Der Tango in der Paarbeziehung

 

Und ganz besonders muss ich bitten:
Das Grüne, was so ausgeschnitten -
Du ziehst mir nicht das Grüne an,
Weil ich's nun mal nicht leiden kann.

(Wilhelm Busch: Die fromme Helene)

Es ist immer wieder anregend, Texte auf Cassiels „Tangoplauderei“ zu entdecken – insbesondere, wenn sie schon ziemlich alt sind. Dann fallen sie oft erstaunlich ideologiearm aus.

Hier der Gastbeitrag eines Tänzers von Ende 2010. Nach eigenen Angaben ist er seit einem Vierteljahrhundert verheiratet, mit seiner Frau tanzt er seit 8 Jahren Tango in der österreichischen Provinz.

Der Verfasser stellt auf den Milongas einen ziemlichen Egoismus fest, der vor allem negativ auf Paarbeziehungen wirke. Dazu schildert er drei Beispiele:

Auf der heimischen Tangoveranstaltung seien drei Paare von auswärts erschienen – Niveau: vier bis fünf Jahre Tanzerfahrung. Drei „Lokalmatadorehätten sich die Damen der Gäste gegriffen und ihren Partnern mal gezeigt, was die alles könnten, wenn sie von exzellenten Tangueros geführt werden – und das jeweils 9-12 Tangos lang. Die zugehörigen Herren seien daraufhin immer kleiner geworden und hätten es nicht mehr gewagt, einheimische Tangueras aufzufordern.

Oder: Ein Tänzer, etwas begabter als seine Frau, fordert oft und gern sehr gute Damen auf. Seine Partnerin sitze fast nur herum. Mit der Zeit tauchte er nur noch allein auf. Was sich im Privaten abgespielt habe, könne man nur vermuten.

Drittes Beispiel: Ein sehr gut tanzendes Paar auf einer Großstadtmilonga. Während es die Damen der anwesenden Edeltänzer durchaus genossen, von dem Herrn aufgefordert zu werden, wird seine Gattin ignoriert. Der Verfasser vermutet, es gehe es nur darum, „dem ‚Rivalen‘ zu zeigen, wo der Hammer hängt. (…)    

Nach reiflichen Überlegungen halten wir es für möglich, dass die Alpha-Tänzer diesen unliebsamen Rivalen vertreiben möchten, und zwar über das Tanzembargo für seine Partnerin.“

In Variationen habe ich jede dieser Situationen schon selber erlebt und halte die Interpretationen des Autors für durchaus realistisch. In meiner Anfangszeit grübelte ich lange, wieso manche wunderbar tanzende und auch aussehende Frauen völlig übersehen wurden. In Wahrheit werden sie oft wegen des Partners abgestraft. Ich hörte einmal, dass eine tolle Tanguera einen „Platzhirschen“ offen fragte, warum sie geschnitten werde. Die Antwort: „Du tanzt mit den Falschen.“

Daher kann ich auch die Motivation des Autors nachvollziehen: „Mein Problem ist, dass ich auf den Milongas keine traurigen Gesichter sehen mag. Ja, ich gebe es zu, auch nicht die Gelassenheit habe, einem paar Idioten tatenlos zuzusehen.“

Dies gilt aber nicht für die Folgerungen, die er ableitet und die ganz „tangotypisch“ ausfallen: Es seien halt mehr Regeln nötig – beispielsweise, dass man nicht mehr als zwei Tandas mit einer „fremden“ Partnerin tanze. Und natürlich muss Buenos Aires als positiver Gegensatz herhalten.

Seine Frau und er jedenfalls hätten drei feste Verabredungen getroffen, welche sich an einem Blogtext orientierten:

1.    Die erste und die letzte Tanda gehören uns beiden.

2.    Wir tanzen mit wem wir wollen, aber höchstens zwei Tandas.

3.       Bei Bedarf kann auch jeder ein Embargo bezogen auf einen Mittänzer aussprechen.

http://thetangojungle.blogspot.com/ 

Erstaunlicherweise gefielen solche Reglements 2010 selbst auf Cassiels Blog nicht allen:

„In dieser Diskussion scheint mir ‚Regelwerk‘ als Lösung zu gelten, wenn der Respekt fehlt. Dann frag ich mich aber, wann werden aus den Regeln Verordnungen und Gesetz, wo sind Tangopolizei, Richter und Strafe? Werte Regelliebhaber, es ist schon ok, den Wunsch nach aufgesetzten Regeln zu äußern. Wie man sie wo einführen will, bleibt unbeantwortet.“

„Regeln sind ständigem Wandel unterworfen, selbst so granithafte Bollwerke gegen Veränderung wie die bayerischen Gebirgsschützen oder die (katholische Amts-) Kirche können sich dem auf Dauer nicht entziehen.“

Und auch Buenos Aires ist da vielleicht nicht in jeder Hinsicht vorbildlich:

„Ich war selber Zeuge einer sich anbahnenden Schlägerei in einer sehr bekannten Milonga in BA zwischen zwei sehr bekannten Milongueros. Das war die Art, wie man dort die Regelübertretung ahndet (der eine hatte wiederholt die Dame des anderen nicht angerempelt, aber deutlich touchiert).“

Ich glaube halt, wenn man in einer Beziehung „Regeln“ braucht, ist dies bereits ein ernstes Krisensignal. Nach meiner Auffassung von Partnerschaft sollten beide darauf achten, den anderen nicht zu überfordern. Klar, Tango ist wegen seiner Nähe und des häufigen Partnerwechsels ein „Stresstest“ für Beziehungen. Jedes Paar muss wissen, ob es sich dem aussetzen will.

Ich hörte auch schon von Vereinbarungen, höchstens jeden zweiten Tanz „fremd“ zu vollführen. Wenn mein Partner danach wieder mit mir tanzt: Woher soll ich wissen, ob er das gern macht oder nur, um die Regel zu erfüllen?

Paare, welche „Spaßverhinderungs-Gemeinschaften“ darstellen, werden scheitern. Ebenso solche, bei denen zumindest ein Partner den Problemen des anderen völlig unsensibel gegenübersteht.

Eine Tänzerin hat dies in einem Kommentar eindrucksvoll beschrieben:

„Unsere Beziehung leidet am Tango. Zumindest von meiner Seite aus. Er tanzt schon länger und hat zum Ziel, der beste Tänzer zu werden. Ich wollte einfach etwas gemeinsam erleben, aber so einsam wie auf Milongas habe ich mich selten gefühlt. (…) Es gibt nur noch Tango, nichts anderes mehr. Ein Sammelsurium an Gefühlen, die durch den Raum schwirren, alle Höhen und Abgründe oft mitfühlend; mir fehlen manchmal die Worte, und mit verbogenen Antennen brauche ich wieder etwas normale Welt. Ganz banale Dinge.

Ich liebe das Männliche, Erotik, Berührung, mich, Frausein, alles, aber hier vergeht es mir langsam. Frauen, die stutenbissig miteinander umgehen (wozu???), Männer, die über Frauen reden, als wären es Glückspillen in Strumpfhosen und hohen kleinen Schühchen, und und und (und sich dennoch nach der einen sehnen – Frauen das Gleiche). ... Für Sensitive ist das zuweilen ein harter Aufschlag.

Aber ich will nicht nur jaulen, danke an alle aufmerksamen Tänzer, die das sehen, einen dann auffordern und über den Punkt hinwegtanzen. Der Tanz an sich birgt viele Facetten, im Grunde ist es die Intention, im Besonderen auch die Wirkung der Musik zu fühlen, und es hat seinen Sinn, warum es Mode wird, nur fehlinterpretiert es Mensch gerne.“

Was ich für erwiesen halte: Auf vielen Milongas treibt sich eine ganze Schar meist männlicher Besucher herum, die ich persönlich als arrogante Hanswürste titulieren würde. Solche Leute suchen halt für sich nur das Allerbeste, und wenn sie dann mal gnadenhalber mit einer älteren, weniger attraktiven oder geübten Dame tanzen, haben sie noch die Unverfrorenheit, dies Charity-Tänze“ zu nennen.

Ein Kommentator schreibt mit vollem Recht:

„Mich regt nicht diese Einstellung, mich regt die satte Selbstzufriedenheit der Edlen auf, die sich auf die Schulter klopfen, wenn sie mal ne Anfängerin betanzen, je älter und nicht so attraktiv, desto größer das gebrachte Opfer, am besten jedoch jung, eingeschüchtert und unerfahren. Sag nicht, die gäbe es nicht oder nur wenige, es gibt sie und es gibt für mich zu viele davon.“

Mein Rat ist stets derselbe: Solche Typen treiben sich vor allem auf großen, angesagten Milongas herum, da man dort Machtpositionen ausspielen kann. Wenn man an diesen Orten tanzen geht, muss man ein dickes Fell haben – im Gegensatz zu kleinen, glamourfreien Dorfmilongas.

Aber genau die meiden eben viele – ist ja nichts los

Den Tänzerinnen kann ich nur immer wieder zwei Dinge raten:

Wenn sie, dem Mainstream" fogend, auf möglichst große Veranstaltungen rennen, müssen sie mit jeder Menge männlichen Anspruchs-Gehuberes rechnen. Kann man mögen nur bitte hinterher nicht jammern!

Selber führen zu lernen nimmt aus vielen weiblichen Tangoproblemen den Druck heraus. Leider nehmen diese Option nach meinen Beobachtungen unter zehn Prozent der Tangueras wahr.

Ich werde diese Problematik, welche ich in unserem Tanz für zentral halte, weiterhin große Aufmerksamkeit widmen. Vielleicht sollte ich nach Corona doch einen „echten Milonga-Führer“ schreiben – mit dem gefühlten Deppen-Koeffizienten der einzelnen Veranstaltungen...

Hier der Originaltext:

https://tangoplauderei.blogspot.com/2010/11/gastbeitrag-der-tango-in-der.html

Illustration: www.tangofish.de

Kommentare

  1. Ich bin ja der Meinung, Streß hat man nicht, sondern man macht ihn sich. Problematisch ist es vor Allem, wenn bei den Partnern die Intention und die Motivation zu unterschiedlich ist.
    Dagegen hilft am Besten (wie in fast allen Fällen) eine klare Kommunikation.
    Regeln sind zu starr...was mir heute nichts ausmacht, kann mich ein anderes Mal nerven, je nachdem, wie ich gerade drauf bin. Aber dann muss ich das eben meinem Partner klar sagen (da braucht es auch keine Vorwürfe dazu ;-) ).
    Aber ich habe auch das Glück, mich nicht auf der Tanzflächen profilieren zu müssen, meine Bühne hab ich woanders. Und so kann ich auch ganz entspannt am Rande sitzen und anderen zuschauen. Sei es, um nur die Musik und die Tänzer zu genießen (man kann auch durch Zuschauen Einiges lernen...wenn man zu schauen versteht). Oder ich schule meinen Lehrerblick, indem ich versuche, herauszufinden, warum Manches nicht funktioniert oder nicht gut aussieht. Aber das behalte ich natürlich für mich, bzw. auch dadurch kann man selbst lernen.
    LG
    Carmen

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    1. Vielen Dank!

      Ich glaube, das Zauberwort lautet Kommunikation. Es gibt leider viele Paare, die nur noch sehr wenig miteinander sprechen. Das könnte aber gerade bei Tangokrisen (der Stress kommt da oft automatisch) ziemlich nützlich sein.

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  2. Genau deswegen gibt es für mich nur eine einzige "Regel": Klare, ehrliche Kommunikation. Die wenigsten Männer können Gedanken lesen (o.k, gilt für Frauen eigentlich genauso).
    Frei nach dem Motto: "Wie soll ich bekommen, was ich mir wünsche, wenn ich nicht sage, was ich will?"

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    1. Das finde ich auch. Und gerade Männer sind im "Gedankenlesen" nicht sehr gut.

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