Demenz und Dementis

 

Bei den „Rettern des Tango-Weltkulturerbes“ breitet sich nun doch Nervosität aus. Über einen gewissen Pörnbacher Blogger fällt zwar kein Wort – allerdings dementiere ich ausdrücklich nicht den Eindruck, dessen kritische Anmerkungen könnten eine wesentliche Ursache dafür sein.

Unter dem Titel „Weltkulturerbe Tango – ist das nicht elitäre Angeberei?“ veröffentlichte der Verein proTango gestern ein Dementi. Wie in der Politik üblich betont man dabei Selbstverständlichkeiten und drückt sich um den Kern der Verwürfe. Dafür gibt es sogar einen Fachbegriff:

„Von einem überspezifischen Dementi wird gesprochen, wenn mit der Absicht, eine Richtigstellung oder einen Widerspruch vorzutäuschen, das Dementi bewusst konkreter formuliert wurde als nötig. Dabei wird in der Regel nur eine (korrekte) Aussage zu einem Teilaspekt der Kritik getroffen. Die ursprünglich zu dementierende Aussage bleibt hingegen unwidersprochen, was allerdings auf den ersten Blick oftmals schwer zu erkennen ist.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Dementi

Ein meisterliches Beispiel hierfür lieferte der amerikanische Autor Mark Twain: Als er in einem Reisebericht schrieb, die Zimmer in einem bestimmten Hotel seien so klein, dass selbst die Ratten einen Buckel hätten, wurde er auf Widerruf verklagt. Der lautete wie folgt: „Die Ratten in diesem Hotel haben keinen Buckel.“

In diesem Sinne stelle ich fest: Nein, beim Weltkulturerbe Tango handelt es sich nicht um elitäre Angeberei. Bei manchen gefühlten Verfechtern dieses Kulturgutes bin ich mir da nicht so sicher.

Zumindest haben die Begriff „Dementi“ und „Demenz“ wohl nicht zufällig die gleiche semantische Wurzel: Das lateinische Wort „mens“ steht ja für „Geist“. Der muss die Autoren des Tango-Dementis schon bei der Bildauswahl verlassen haben: Über dem Titel prangt das Foto eines kolossalen Kolosseums, auf dessen weitem Parkett – unter einem imposanten Kronleuchter – ein Showpaar was vortanzt. Drum herum in zwei Etagen eine gigantische Menge von Bewunderern.

https://protango.de/weltkulturerbe-tango-ist-das-nicht-elitaere-angeberei/

„Elitäre Angeberei“? Ach geh…

Zu den Selbstverständlichkeiten im Text: Klar ist es ein hehres Ziel, kulturelle Errungenschaften der Menschheit unter besonderen Schutz zu stellen. Die Mäkelei, dass dazu auch Randerscheinungen wie das belgische Krabbenfischen mit Pferden gehören, ist eine. Und ja, Deutschland hat sich (übrigens erst 2013) wie 154 andere Staaten zum Schutz dieses Erbes verpflichtet.

https://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/boulevard_nt/article122587241/Krabbenfischen-mit-Pferden-ist-Weltkulturerbe.html

In der Praxis hat das natürlich vor allem deklaratorischen Charakter. Sicherlich würde sich die Bundesregierung gegen die Abschaffung des Tango argentino wehren. Die dürfte aber nicht zu befürchten sein. Ansonsten ist das mit der Kulturförderung hierzulande so eine Sache: Für einen Protzbau wie die Hamburger Elbphilharmonie hat man 866 Millionen Euro locker gemacht. Bei Kleinkunst wie Kabarett oder Tango ist man eher zurückhaltend. Den Zuständigkeits-Wirrwarr der Behörden gibt es gratis dazu. Wenn sich hier ein Berufsverband um Verbesserungen bemüht, ist das völlig okay.

Schön ist auch, dass man sich dort nun entschlossen gibt, aller Überheblichkeit zu entsagen:

Die Repräsentative Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit dient nicht dazu, einen elitären Kulturanspruch zu begründen. Tangotänzer*innen und Tangokulturschaffende halten sich deswegen nicht für besser oder wichtiger als andere.“

Vielleicht könnte man in der Tangoszene damit aufhören, sich ständig hochnäsig über den Standardtanz zu äußern, der auf einer wesentlich längeren Tradition fußt. Nur so als Anregung…

Irritierend jedoch, dass im selben Artikel steht, alle „Tangoenthusiasten“ kultivierten damit „eine Kunstform, in der Tanz, Musik und Poesie zu einer einzigartigen Form des getanzten künstlerischen Ausdrucks zusammenfließen.“ Es scheint doch nicht so einfach, nach vielen Jahren Gewöhnung noch die Nase von der Decke zu kriegen…

Die peinliche Kernfrage aber lautet: Vertritt proTango e.V. wirklich das UNESCO-Weltkulturerbe als Ganzes?

Interessanterweise zitiert man im Artikel Teile der Begründung der internationalen Organisation:

„In der Begründung für die Aufnahme des Tangos heißt es: ‚der Tango verbreite den Geist seiner Gemeinschaft auf der ganzen Welt […]. Musik, Tanz und Poesie des Tangos [fördern] Vielfalt und kulturellen Dialog. […] Zu dieser Gemeinschaft gehören heute Musiker, professionelle und Amateur-Tänzer, Choreografen, Komponisten, Songwriter, Kunstlehrer und die nationalen lebenden Schätze, die die Kultur des Tangos verkörpern.‘ (1)“

Noch aufschlussreicher ist allerdings, was man auslässt:

Als eine der bekanntesten Verkörperungen dieser Identität verkörpern und fördern Musik, Tanz und Poesie des Tangos Vielfalt und kulturellen Dialog. Er wird in den traditionellen Tanzlokalen von Buenos Aires und Montevideo praktiziert und verbreitet den Geist seiner Gemeinschaft auf der ganzen Welt, auch wenn er sich an neue Umgebungen und sich ändernde Zeiten anpasst.“

Na ja, mit „neuen Umgebungen und sich ändernden Zeiten“ hatte es das Personal, das sich für „deutsche Tangoprofessionals“ hält, nicht so. Da wurde es 20 Jahre lang von Tangokulturabschaffenden" zumindest geduldet, dass der Tango zum musealen Phänomen verkam. Lustig auch, dass man die UNESCO-Quelle zwar anmerkt, aber nicht verlinkt. Nicht, dass noch einer nachschaut... Okay, mach ich es halt:

https://ich.unesco.org/en/RL/tango-00258

http://milongafuehrer.blogspot.com/2020/06/meine-online-petition-die-tango.html

Da finde ich es zu wenig, jetzt nur den „Geist von Vielfalt und kulturellen Dialog“ zu beschwören. Nötig fände ich zunächst eine „Entstasifizierung“: Das klare Bekenntnis, eine Fehlentwicklung korrigieren zu wollen. Aber dazu werden viele Vereinsmitglieder nicht bereit sein. Das weiß man dort und drückt sich daher um klare Aussagen.

Wenn man nun aber das ganze Erbe beansprucht, obwohl einem nur ein kleinerer Teil zusteht, nennt das der Volksmund schlicht „Erbschleicherei“.

Immerhin, so lassen es manche Textpassagen des Dementis ahnen, ist man um etwas mehr Offenheit bemüht. Vielleicht irgendwann sogar darum, Kritiker weder zu ignorieren noch zu beschimpfen, sondern mit ihnen den Dialog zu suchen. Und die Bereitschaft, sich auch um modernere Tangoformen zu kümmern, könnte sogar staatliche Kultur-Sponsoren gnädig stimmen.

Ich habe jedenfalls mit den 68 Playlists auf meinem Blog mehr vom „Weltkulturerbe Tango“ präsentiert als dieser komische Verein und viele seine Mitglieder. Wer mal nachschauen will:

http://milongafuehrer.blogspot.com/search/label/Playlists

Wir haben zu jedem dieser Stücke getanzt und und hatten riesigen Spaß, obwohl wir dabei oft vom Hohn und Spott der Tangoszene begleitet wurden. Letztere Demenz könnte man auch mal dementieren.

Illustration: www.tangofish.de

 

Kommentare

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