„Tango – das Leben tanzen“

 

Auf den Autor Uwe Wolff wurde ich vor einem halben Jahr durch einen Text in der „Tangodanza“ aufmerksam. Es handelte sich um den Vorabdruck eines Kapitels seines geplanten Buches „Tango – das Leben tanzen“, welches mir so gut gefiel, dass ich einen Artikel dazu schrieb:

http://milongafuehrer.blogspot.com/2020/06/tango-tanzen-ist-nicht-immer-schon.html

Leider, so war zu lesen, sei das Buchprojekt wegen der Corona-Krise auf unbestimmte Zeit verschoben. Unvorsichtigerweise schrieb ich damals: „Sollte das Buch eines Tages doch noch erscheinen, werde ich sofort eines bestellen – notfalls sogar bei der ‚Tangodanza‘. Und es rezensieren. Versprochen!“

Vor einigen Wochen erhielt ich nun vom Autor das PDF des fertigen Buches: Es werde demnächst in Druck gehen, wohin er mein Exemplar schicken solle? Und nachdem ich das fertige Werk seit einigen Tagen in Händen halte, bespreche ich es natürlich gerne!

In zwölf „Lektionen“ beschreibt Uwe Wolff seinen Weg zum Tango, den er jeweils mit dem kulturgeschichtlichen Hintergrund von Musik, Text und Tanz verbindet. 

Der Ich-Erzähler hat ein typisches Tangoschicksal hinter sich: Nach 25 Jahren Ehe hat ihn seine Frau samt Kindern verlassen. Nun ist es seine Freundin Undine, die sich plötzlich entschließt, mit ihm Tango zu lernen. Zwei Jahre vorher noch erlebte er das gemeinsame Hobby einfacher:

„Als ich Undine kennenlernte, tanzte sie Flamenco. Um ihre Liebe zu gewinnen, lernte ich die Palmas. Im Flamenco müssen Männer nicht tanzen können. Es reicht, wenn sie den Tanz der Flamenca mit dem rhythmischen Klatschen der Hände begleiten oder die Gitarre spielen.“

Beim Tango jedoch habe der Mann zu führen, so jedenfalls die Ansage der Lehrerin Doña Martina – und zusätzlich sei eine neue Form des Gehens nötig, welche man erst in Jahren lerne – falls man eine „Tänzerseele“ habe. Unser Protagonist bezweifelt das erheblich, was natürlich zu Problemen mit seiner Partnerin führt:

„Wenn ich keine eindeutigen Führungssignale gebe, erwidert sie, könne sie auch nicht folgen. Aber ich lerne noch das Führen, da könne sie mir im Folgen entgegenkommen, sie wisse doch, wohin ich sie führen wolle.“

Ein Grund, warum ich das Buch so gern gelesen habe: Uwe Wolff versteht es meisterlich, seine Bosheiten mit galanter Unschuldsmiene zu servieren, was das Vergnügen an ihnen deutlich erhöht!

Satirisch vom Feinsten gezeichnet auch das (inzwischen getrennt lebende) Beziehungscoach-Paar Jasper und Jule:

„Es gibt Probleme, die lassen sich nur durch einen Fachmann richtig beurteilen. Er wird auch die angemessenen Lösungswege finden. Das ist mir klar. Jasper nickt. Er nimmt Undine in die Arme und führt sie so elegant wie zügig durch die Übung und legt zum Abschluss einige Figuren hin, die wir noch nie gesehen haben.“

Ebenso einen Spritzer Gift enthält der Bericht von einem Vortrag über „Die Dichter des Tango“ – natürlich der Anlass, die Leser mit den Größen argentinischer Dichtung wie Jorge Luis Borges oder – was den Tango betrifft – Homero Manzi bekanntzumachen. Auch Gardel und Discépolo werden natürlich, in deutschen Textübersetzungen, gebührend gewürdigt. Klar, dass dem Erzähler das Standardthema „Die untreue Frau“ besonders zu Herzen geht. Und von „Schindlers Liste“ spannt der Autor mühelos den Bogen zu „Por una cabeza“.

In welchem Viertel von Buenos Aires der Dozent Tango gelernt habe? In keinem – er tanze Salsa und Lindy Hop. Aber das Thema habe gut für ein Stipendium gepasst…

So geht es, meist auf Reisen, munter weiter:

Dresden beispielsweise bildet den Anlass für Beschreibungen der legendären Manufaktur der  „Doble A“-Bandoneons, Rilke, des berühmten Sanatoriums von Heinrich Lahmann sowie der tangoüblichen Aufforderungsriten. Dazu lässt man Richard Tauber „um den letzten Tango bitten“. Tango-Ausstattung muss natürlich auch sein – inklusive der Visitenkarten: „Sie tanzten mit Dr. Sobozki“. Doch umgehend wird es wieder todernst, als der Autor an Tangoschöpfer erinnert, die von den Nazis ermordet wurden.

Das ist ein Markenzeichen dieses Buches: Uwe Wolff führt uns in einer atemberaubenden Tour d’Horizon assoziativ durch tausend Tangogeschichten – und nur selten hat man das Gefühl, dass da etwas zusammengestückelt wurde. Seine kulturellen Exkurse haben nicht immer direkt mit dem Tango zu tun, jedenfalls auf den ersten Blick. Und nebenbei ist das Ganze stilistisch hervorragend formuliert.

Als roter Faden durch die Kapitel zieht sich das Ringen des Autors mit sich selbst:

„Wir haben verschiedene Lehrer kennengelernt und bei ihnen Unterricht genommen. So weiß ich nun, wie ich nicht tanzen will. Doch meine Tänzerseele ist mir noch immer ein Geheimnis. Manchmal glaube ich sie zu spüren. Manchmal ist dort, wo sie sein sollte, einfach ein schwarzes Loch, wie es sie im Weltall geben soll. Tangotänzer, das habe ich inzwischen erfahren, zweifeln immer an ihren Fähigkeiten.“

Nur gelegentlich hat man den etwas papierenen Eindruck, die äußeren Ereignisse seien lediglich der Vorwand, um uns mit weiteren Massen kulturellen Tangowissens zu überschütten. Anlässlich seiner Romreise im 6. Kapitel bekennt Uwe Wolff nicht nur, dass er keine Milongas tanzen mag, sondern wickelt uns wirklich die ganzen kirchengeschichtlichen Bezüge des Tango um die Ohren. Nun gut – er ist studierter Theologe, das entschuldigt einiges.

Sein Blick auf den Tango ist absolut realistisch und doch hoffnungsvoll: „Ich sage, nach meiner Erfahrung steht vor dem Tango fast immer ein Bruch, ein Verlust, eine tiefe Verwundung, eine Trennung, eine Krankheit, der Crash mit einem Elch. (…) Was ist also das Wesen des Tangos? Healing. Heilung.“

Das Buch endet auf einem Friedhof – mit einem meiner Lieblingstangos: Satumaa („Märchenland“) – fast die zweite finnische Nationalhymne. Geschrieben hat ihn Unto Mononen, der sich im Alter von 37 Jahren im Suff erschoss. Auch so kann Tango gehen.

Uwe Wolff schreibt dazu: „Der Tango ist ein Wegbegleiter. In seinen schönsten Momenten erfahren wir jene beseligenden Ausblicke in das Märchenland. Dann spüren wir: Dieses Land gibt es. Ganz gewiss.“

Hat er nun seine „Tänzerseele“ gefunden? Ich meine: ja. 

Dr. Uwe Wolff ist Theologe und Kulturwissenschaftler. Er hat schon etliche Bücher publiziert und beschäftigt sich vor allem mit der Existenz von Engeln. Auf seiner Website schreibt er: 

„Ich wollte eine Kulturgeschichte des Tango schreiben, wie ich sie selbst gerne gelesen hätte: Persönliche Erfahrungen mit dem Tango in seinem Dreiklang von Musik, Dichtung und Tanz.“

https://www.engelforscher.com/

Verlage hätten sich schwer mit dem Buch getan, da es in keine der üblichen Kategorien passe. Ich finde, gerade darin liegt sein Reiz. Für Tangoanfänger, aber auch weit Fortgeschrittene ist es eine ideale Lektüre in den milongafreien Weihnachtstagen. Danach wissen Sie mehr über unseren Tanz und seine kulturellen Hintergründe als Ihr Tangolehrer – selbst, wenn der nicht aus Argentinien stammt. Und haben vielleicht sogar verstanden, worum es beim Tango geht – soweit dies möglich ist!   

Uwe Wolff: Tango – das Leben tanzen

141 S., 16 €

ISBN 978-3-95930-230-2

Arnshaugk Verlag, Neustadt an der Orla

Das Buch gibt es im Buch- und Onlinehandel und auch direkt beim Autor.

https://www.amazon.de/Tango-Leben-tanzen-Uwe-Wolff/dp/3959302304/ref=sr_1_1?__mk_de_DE=%C3%85M%C3%85%C5%BD%C3%95%C3%91&dchild=1&keywords=uwe+wolff+tango&qid=1607280989&s=books&sr=1-1

Foto: Uwe N. Philipp

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