlimmstenfalls jedoch beschimpft und ausgegrenzt.

Zu Letzterem bietet das Internet besonders reichhaltige Möglichkeiten, zumal sich viele dort hinter ihrem Pseudonym verstecken können. KW und einige andere bilden hierzu eine rühmliche Ausnahme.

Die Kritik GRs an der zunehmenden Reduzierung der Milonga-Musik auf die EdO beurteilt KW so:

„Nach jahrelangem Hin-und Her über Ihre Proklamation, dass Piazzollas Musik allgemein als publikumstaugliche Milonga-Tanzmusik tauglich sei, gelingt es Ihnen immer noch nicht, zwischen persönlichen Musikvorlieben und dem Konsens für gut tanzbare Musikstücke für eine Allgemeinheit zu unterscheiden. Sie reden ständig damit an allgemeinen Bedürfnissen des Großteils der Tangoszene vorbei.“ (KW, 7.5.)

Dieses Statement ist sehr aufschlussreich:

Es wird unterstellt, dass GR nicht zwischen persönlichem Geschmack und allgemeinem Konsens unterscheiden könne. Halte ich für eine gewagte Behauptung.

Konsens gebe es, laut KW, offenbar bezüglich der allgemeinen Bedürfnisse des Großteils der Tangoszene. Folgerung: Der Milonga-Veranstalter habe sich also um publikumstaugliche Musik zu kümmern.

Mit Verlaub: Mehr Mainstream geht nicht und mehr Absage an kleinere Interessengruppen auch nicht! Oder auf Bayerisch: „Die Mehrer’n san die Schwerer’n!“

Drängt sich hier nicht der „Obrigkeitsanspruch“ geradezu auf? Zumal, wie oben dargetan, die Minderheitenbedürfnisse klar als völlig daneben abgetan werden!

Und das in Zeiten, wo Minderheitenschutz (angeblich?) sakrosankt ist!

Oder ist es die Angst vor dem Verlust der „Kundschaft“ für Milongas respektive Tangounterricht?

„Wir Tangoprofis sind uns doch alle bewusst, dass Tänzer*innen, Tanzschüler*innen unsere Kunden und Gäste sind; dass auch eine gegenseitige Abhängigkeit besteht, wenn Menschen Tango lernen und in unseren Milongas tanzen möchten. Tänzer fallen übrigens nicht ausgebildet vom Himmel.“ (KW, 3.5.)

Hier stellt sich die berühmte Henne-Ei-Frage:

Orientieren sich die Milonga-Veranstalter an dem Wunsch der Besucher nach möglichst einfacher, damit für jedermann „tanzbarer“ Musik, weil sich die Tänzer dann nicht so anzustrengen brauchen, keine Angst vor Blamage haben müssen, weil es mehr um die „kuschelige Atmosphäre“ auf dem Parkett als um die tänzerische Herausforderung geht?

Oder gehorchen die Milonga-Besucher den „angesagten Regeln“ derer, die den „wahren Tango“ kennen, weil sie selbst aus dem Mekka des Tango stammen oder diesen dort erlernt haben? Wer wollte als Fußvolk da widersprechen oder gar aus der Reihe tanzen, sich als Unkundiger blamieren?

Wie wäre es damit, endlich die Überheblichkeit fallen zu lassen?

„Auch ich lege nicht jedes Stück auf, nur weil es von Piazzolla ist, sondern nur dann, wenn ich meine, es sei tänzerisch interessant und anregend. Das unterscheidet ja Pragmatismus von Ideologie. (…)
Niemals jedoch habe ich Menschen deswegen verurteilt, weil sie Piazzollas Musik nicht mögen oder jedenfalls nicht dazu tanzen wollen. Der persönliche Geschmack, die individuelle Neigung ist mir heilig.“
(GR, 7.5.)

Wer lesen kann und hören will, müsste die Botschaft schon lange verstanden haben!

***

Herzlichen Dank der Gastautorin für diese Zusammenfassung! Ich glaube, meine Leserinnen und Leser tun sich nun leichter mit dem ellenlangen Kommentarteil zum obigen Artikel.

Ich danke aber auch Klaus Wendel für sein Engagement. Immerhin ist er einer der wenigen, welche mit mir streiten. Viele andere Tangogrößen halten es für besser, mich totzuschweigen.

Vielleicht schreckt die Herrschaften das Beispiel der Grünen ab, die sich immer wieder lautstark mit ihrem querköpfigen Mitglied Boris Palmer auseinandersetzen. Die Gefahr ist aber groß, dass so die kuschelig-spießige Wohnzimmer-Atmosphäre gestört wird, die sie für ihren „Wohlfühl-Wahlkampf“ benötigen.

Meine Tangofreundin und Illustratorin Manuela Bößel hat mir gestern das Bild einer Katze im rosa Regenmantel geschickt, welche vor einem Elefantenfuß steht. Das müsse doch, so meinte sie, für diesen Artikel passen. Auf meine Nachfrage hörte ich, sie habe das Bild für ihre Mama gemalt, eingedenk deren Spruches:

„Man muss genau hinschauen. Sonst übersieht man die Kleinen.“

www.tangofish.de

 Unbesorgt: Wenn die Kleinen laut genug sind, wird man sie nicht übersehen können – weder bei den Grünen noch im Tango!

Kommentare

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