Tango-Anekdoten VII

 

Hier nun die vorerst letzte Folge von wahren Geschichten, die das Tangoleben einst schrieb:

Das „hohe Niveau“

Auf der im letzten Artikel beschriebenen, ziemlich gespenstischen Milonga trafen wir einen Tänzer, den wir schon von früheren Kurstagen in dieser Stadt kannten. Wenn er einen Tangosaal betrat, verharrte er zunächst für zirka eine Stunde mit starrem Blick auf seinem Sitzplatz. Erblickte er endlich eine seiner Lieblingstänzerinnen, drehte er mit dieser einige Runden, ohne dass sich sein Gesichtsausdruck änderte.

Als er an diesem Abend zufällig neben Karin zu sitzen kam, klärte er sie über seine Nöte auf: Seit seine geheiligte örtliche Tangoschule zugemacht habe, fände man in dieser Stadt kaum noch Frauen, mit denen man „auf hohem Niveau“ tanzen könne. Anschließend ging er weg und ließ meine Frau sitzen! 

Auf selbiges Level bedacht war offenbar auch ein älteres Tangopaar, das aber noch ziemlich unorganisiert über die Fläche hampelte. Außerhalb des Parketts gaben sie sich deutlich anspruchsvoller: „Ich möchte das Gefühl haben, einmal wirklich Tango zu tanzen“, so die zugehörige Dame. Daher wünsche sie sich im Unterricht mehr neue Figuren…

 

Die Spießer im Underground

Eine andere Milonga in einer benachbarten Großstadt wird mir ebenfalls unvergesslich bleiben: Eine sehr traditionelle Tangoschule dort hatte ein hochgradig abgeranztes Etablissement aufgetan, das auf mich wie ein baufälliges Pissoir mit Tanzboden wirkte und auch so roch. Ganz im Stil des Ambientes warb der Chef nun plötzlich mit einer Art „Underground-Tango“ und spielte sogar hin und wieder mal etwas Modernes. Bizarr erschien der Kontrast zu seinem höchst konservativen Stammpublikum, das nun zwischen der Sperrmüll-Möblierung umherirrte.

Abstellmöglichkeiten für Getränke oder persönliche Sachen gab es so gut wie keine. Das tragische Ende kam für uns, als eine andere Tanguera den Begriff „Brille“ wohl missverstand und mit Schwung auf einem Stuhl Platz nahm, auf dem meine Begleiterin ihre Sehhilfe abgelegt hatte: Totalschaden. Wir verließen die Milonga, die es auch nur für kurze Zeit gab, fluchtartig!

 

Im Preis mit drin

Als Organisatoren einer Milonga erfuhren wir alsbald, was nach Ansicht mancher Gäste im Eintrittspreis von 5 Euro (den die Tanzschule erhielt, nicht wir) alles enthalten war: Oft erreichte mich im halbstündigen Wechsel die Bitte, doch endlich mal zu lüften respektive die Fenster wegen der Zugluft zu schließen. Auch sollte man für Bedürftige Zigaretten, Feuerzeug, Abstumpfungs- oder Glättepuder sowie Sicherheitsnadeln und Nähzeug bereithalten. Hinterher durfte man sich um liegengebliebene Jäckchen, Schals, Fächer, Handys und Geldbeutel kümmern.

Damit aber nicht genug: Im Vorfeld sollte man oft all das analog wiederholen, was eigentlich in den Einladungen stand. Vereinzelt baten mich Damen auch um Prognosen zur voraussichtlich erscheinenden Gästezahl, speziell der Menge an gut tanzenden Herren. Da wir in der Werbung unvorsichtigerweise versprachen, bei uns bliebe niemand sitzen, stellten uns Tangueros öfter die Frage: „Muss ich dann mit jeder tanzen?“

Noch nerviger fand ich es, dass speziell Leute, die kein einziges Mal unsere Veranstaltung besuchten, immer wieder von uns wissen wollten, wie es denn das letzte Mal gewesen sei. Meist sollten wir auch eine kurze Schätzung des wohl benötigten Anfahrtswegs geben. Abschließend konnten wir uns dann langatmige Erklärungen anhören, wieso man unsere Milonga wohl doch nicht besuchen könne: „Was, 50 Kilometer? Das ist uns zu weit!“

 

Das Fräulein Helen will baden geh‘n

Den Vogel schoss eine Tanguera ab, die sich schon mehrfach folgenlos mit dem Gedanken beschäftigt hatte, die Fahrt zu uns doch einmal zu wagen. Nun habe sie es aber ernstlich vor! Es gebe nur ein Problem: Sie pflege vor dem Tanzen gewöhnlich zu baden (grundsätzlich ja keine schlechte Idee). Allerdings in einem See, meist im Starnberger. Ob es in unserer Nähe sowas gebe? Meine regionalen Vorschläge diverser Kies- und Gänseweiher begeisterten sie nicht wirklich. Doch – o Wunder – sie erschien dennoch!

Vor Ort kam sie dann mit einem weiteren Ansinnen daher: Mitten im Auflegestress wünschte sie sich eine Pugliese-Tanda, die sie selbstredend mit mir zu tanzen beabsichtigte. In der Hektik fand ich nur zwei Titel dieses Orchesters, die ich in meiner Not mit einer Di Sarli-Aufnahme komplettierte. Ihr abschließender Kommentar: „Also gerade der dritte Pugliese hat mir besonders gefallen!“

 

Wunschkonzert

Als DJ wird man mit den mannigfaltigsten Ansprüchen konfrontiert. Dabei ist es völlig egal, welche Musikrichtung die Einladung signalisiert:

„Geht das Gedudel jetzt so weiter?“ fragte mich eine sichtlich erzürnte junge Dame, als ich es wagte, auf einer Neo-Milonga drei aktuelle Tangoballaden aufzulegen. „Spielst du auch mal was Modernes?“ wollte man auf derselben Milonga wissen, obwohl gerade die ein Jahr alte CD einer zeitgenössischen Tangogruppe lief. Ebenso unvergesslich ist mir eine Buchlesung, bei der ich auch als DJ aktiv war. Obwohl von vornherein „abwechslungsreiche Musik von Villoldo bis Piazzolla“ angekündigt war, gab man mir nach einiger Zeit zu verstehen, das Publikum wünsche „Salontango“. Spitzenreiter war ein ziemlich impertinentes Paar, das um Mitternacht ultimativ „traditionelle“ Aufnahmen forderte – schließlich sei man extra deshalb an die hundert Kilometer gefahren…

Ein einziges Mal habe ich auf unserer Milonga ein „Wunschkonzert“ angekündigt. Leider machte ich dabei die Erfahrung, dass die gewählten Stücke oft nur dem Einen gefielen, der sie jeweils geordert hatte. Besonders nett verhielt sich ein szenebekannter DJ, dessen Musikwunsch mir natürlich Befehl war. Leider besabbelte der Herr dann längere Zeit an der Bar eine Tangoschönheit, so dass er von „seiner“ Aufnahme gar nichts mitbekam.

Wenn ich heute als DJ einen Musikwunsch erhalte, lasse ich mir den Titel aufschreiben oder zuschicken. Vielleicht baue ich ihn mal in ein Programm ein, aber nicht an diesem Tag! So geht die Konzentration auf die laufende Reihenfolge nicht verloren.

 

Milonga-Werbung 

Gewöhnlich sind Tango-Ankündigungen tatsachenarm, aber reich an Wortgeklingel. Einige meiner Lieblingsbegriffe (alles Originalzitate): „Casa del Tango“, „Dance Terminal“, „industrielles, modernes Ambiente“, „Kurubaum-Parkett“, „Resident-DJ“ und „Tango-Schlemmer-Büfett“. Appetit macht es auch, wenn die Ankündigung „Heute frische Empanadas“ sechs Monate alt ist.

Ein Werbezettel, den ich vor vielen Jahren erhielt, toppte aber alles. Er wandte sich an die „Freunde unverwechselbarer Tangofeste“. Im Workshop „Pimp my Tango“ würden zunächst „nuevo-lastige Kombinationen mit viel Spielpotenzial (ab einem Jahr Tanzerfahrung)“ gelehrt. Als Musik für die nachfolgende Milonga wurde u.a. angekündigt:

·         stimmungsvolle Klassik-Valses

·         souliger Gesang, Blues-Gitarren und Bandoneon-Schluchzen vom Feinsten

·         Hip-Hop-Remixes

·         Klassik, Weltmusik und Pop-Balladen

·         Groovige Elektrotangos und andere technofreie Tanzmusik

Insgesamt also „6 Stunden pure Tanzlust“!

Ich bin trotzdem nicht hingegangen…

 

Der eingesprungene Ausheber

Um mit einer positiven Geschichte zu enden: 

Wir waren damals auf einer Tangoreise durch die Pfalz. Bei der Erinnerung an diese Milonga wird mir immer noch warm ums Herz. Ich bin sicher, es gibt sie heute nicht mehr. Sie würde nicht in die gegenwärtige Tangoszene passen.

Als neue Gäste wurden wir sofort angesprochen und in die Gemeinschaft integriert. Wegen unserer weiten Anfahrt erließ man uns den Eintrittspreis. Wir wurden beide aufgefordert und hatten schöne Tänze. Besonders eindrucksvoll war ein kleiner und äußerst agiler Tanguero. Auf den hervorragenden Pfälzer Wein angesprochen, reagierte er zurückhaltend: „Woischt, des zwoite Vierddel schlächt mir immer gewaldig auf die Achse.“ 

Wir saßen auf einem kleinen, wohl für Musikauftritte gedachten Podest, als eine deutlich größere Tanguera unseren Freund aufforderte. Er nahm sie von oben in die Tanzhaltung und sprang dann zu ihr hinab, wobei er bei der Landung eine Sacada einleitete. Cool!

 

Gegen wie viele hehre Tangoregeln wurde wohl an diesem Abend verstoßen… und wie viel Spaß machte das! Die Erinnerung bleibt.

Das waren alle Tango-Anekdoten, die mein Archiv derzeit hergibt. Ich hoffe, man konnte sich beim Lesen so amüsieren wie ich beim Schreiben!


 

Kommentare

Hinweis zum Kommentieren:

Bitte geben Sie im Kommentar Ihren vollen (und wahren) Namen an und beziehen Sie sich ausschließlich auf den Inhalt des jeweiligen Artikels. Unterlassen Sie herabsetzende persönliche Angriffe, gegen wen auch immer. Beiträge, welche diesen Vorgaben nicht entsprechen, werden – ohne Löschungsvermerk – nicht hochgeladen.
Sie können mir Ihre Anmerkungen gerne auch per Mail schicken: mamuta-kg(at)web.de – ich stelle sie dann für Sie ein.